Presserat: Beschwerden gegen Tessiner Medien teilweise gut geheissen

Der Schweizer Presserat hat zwei Beschwerden gegen die Berichterstattung über ein Strafverfahren im Tessin teilweise gut geheissen. Es sei nicht gerechtfertigt gewesen, dass die Radiotelevisione svizzera di lingua italiana RSI einen Arzt unmittelbar nach dessen Verhaftung namentlich benannt hat.

Ebensowenig sei es gerechtfertigt gewesen, dass Ticinonews.ch, Il Caffè, Corriere del Ticino, la Regione Ticino und Giornale del Popolo die Ehefrau des Mannes als mutmassliches Vergewaltigungs-Opfer identifizierten. Dies geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Urteil des Presserates hervor.

Die RSI berichtete im September 2010 zwei aufeinanderfolgenden Tagen in der Sendung Il Quotidiano über die Verhaftung eines Arztes wegen einer ihm vorgeworfenen Vergewaltigung. Daraufhin benannte die Website Ticinonews.ch die Ehefrau als mutmassliches Opfer. Weitere Medien zogen nach. Beim Presserat gingen dann zwei Beschwerden ein: Ein Angehöriger beschwerte sich über die Berichte der RSI und ein Journalist über diejenigen von Ticinonews.ch, Il Caffè, Corriere del Ticino, la Regione Ticino und Giornale del Popolo.

Die RSI wehrte sich gegen die Beschwerde mit dem Argument, der Arzt sei wegen einer früheren aufsehenerregenden Affäre zur öffentlichen Person geworden. Deshalb sei die Namensnennung zulässig. Ticinonews.ch und die betroffenen Zeitungen äusserten sich unterschiedlich.

Für den Presserat war die Nennung des Namens des Arztes durch die RSI unmittelbar nach der Verhaftung nicht gerechtfertigt. Denn seine öffentliche Bekanntheit sei nur relativ und der aktuelle Fall stehe weder in unmittelbarem Zusammenhang mit der früheren Affäre noch mit seiner beruflichen Tätigkeit stehe, so der Rat. Ebenso wenig sei es zu diesem Zeitpunkt notwendig gewesen, die Öffentlichkeit zu warnen.

Nachdem die RSI bereits an zwei aufeinander folgenden Tagen identifizierend berichtet hatte, habe der Nachzieher durch die anderen Tessiner Medien hingegen kaum noch weiteren Schaden angerichtet, so der Presserat weiter. Die Identifizierung des Opfers durch Ticinonnews.ch und diverse Zeitungen erachtet der Rat hingegen als verfehlt. Auch nach der Nennung des Arztes als möglichen Täter habe der Opferschutz weiterhin Vorrang gehabt. Und da die Verbreitung der fraglichen Website nicht mit derjenigen der Fernsehprogramme der RSI vergleichbar sei, hätten die anderen Medien ungeachtet des Vorpreschens von Ticinonews.ch das mutmasslichen Opfers nicht identifizieren dürfen.

 

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