Unternehmen zwischen Verneinung und «me-too»-Herdentrieb

DIGITAL Im zweiten Teil der Beitragsserie «Digital ist nicht trivial» spricht Christoph Oggenfuss mit Dr. Marcus Schögel, Direktor beim Institut für Marketing an der Universität St. Gallen, über die Herausforderungen des digitalen Wandels und die Auswirkungen auf Marketing und Kommunikation. Die Digitale Welt ist bei den Konsumenten schon längst angekommen – die Unternehmen sind hingegen […]

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Die Digitale Welt ist bei den Konsumenten schon längst angekommen – die Unternehmen sind hingegen im Verzug.VON CHRISTOPH OGGENFUSS*Seit 15 Jahren ist die Digitalisierung von Unternehmen ein Thema so beispielsweise im Sinne der elektronischen Märkte. Die digitalen Technologien haben die Unternehmen nach und nach durchdrungen gewissermassen ohne grossen «Aufhebens». Als einfaches Beispiel hilft die Information die bisher auf Papier abgebildet war und dann durch die binäre Logik (0/1) digital widergegeben wurde und wird.Individueller Ansatz als KönigswegIn der Wahrnehmung von Marcus Schögel schwanken Unternehmungen zwischen Verneinung der Digitalisierungsentwicklung und einem gewissen «me-too» Herdentrieb. Beides ist nicht wirklich zielführend. «Im Rahmen der Digitalisierungsanstrengungen von Unternehmen führt der Königsweg über den individuellen Ansatz – welche Art und welches Mass von Digitalisierung stärkt die eigene Wettbewerbsposition nachhaltig», sagt Schögel.Grenzen zwischen Geschäft und Privatem verschwindenIT für sich ist eher als «Generikum» zu sehen und hat in diesem Zusammenhang einen universellen Charakter. Gerade darum ist das Herausarbeiten der unternehmens-spezifischen Anforderungen zentral. Digitalisierungs-Technologien werden häufig auf das B to C-Feld reduziert obwohl B to B-Anwendungen vergleichbare Chancen bieten.Als Eindrückliches Beispiel der Durchlässigkeit im Einsatz von IT zwischen B to B und B to C ist das soziale Netzwerk Linkedin. «Die Aufschaltung eines qualitativ guten Newsfeeds und weiterer Funktionen zeigen, dass sich die Grenzen zwischen Geschäftlichem und Privatem auflösen», so Schögel.«Digitale Medien stehen im Zentrum der Gesellschaft»Und was denkt Schögel zur Frage ob Digitalisierung mehr Hype oder Realität sei? «Digitale Medien stehen im Zentrum der Gesellschaft – für Kunden stellen sie eine Selbstverständlichkeit dar», meint der Marketingexperte. Die breite Präsenz des «Digitalen» könne wie eine stabile Basis gesehen werden, darauf aufbauend sind je nach Medium oder Technologie Wellenbewegungen und damit Hypes feststellbar.Die Gartner-Hype-Kurve ist auch für digitale Technologien gut anwendbar. Einige Technologien lösen sich nach einem schnellen Aufstieg in Luft auf und andere erreichen nach dem «Tal der Tränen» das Plateau der Produktivität. Unternehmen haben die Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Technologien – ein Rezept für die Unterscheidung von Hype und Realität gibt es nicht. Der Trial and Error-Ansatz bietet sich hier an.
Gartner Hype-Cycle
Der Gartner Hype-Cycle mit den aktuellen Themen für Marketing und Marketing-Management (Referenz Prof. Dr. Marcus Schögel).Vernetzung als zentraler Treiber der DigitalisierungFür Schögel ist der zentrale Treiber der Digitalisierung die Vernetzung von Geräten, Menschen bzw. Gruppen von Menschen. Dadurch entstehen Netzwerkeffekte, die eine einzelne Initiative potenzieren können. So wird es möglich, dass im Unterschied zur analogen Welt mit einem neuen Geschäftsansatz viel schneller eine kritische Masse erreicht werden kann und dies gleichzeitig mit deutlich tieferen Kosten.Verändertes ManagementverständnisSchögel fällt auf, dass bei erfolgreichen Unternehmen, die sich in der digitalen Welt bewegen, ein verändertes Managementverständnis zu Grunde liegt. Dieses Verständnis kann mit folgenden Begriffen karikiert werden:- Speed as key ingredient- Done is better than perfect- Rapid Prototyping- Design Thinking«Die Möglichkeit kundennäher zu werden und „Customization“ real zu Praktizieren ist eine echte Chance für Unternehmen», so Schögel. «Die Möglichkeiten mit digitalen Technologien stimulieren die Kreativität bezüglich innovativer Geschäftsmodelle.» Tiefe Einstiegskosten, Hebeleffekte und Reichweite sind Ausprägungen solcher Geschäftsmodelle die für Jungunternehmer oder Spin-offs von etablierten Firmen attraktiv sind.Kontrollverlust bei Führungskräften?Die Risiken sieht Schögel hauptsächlich im Kontrollverlust bei Führungskräften die noch mit dem bisherigen Management-Ansatz operieren. Eine weitere Beobachtung des international tätigen Professors ist die Tatsache, dass viele Manager keine Antwort auf die Frage «Was bedeutet Digitalisierung für mein Geschäft ganz konkret?» haben. Die Tatsache nämlich, dass es in einer Branche kein passendes Anschauungsbeispiel gibt ist sicherlich kein Freipass nichts zu tun!«Weder Euphorie noch Panik helfen»Spezielle marketingbezogene Herausforderungen der Digitalisierung in Unternehmen sieht Schögel in folgenden Bereichen:- Wie verändert sich die Budget-Allokation?- Wird die Wirkungsweise im Marketing-Kontext verstanden?- Wie wird der Wandel vom Denken in „Marketing-Bekanntheit“ hin zu „Marketing-Konversion“ gemeistert?- Welche neuen Kompetenzen und Skills sind im Marketing wo aufzubauen?Am Ende des Gespräches betonte der sprachgewandte berlinstämmige Schögel den folgenden zentralen Punkt: «Weder Euphorie noch Panik helfen im Thema Digitalisierung weiter. Mit Realismus die Schlüsselfragen auf das eigene Unternehmen bezogen zu beantworten ist zielführend.»Unternehmen müssen Lücke schliessenUnd wer soll das Thema im Unternehmen treiben? Hier sieht Schögel die Wahlmöglichkeit zwischen zwei Typen: «Entweder der mit IT grossgewordene Marketing-Chef oder der mit Marketing grossgewordene IT-Chef!»Quintessenz aus diesem Gespräch für Marketing und Kommunikation: Die Digitale Welt ist bei den Konsumenten schon längst angekommen – die Unternehmen sind im Verzug und somit sind Marketing und IT gefordert diese Lücke zeitnah und unternehmensindividuell zu schliessen.

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