Publisher unter Zugzwang

Im Gespräch mit der Werbewoche erklären zwei Pioniere des Real-Time-Advertising, weshalb sich Publisher dieser Entwicklung auf kurz oder lang nicht werden entziehen können.

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WW: Geht es um den Handel von Online- Werbeplätzen in Echtzeit, dem sog. Real-Time- Advertising (oft als Real-Time-Bidding bezeichnet), so ist ein Tradingdesk ein zentraler Begriff. Welches war in euren Unternehmen die auslösende Motivation, um mit einem Tradingdesk aktiv zu werden?
Prinz: Die Erkenntnis, dass diese Technologien in den USA und in Grossbritannien bereits angewandt werden. Und so haben wir vor etwa zwei Jahren begonnen, uns nach Technologien umzusehen, die in der Schweiz eingesetzt werden können. Das war ein längerer Prozess, bis wir einen Partner wie App Nexus gefunden haben und wirklich anfangen konnten. Der Durchbruch gelang dann, als es möglich wurde, aus der Schweiz heraus Crossborder-Traffic automatisiert einzukaufen. Das haben wir nun seit einem Jahr im Einsatz und jetzt geht es extrem schnell.
 
Sind Sie bei Mediaschneider auch schon vor zwei Jahren gestartet?
Semmler: Etwas später, wenngleich die grundlegenden Überlegungen schon ähnlich waren. Ein weiterer Punkt waren all die ausländischen Netzwerke, die in die Schweiz gedrängt haben und die sich gegenseitig den gleichen Traffic abgekauft und am Schluss dem Werbekunden zum zehnfachen des anfänglichen Preises verkauft haben. Diese wollten wir mit einem intelligenteren Einkaufssystem und einer besseren Aussteuerung mindestens ein Stück weit aushebeln.

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Publisher unter Zugzwang

Im Gespräch mit der Werbewoche erklären zwei Pioniere des Real-Time-Advertising, weshalb sich Publisher dieser Entwicklung auf kurz oder lang nicht werden entziehen können.

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WW: Geht es um den Handel von Online- Werbeplätzen in Echtzeit, dem sog. Real-Time- Advertising (oft als Real-Time-Bidding bezeichnet), so ist ein Tradingdesk ein zentraler Begriff. Welches war in euren Unternehmen die auslösende Motivation, um mit einem Tradingdesk aktiv zu werden?
Prinz: Die Erkenntnis, dass diese Technologien in den USA und in Grossbritannien bereits angewandt werden. Und so haben wir vor etwa zwei Jahren begonnen, uns nach Technologien umzusehen, die in der Schweiz eingesetzt werden können. Das war ein längerer Prozess, bis wir einen Partner wie App Nexus gefunden haben und wirklich anfangen konnten. Der Durchbruch gelang dann, als es möglich wurde, aus der Schweiz heraus Crossborder-Traffic automatisiert einzukaufen. Das haben wir nun seit einem Jahr im Einsatz und jetzt geht es extrem schnell.
 
Sind Sie bei Mediaschneider auch schon vor zwei Jahren gestartet?
Semmler: Etwas später, wenngleich die grundlegenden Überlegungen schon ähnlich waren. Ein weiterer Punkt waren all die ausländischen Netzwerke, die in die Schweiz gedrängt haben und die sich gegenseitig den gleichen Traffic abgekauft und am Schluss dem Werbekunden zum zehnfachen des anfänglichen Preises verkauft haben. Diese wollten wir mit einem intelligenteren Einkaufssystem und einer besseren Aussteuerung mindestens ein Stück weit aushebeln.
 
Was haben Sie bisher in die Tradingdesks investiert?
 Prinz: Wenn man bedenkt, dass für die Einführung eines voll funktionstüchtigen Tradingdesks mehrere Mitarbeiter auf Management- Ebene während fast zwei Jahren für Know-how-Aufbau, Evaluation und Prozessoptimierung involviert waren, dann kommt man schnell auf einen hohen sechsstelligen Betrag. Dazu braucht es mindestens fünf weitere hoch qualifizierte Mitarbeiter für den laufenden Betrieb. So gesehen haben wir bis zum heutigen Zeitpunkt gut und gerne eine Million Franken investiert.
 
Um welche Job-Profile geht es da?
Prinz: Zum einen den Ad-Trader, der den automatisierten Einkauf überwacht …
… welche Vorkenntnisse und Erfahrungen braucht es dafür?
… sehr viel Erfahrungen mit Ad-Server-Systemen. Da kann sich ein sogenannter Trafficer zum Ad-Trader weiterbilden. Er braucht ein analytisches Verständnis und ein Gefühl für Zahlen. Und dann natürlich ein Flair für den Handel, um bei verschiedenen Quellen einzu kaufen, damit dies möglichst zum Vorteil für den Werbekunden wird. Dann braucht es den Manager Automatic Buying, einen modernen Kampagnenmanager. Er bucht die Kampagnen ins System ein und beschafft die Werbemittel.
 
Welches ist da der ideale Background?
… der war bestenfalls schon als Kampagnenmanager tätig und kennt sich mit einem Ad- Server-System oder mit Google aus. Er muss die Kampagnen sehr genau ins agentureigene Ad-Serving-System eingeben und auch Reportings generieren. Und das dritte Profil ist der Campaign-Engineer, der vom beruflichen Hintergrund her ein Informatiker ist. Er muss alle Einkaufsquellen auf eine zentrale Datenbank bringen und mit dem Ad-Server-System verbinden.
 
Sehen Sie das bei Mediaschneider gleich?
Semmler: Als reine Digitalagentur hat Serranetga natürlich einen etwas anderen Fokus als wir, die wir die gesamte Kampagnenarchitektur im Auge behalten müssen. Deshalb brauchen wir immer noch klassische Planer und müssen diese dahingehend ausbilden, dass sie auch Analysten werden. Die müssen die richtigen Schlüsse aus dieser sehr komplexen Materie ziehen können. Das ist schon ein Prozess, der nicht von heute auf morgen geht.
Prinz: Genau hier, beim Personal, stecken die wesentlichen Investitionen drin. Derzeit sind wir daran, diese Themen zu beackern und die internen Prozesse zu optimieren. Etwa die Daten so abzulegen, dass intelligente Monitoringtools darauf angewendet werden können.
 
Welchen Anteil des Digital-Werbegeschäfts können Sie heute über die Tradingdesks abwickeln?
Prinz: Etwa 60 Prozent. Jetzt haben wir als Agentur den Einkauf so weit optimiert, dass der Zwischenhandel mit Netzwerken ausgeschaltet ist, die eine Marge von bis zu 70 Prozent abschöpfen. Das macht den Einkauf um ein Mehrfaches günstiger.
Semmler: Bei uns ist das weniger, etwa 20 Prozent.

Und wie viele Handelspartner haben Sie am Tradingdesk angeschlossen?
Prinz: Mit App Nexus, Weltmarktführer im Bereich der Echtzeit-Werbetechnologie, haben wir eine Haupt-DSP [Demand-Side-Plattform] und mit zwei weiteren haben wir Lizenzen. Und auch wir buchen zum Teil noch manuell ein und auch Google muss separat dazugezählt werden, was etwa 30 Prozent des Inventars ausmacht.
 
Benutzen Sie bei Mediaschneider auch vorwiegend App Nexus? Semmler:
Weil es nicht so viele gibt, die in dieser Liga mitspielen, muss man davon ausgehen. Und auch bei uns macht die Schnittstelle zu Google einen grossen Teil aus.
 
Wo ergeben sich die hauptsächlichen Vorteile aus einem Tradingdesk?
Prinz: Es geht vor allem darum, die Transaktionskosten zu minimieren und Prozesse zu optimieren. Bisher musste mit jeder Website, mit jedem Netzwerk telefonisch verhandelt werden. Auch können wir so die kostspieligen, aber wenig wirksamen Zwischenhändler mit ihren Netzwerken ausschalten. Oft mussten ganze Pakete eingekauft werden in der Hoffnung, dass darin einige User den verlangten Zielgruppen entsprechen. Heute versuchen wir mittels Cookies gewisse Userprofile zu generieren und können mittels Real-Time-Bidding, diese User genau im richtigen Moment mit dem passenden Werbemittel beim Surfen abholen. Das bringt für den Werbekunden wichtige Vorteile, denn es entfallen all die Streuverluste und Doppeleinkäufe.
 
Es wird aber auch kritisiert, es gebe ein Arbitragegeschäft und Kickbacks und die Abläufe seien intransparent. Wie gehen Sie gegenüber den Kunden damit um? Prinz:
Das ist kein Thema. Haben Kunden bisher über Netzwerke gebucht, sind sie nun ein Jahr später etwa zehnmal effizienter. Jeder Werbefranken wird damit optimiert.
Semmler: Absolut. Bei neuen Technologien geht es immer auch um Verständnisfragen. Wir versuchen das gegenüber den Kunden so transparent wie möglich zu machen.
 
Verlangen Kunden mehr Transparenz?
Prinz: Leider fragen Werbetreibende noch viel zu wenig. Sonst würden sie längst nicht mehr Klicks buchen wollen. Sie geben sich oft mit den falschen Messwerten zufrieden, denn ein Klick nützt allein gar nichts. Besser sind performance- orientierte Kennwerte, wie etwa die Anzahl generierter Leads. Darum sind wir auch stets bestrebt, unsere eigenen Kunden aktiv über die Ersparnisse, die sich ihnen durch RTB bieten, zu informieren.
Semmler: Sind Ziele definiert worden, ist das ja auch messbar. Allerdings kommt auch immer die Frage, auf welchen Sites in einem Netzwerk der Kunde in Erscheinung tritt. Und da muss man halt nochmals erklären, dass mit diesem System ein absoluter User-Fokus verbunden ist.

Wie nehmen Sie die Publisher in der Schweiz wahr, wenn es um dieses Thema geht?
Prinz: Bei den nationalen Publishern gibt es natürlich gewisse Ängste, weil Real-Time-Bidding mit der Performance-Schiene assoziiert wird. Doch uns als Agentur geht es überhaupt nicht nur darum. Wir wollen in erster Linie die Transaktionskosten senken …
Semmler: … ja, hundert Prozent einverstanden …
Prinz: … und zwar für alle Parteien. Erstens bei uns, weil wir nicht drei Mitarbeiter beschäftigen müssen, die ständig Flights einbuchen. Dann wollen wir keine Netzwerke dazwischen haben, die auch noch Margen abschöpfen. Und wir wollen auch nicht, dass die Publisher zehn Leute beschäftigen müssen, die Telefone abnehmen und manuell im Ad-Serving- System, sagen wir, Bewegtbildwerbung einbuchen müssen.
 
Aber weshalb verweigern sich Publisher den RTB-Abläufen? Manche sagen ja, das komme für sie noch lange nicht infrage.
Semmler: Da gefriert mir natürlich das Blut in den Adern, wenn ich solches höre. Ich glaube, das ist einfach Angst vor dem vermeintlich tieferen TKP. Da gibt es natürlich auch gewisse Kräfte, die das beeinflussen.
 
Welche?
Semmler: Das sind die Kräfte, die heute ein Arbitrage-Geschäft betreiben. Und logischerweise haben die kein Interesse daran. Uns geht es in erster Linie um das automatisierte Modell. Nur wegen des automatisierten Einkaufs ist sicher kein Preiszerfall im Premiumsegment zu erwarten.

Was wäre den Publishern zu antworten, weshalb RTB nicht zwangsläufig schlecht sei?
Prinz: Wir können es ab sofort technologisch so aufgleisen, dass wir am 1. oder am 2. Januar damit anfangen können. Von den Budgets, die sonst ins Ausland abwandern, wird dann ein Teil als Premium gebucht. Dazu werden drei bis fünf Premiumwerbeformen definiert, damit sie automatisch eingebucht werden können. Natürlich etwas günstiger, weil ja auch beim Publisher der Aufwand wegfällt, aber zu hohen TKPs.
 
Weshalb befürchten Publisher denn, die Preise könnten wegen RTB ins Fallen geraten?
Prinz: Ein gewisser Teil ist Unverständnis für die Technologie. Denn «Bidding» impliziert unglücklicherweise, dass es um den Preis und nicht um den Prozess geht. Auch habe ich Publisher schon fragen gehört‚ wie soll ich dann meinen guten Kunden ein gutes Angebot machen, wenn ich nicht mehr selber steuern kann, was es kostet?
 
Welches ist die Antwort auf diese Befürchtung?
Prinz: Dass man die Masse ja immer noch hat. Sonderdeals sind ja immer noch möglich. Es wird darum gehen, anstatt von Real-Time-Bidding von Real-Time-Adverting zu sprechen. Und zwar weil es darum geht, den richtigen User im richtigen Moment zu erwischen. Dazu braucht es notabene auch keine hoch-komplexe SSP-Maschine [Sell-Side-Plattform], auch moderne Ad-Server genügen schon. Dann können wir beim Publisher automatisch einbuchen und es gilt der vereinbarte TKP von sagen wir 17 Franken …
 
 … ohne dass noch ein eigentliches Bidding stattfindet, aber es läuft automatisiert ab
Semmler: … exakt. Dann können sich die Leute wieder auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren. Denn ein richtig guter Planer im Digitalbereich ist zu teuer, als dass er per Fax Buchungen für Onlinewerbung macht. Betrachte ich etwa den klassischen TV-Markt, gibt es selbst dort besser automatisierte Abläufe als wir sie aktuell im Online haben.
 
Was machen Sie, wenn Publisher nicht mitmachen?
Prinz: Dann buchen wir bei den Schweizer Premium-Publishern den Erstkontakt und die weiteren Kontakte über RTB – zu wesentlich günstigeren Preisen.
 
Das ergibt schon einen gewissen Zugzwang. Kann man heute Kampagnen nur mit ausländischen Sites fahren? Prinz: Im Performance-Bereich spielend. Denn wir haben pro Monat zwei Milliarden Ad-Impressions zur Verfügung …
 
… also braucht es die Schweizer Publisher dazu gar nicht …?
Prinz: … im Performance-Bereich nicht. Aber es wäre begrüssenswert, wenn wir Schweizer Inventar buchen könnten, auch zu höheren Preisen.
Semmler: Denn aktuell verdienen die Schweizer Publisher kein Geld an den Budgets, die über RTB-Systeme laufen, und das ist sicher nicht unwesentlich. Und ich denke, es sollte ein Anreiz geschaffen werden, um an diesem wachsenden Kuchen partizipieren zu können.
 
Der Zugzwang für die Publisher wird immer wie grösser …?
Semmler: Das kann man sicher so sagen.
 
Kann auch für Branding-Kampagnen auf Schweizer Sites verzichtet werden? Semmler:
Nein. Da brauchen wir die User auf diesen Plattformen. Aber die kriegen wir auch heute schon, wenn das vorhin erwähnte Modell angewandt wird. Sicher brauche ich für Branding-Kampagnen die Schweizer Publisher. Keine Diskussion.
 
Welche konkreten Gespräche haben Sie denn mit Schweizer Publishern?
Semmler: Ich habe regelmässig solche Kontakte und versuche, einen Schritt nach dem anderen zu machen. Etwa die prozessorientierten Vorteile klarzumachen. Oder aufzuzeigen, dass Schweizer Publisher, sagen wir mal, von einer holländischen Airline Geld einnehmen könnten, was bisher kaum möglich ist, weil der Aufwand viel zu gross war. Ich merke schon, dass das Verständnis dafür wächst. Doch gewisse Publisher bewegen sich mit einem eigenen Netzwerk in eine etwas andere Richtung …
Prinz: … Ja, das PPN, dessen Zweck in die richtige Richtung geht. Nämlich die vereinfachte Buchung von Schweizer Premium-Inventar, das zudem mit relevanten Profil-Informationen angereichert ist. Das Defizit besteht im Moment noch darin, dass das PPN in sich geschlossen ist und somit nicht mit dem RTBInventar kombiniert werden kann. Somit entfällt der wichtigste Vorteil von Real-Time-Advertising.
Semmler: Und es gibt andere grosse Publisher, wie etwa MSN, die ihren Traffic über eine SSP zur Verfügung stellen. Deshalb muss das Verständnis wachsen und wächst auch.
 
Inwiefern sind auch andere bestehende Netzwerke und Vermarkter bedroht und müssen sich unter Zugzwang anpassen?
Semmler: Schweizer Netzwerke sind im Performance- Bereich zu teuer im Vergleich zum ganzen Crossborder-Traffic. Aber aus einem Branding-Aspekt heraus kann es Sinn machen, die Swissness in solchen Netzen einzukaufen.
 
Könnten sich solche Netze nicht auch für RTB öffnen?
Prinz: Natürlich könnten sie das. Aber ihr Geschäftsmodell als Zwischenhändler würde dabei obsolet. Denn mit dem automatisierten Einkauf per RTB könnte man genauso gut direkt bei den Publishern einbuchen.
 
Sie beide sind Pioniere auf diesem Gebiet. Wie nehmen Sie sonst die Branche wahr, wenn es um dieses Thema geht? Ziehen alle am gleichen Strick oder ist man auch froh, dass die Publisher bei RTB nicht voll Gas geben?
Semmler: Immer wenn eine hohe Marge zwischen Traffic-Einkauf und Traffic-Verkauf eine Rolle spielt, gibt es kein grosses Interesse, das System zu ändern.
Prinz: Die ganzen Ausbildungen sind klassisch auf Umfeldplanung ausgerichtet. Wer heute einen Job hat, hat kein Interesse, etwas Neues zu machen. Auch wer ein gut laufendes Geschäft hat, will daran nichts ändern. Das ist logisch.
 
Könnte es dennoch sein, dass RTB in der Schweiz zum Rohrkrepierer wird?
Prinz: Auf keinen Fall – wirklich auf keinen Fall. Es kann nicht die Zukunft sein, dass per Telefon bei jedem Publisher einzeln eingebucht wird.
Semmler: Nein, da lege ich meine Hand ins Feuer. Die Aussteuerung hat eine ganz andere Qualität, die Kontaktklassenoptimierung hat eine ganz andere Qualität – auf keinen Fall.
 
Interview: Christoph J. Walther

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