«Auf Reisen realisiere ich, dass wir ‹nur Werbung› machen und keine Menschen, Bäume oder Tiere retten»

Karin Estermann, Executive Creative Director und Inhaberin von Inhalt und Form, beantwortet unsere «13 Fragen».

1. Was kommt Ihnen auf keinen Fall ins Büro?

Bei uns sind alle und alles willkommen – ausser die Einbrecher, welche kürzlich da waren. Diese sind bei uns eingebrochen, obwohl wir gerade erst eine Anti-Einbrecher-Kampagne für die Stadtpolizei Zürich lanciert hatten (lacht).

2. Welche Printmedien haben Sie privat abonniert?

Die Handelszeitung. Diese lese ich am Samstagmorgen: offline ausgebreitet auf dem Küchentisch mit einer Tasse Kaffee.

3. Welche Werbung sollte man verbieten?

Es gibt immer noch zu wenig genderneutrale Werbung. Frauen, die mit der Hand über die frisch gewaschene Wäsche streichen, und Autowerbung, in der Männer in die Freiheit fahren, um das absolute Fahrgefühl zu verspüren, nerven mich total. Frauen fahren nur immer in den kleinen Autos oder die Familien-Kutschen. Dann auch das Self-Marketing auf LinkedIn. Heute klingt ein einziger Jobtitel so: Serial Entrepreneur, Blockchain-Pro, Cryptocurrency-Evangelist, Life Coach, Marketing Pro, Influencer, Keynote-Speaker, Chief … bla, bla …

4. Das beste Buch, das Sie in letzter Zeit gelesen haben?

«Growth Hacking» von Thomas Herzberger & Sandro Jenny. Geht runter wie Honig. Das Buch verfolgt einen smarten Ansatz, wie man lean und mit viel Testing Wachstum erzielen kann. Viele Konzepte und kreative Werbemethoden werden im Buch gelungen miteinander verknüpft.

5. Auf welche drei elektronischen Geräte könnten Sie zuletzt verzichten?

Ich kann nicht auf meinen Entsafter verzichten (für die gesunden Säfte am Weekend), dann brauche ich dringend alle Fernbedienungen, die es nur gibt – um Präsentationen zu beamen und um privat alles vom Sofa aus zu steuern. Und ich brauche mein Handy – damit könnte ich den Rest regeln.

6. Wären Sie nicht Werberin geworden – was dann?

Ich wäre ziemlich sicher Apothekerin geworden. Besser: Apothe-KARIN. Weil ich für jede kleine Beschwerde ein passendes Medikament in der Büroschublade habe.

7. Fallen Sie auf Werbung herein? Wann?

Ständig. Vor allem im Kosmetik-Bereich. Ich liebe diese Adjektiv-Steigerungen: Ich kaufe tatsächlich diese «Hyper-Extendend- Length-Darker-Than-Black-Mascaras» und auch diese «Cellular- Hyaluron-Youth-Regeneration-Laser-Undereye-Creams» und denke, sie wirken. Und das obwohl meine linke Gehirnhälfte weiss: Sie enthalten nur Glycerin und Wasser.

8. Schon mal überlegt, die Werbebranche zu verlassen?

Es gibt diese wahnsinnigen Chaostage, die jeder Werber kennt. An denen denke ich: «Holt mich hier raus.» Dann überwiegt aber schnell wieder: «I love my job.» Denn die stetig neuen Aufgaben, sich so tief in viele verschiedene Branchen, Firmen und Materien reinzudenken und dadurch noch stetig neues Wissen zu erlangen – die reizen mich sehr.

9. Wieso entsprechen Sie nicht den gängigen Klischees eines Werbers?

Klischees für Werber existieren für mich nicht mehr. Die Branche wird in den kommenden Jahren stetig im Wandel bleiben und sich neu erfinden müssen. Klischees werden durch die andauernden Veränderungen keine Zeit haben aufzukommen.

10. Wie wissen Sie bei einer Idee, dass sie gut ist?

Ich weiss schnell, ob die Idee Potenzial hat oder nicht. Ob sie wirklich sitzt, weiss ich erst, wenn diese umgesetzt ist. Denn vom ersten Funken bis zum richtigen Medium und der Gestaltung kann noch einiges gehen.

11. Welche Person würden Sie gerne einmal in einer Ihrer Kampagnen sehen?

Adam Driver. Ich habe ihn übrigens lange vor Breitling entdeckt, nur hatte ich leider gerade nicht die passende Kampagne für ihn (lacht).

12. Was war das Beste, das Sie in den letzten fünf Jahren getan haben?

Immer wieder eine Werbepause einzulegen, um in die grosse Welt zu reisen. Das lüftet den Kopf für neue Ideen und inspiriert mich sehr. Zudem realisiere ich dann wieder, dass wir «nur Werbung» machen und keine Menschen, Bäume oder Tiere retten.

13. Welche Werbekampagne aus Ihrer Kindheit hat einen bleibenden Eindruck auf Sie hinterlassen?

Ein 80er-Jahre-TV-Spot: «Drei Wetter Taft» – das Haarspray von Schwarzkopf. Den Werbetext dazu kann ich auswendig: «Hamburg, 8.30 Uhr, wieder mal Regen. Perfekter Halt fürs Haar – Drei Wetter Taft. Zwischenstopp München, es ist ziemlich windig. Perfekter Sitz – Drei Wetter Taft. Weiterflug nach Rom, die Sonne brennt. Perfekter Schutz – Drei Wetter Taft.» Dazu sah man eine schick gekleidete Businessfrau, die mit einem Privatjet und ihrer perfekt gestylten 80er-Jahre-Frisur durch die Welt fliegt. Ich wollte unbedingt diese Frau sein.

Karin Estermann ist seit zwölf Jahren in der Werbebranche tätig und hat für diverse namhafte Agenturen gearbeitet. Nach der Wirtschaftsmatura und dem Studium an der Hochschule für Gestaltung und Kunst war Estermann zuerst in grossen Agenturen Londons tätig, danach in renommierten Agenturen wie Leo Burnett, TBWA und als Freelancerin für viele weitere Kreativagenturen. Seit 2017 führt Estermann zusammen mit Dominik Stibal die Werbeagentur Inhalt und Form als Inhaberin und Executive Creative Director. Zudem hat sie das Unternehmen «Get Long Legs» gegründet, das erfolgreich Schuh-Einlagen verkauft.

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