Join the Seniorenstift Jungborn!

Werbewoche-Redaktorin Anne-Friederike Wilhelm staunt täglich über Trash-Werbung.

Ich bin ein wahrlich glücklicher Mensch. Echt! Denn ich kann noch staunen. Zwar tun mein Computer und meine Firewall nicht immer, was sie sollen. Dafür bekomme ich regelmässig elektronische Post. Und zwar nicht irgendwelche, sondern richtig wichtige. Schon die Betreffzeilen verkünden, dass es bei diesen E-Mails um meine Zukunft geht: «Dein Leben», «Ihr Traum», «Ihre Finanzen», «Ihr Geld» heisst es da, etwas distanzierter «Offizielle Gewinnbenachrichtigung» oder schlicht «Congratulations». Ich finde es schön, dass sich jemand Gedanken um meine Träume und meinen Stutz macht und mir dann auch noch herzlich dazu gratuliert – statt mir einfach nur auf eine ganz billige Tour Viagra verkaufen zu wollen.
Post zum Runzeln
Sehr gefreut habe ich mich auch über die «Einladung, dem Freundeskreis Ägypten beizutreten». Sie kam von Ahmed459 vom Seniorenstift Jungborn. Tee trinken mit Berbern, billiger Urlaub machen als die Einheimischen und einen Baum gegen die Ausbreitung der ¬Wüs¬te pflanzen. Klingt verlockend, fand ich. Die Geschichte mit dem Seniorenstift allerdings konnte ich dann doch nicht so gut verwinden. Offen gesagt: Ich war gekränkt. Damen meines Alters werden nicht gern daran erinnert, dass die Runzeln schneller als allmählich kommen. Woher also hat das Seniorenstift meine E-Mail-Adresse? Und warum jetzt schon??! Fast wäre ich zum kostenlosen Erlebnisabend mit Matrix-Transformation gegangen, um mich wieder zu fangen. «Bewusstsein erschafft Realität», lautete das Versprechen auf der Einladung. Vielleicht hätte ich zu dieser Party gehen sollen, um mir meine Wahrheit zurechtzudenken und meine Quanten wieder zu heilen?! Aber ich hatte keine Zeit.
Denn am gleichen Abend bekam ich eine «Offiziellen Mitteilung» aus Catalunya, genau genommen von Noor Azilah bt. Abu Shahid «von Sitz des Prasidenten». Nun ja, auch wenn diesem Präsidenten zwei Pünktchen und eine genaue Zuständigkeitsbezeichnung fehlten – ich hatte «€935,470.00 (NEUN HUNDERT FUNF UND DREISSIG TAUSEND, VIER HUNDERT UNDSIEBZIG EURO)» gewonnen. Meine «Glucksnummern» hatten in der zweiten Kategorie das grosse Rennen gemacht, da gluckst man schon mal vor Freude. Ich hätte einfach meinen «Anspruch-Agent» Bernardo Ginez Lascano Esq kontaktieren und das Geld überweisen lassen müssen. Keine Ahnung, warum ichs schliesslich doch nicht gemacht habe. Vielleicht, weil ich gerade mal wieder ¬einen Audi gewonnen hatte, als einer von hundert zufällig ausgewählten Gewinnern. Ich gewinne fast jeden Tag einen Audi. Manchmal ist es aber auch ein BMW.
Garantierter Gewinn
Es gab mal eine Zeit, in der erhitzt über Spam diskutiert wurde. Heute schiebt man die 30 Mails jeden Morgen schulterzuckend in den Junkordner und denkt nicht weiter darüber nach. Ich aber frage mich: Wer, in Gottes Namen, nimmt sich die Zeit und schreibt als Ahmed459 eine Mail, um die Wüs¬te zu retten? Wer verschickt Massenmails, um Audi oder BMW loszuwerden? Und wer um alles in der Welt reagiert auf diesen Spam – von mir einmal abgesehen? Irgendwelche Reaktionen muss es ja wohl geben, sonst würden in meinem Postfach nicht permanent neue, mehr oder weniger unterhaltsame Versuche landen, mir die Zeit oder mehr zu stehlen.
Ja klar, Top-Idee für eine investigative (und vermutlich investitionsintensive) Recherche: Ich schreibe Noor, Ahmed und Pfizer einfach mal eine Antwort und frage nach, wer sie sind und was sie so treiben, neben dem Mailversenden. Nur wäre das vermutlich der Knock-out für meine digitale Arbeitsmaschine. Aber machen wirs doch so: Jeder, der mir verrät, wer Ahmed ist und woher er die Zeit für seine Mails nimmt, gewinnt meinen Polo. Garantiert! (Bei mehreren Gewinnern wird geteilt.)

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