Aufgespiesst: Gekonnter Mini-Fang

Anne-Friederike Heinrich, freie Mitarbeiterin der Werbewoche, über die Mini-Aktion der Migros.

Der Migros ist dieser Tage ein genialer Schachzug gelungen – dem ich als leidenschaftliche Migroslistin und Anticoopianerin ganz kritiklos und schmerzfrei Beifall klatschen kann: Die Migros beschenkt unsere Kinder mit «Minis», also Migros- Produkten im Miniaturformat, und Mami und Papi im gleichen Atemzug noch einmal mit einem kleinen Stück Kindheit. Derzeit schätzt sich jeder glücklich, der Nachwuchs hat. Für einmal nicht der Kinder wegen, sondern weil er an der Migros-Kasse auf die Frage der Kassiererin «Sammlet Sie Miniiiiiiiis? » mit einem herzhaften «Ja, natüüüüürli!» antworten kann. Alle anderen erfinden Nichten, Neffen oder Enkelkinder, um in den Genuss der winzigen Greyerzers, Klopapierpackungen und Glacéstängeli fürs Kauflädeli zu kommen. Ob sie die kleinen orangen Sachets, kaum um die nächste Strassenecke gebogen, dann selbst aufreissen und sich an den Miniprodukten freuen, ist ja egal. «So hääääääääärzig», hört man sogar angegraute Herren ausrufen.

Auch bei der eigentlichen Zielgruppe sind die Minis der Hit. Seit die Aktion läuft, brauche ich unserem Zweijährigen nur sagen: «Komm, wir gehen Minis holen.» Und er folgt mir sofort bereitwillig zum Einkaufen. Nur wenn meine Tour vom Eingang bis zur Kasse zu lange dauert, fängt er an zu quengeln: «Mamaaa? Mini? Hmmmm?» Und kaum sind wir an der Kasse, schnappt er der Kassiererin die Sachets aus der Hand und muss sie sofort alle aufreissen. Jedes Mal frage ich mich: Welcher Mini fängt hier eigentlich welchen?

Leidenschaft en miniature

Und ich? Ich bin zwar einerseits sehr begeisterungsfähig, habe mich andererseits aber gut im Griff. Nur bei den Minis überfällt mich eine eigentümliche Gier. Erstens will ich die Sachets, die mein Sohn zerfetzt, am liebsten selbst öffnen und die kleinen Tübchen und Tütchen in meiner Handtasche verschwinden lassen. Zweitens lauere ich immer genau, ob Die vor mir oder Der hinter mir mehr Minis bekommt als ich. Und drittens wähle ich die Kasse, an der wir zahlen, immer so aus, dass die Chance besteht, dass die Person vor oder hinter mir mich fragt: «Wänd Sie mini Minis?» Erfüllt sich mein Wunsch, durchströmt mich eine Woge warmen Glücks.

Sogar mein Göttergatte, sonst über jede kurzlebige Begeisterung für Chrüsimüsi erhaben, ist hin und weg. Jeden Freitag lauert er, ob wir ihm ein paar Tütchen übrig gelassen haben, die er selbst öffnen kann. Meist ist das nicht der Fall, und so pilgert er zu unserem gut gehüteten Sammelkästchen und ruft «cool» oder «so läääss». Wir können es beide kaum erwarten, bis die Kauflädeli-Zeit unseres Bürschchens beginnt. Endlich mal wieder gepflegt spielen!

Mit Charme um den Finger gewickelt

Leider ist die Aktion fast vorbei. Unsere Haus-und- Hof-Migros hatte schon in der vergangenen Woche die Warnung plakatiert: «In dieser Filiale gibt es keine Minis mehr.» Und in der Tat, bei unserer letzten Shoppingtour folgte am Schluss die grosse Enttäuschung: Minis sind aus. Welch ein sinnloser Einkauf! Zum Glück haben wir eine liebe Nachbarin, die unser Wochenende gerettet hat: Sie war vor uns posten und hatte einige der letzten Minis ergattert – und uns vor die Tür gehängt. Das war wie ein Geburtstag, an dem man ganz am Schluss doch noch das erhoffte Geschenk bekommt. Wie ich nun aber zukünftig unseren Sprössling für den Wochenendeinkauf begeistern soll, weiss ich noch nicht. Vielleicht verspreche ich ihm: «Wenn du lieb bist, ersteigere ich hinterher ein paar Minis für dich.» Denn inzwischen betreibt nicht nur die Migros eine Tauschbörse für doppelte Minis, auch sonst überall im Internet kann man Minis kaufen und tauschen. Aber geschenkt waren sie natürlich am schönsten.
 

Weitere Artikel zum Thema