Und sie schauen doch!

Fernsehen lebt – aber muss flexibler werden, auch in Bezug auf die Werbung. Das sind die wichtigsten Erkenntnisse des Screenforce Day 2019.

Der Screenforce Day 2019 ist vorbei – und wenn er 2020 das nächste Mal stattfindet, dürfte sich in der Schweizer TV-Branche einiges bewegt haben. Das muss man zumindest annehmen, wenn man den Vorträgen des Events Glauben schenkt. Denn um der zunehmenden Individualisierung im Zuschauerverhalten Rechnung zu tragen, muss schnell gehandelt werden.

Herausforderungen als «Roter Faden»

Die Herausforderungen, mit denen sich das Medium TV konfrontiert sieht, dienten als eine Art Roter Faden für die Veranstaltung. Die «Digital Natives» der «Generation Z» konsumieren Bewegtbild längst nicht mehr linear, sondern parallel auf mehreren Kanälen. Sind Sie also für das klassische Fernsehen – und die Fernsehwerbung – verloren?

Und, anschliessend daran: Lässt sich ein Goldstandard für die Messung des Multichannel-Konsums etablieren, mit dem Werbung noch präziser als heute platziert werden kann?

TV wirkt auch bei Digital Natives

Alain_Messerli

Alain Messerli präsentierte die Studie Screenforce Schweiz.

Bei diesen Fragen leuchtet ein, dass die Ergebnisse der neusten Screenforce-Schweiz-Studie mit Spannung erwartet wurden. Dabei wurden 1000 Personen im Alter von 16 bis 29 Jahren in der Deutschschweiz befragt. Beim heutigen vielfältigen Angebot an Bewegtbild stellten sich die Forscher bei ihrer Studie «Fernsehen – Die Quality Time der Digital Natives» die Frage, welche Rolle TV im Medienkonsum von Jungen spielt.

Entgegen der weit verbreiteten Annahme, dass TV für Junge kaum mehr relevant sei, kommt die Studie zum Ergebnis, dass Digital Natives sehr wohl TV schauen. Die jungen Testimonials, die immer wieder in Videos eingespielt wurden, beschreiben den TV-Konsum als wertvolle Zeit, als «Quality Time», die sie oftmals in Gesellschaft verbringen würden. Ganz im Gegensatz zum Konsum von Social Media, den sie als stressig beschreiben, sei die Zeit vor dem Fernseher für sie Entspannung. Die Empfänglichkeit für Werbung wäre, wenn das für das Gros der Jugendlichen zutrifft, damit signifikant.

TV hat den grössten Wirkungsbetrag

In eine ähnliche Richtung gehen die Ergebnisse der Studie «Der Beitrag von TV zum Werbeerfolg», die Günter Linke, Director Research bei Dentus Aegis Resolutions, im Anschluss präsentierte. Die Studie, die er für Screenforce durchführte, ging der Frage nach, ob TV in Zeiten des fragmentierten Medienkonsums noch wirkt. Die Ergebnisse können so interpretiert werden, dass TV im Vergleich zu anderen Medien nach wie vor der grösste Treiber für Bekanntheit und Absatz ist. Selbst bei kleinen und mittleren Budgets, so Günter Linke, lohne sich das Ausspielen von Werbung im TV.

Konvergente Bewegtbildwährung

Hackenbruch Kons

Tanja Hackenbruch im Gespräch mit Moderator Wolfram Kons. 

Tanja Hackenbruch und Mirko Marr stellten nach einer Networking-Pause das Projekt «Online TV Audience Measurement» vor. Die grosse Frage, die sich dabei stellt: Lässt sich der Standard der TV-Messung auf die digitale Welt übertragen und wird sie dann so zur konvergenten und vergleichbaren Bewegtbildwährung? Das Projekt von Mediapulse zielt darauf ab, das TV-Panel entsprechend auszustatten und dessen Nutzung von Online automatisch zu messen.

Replay-TV: Fluch und Segen zugleich

Wenn man heute von TV spricht, so geht es immer auch um die zeitversetzte Nutzung. Das Thema «Replay» wurde Ende letzten Jahres im Parlament heiss diskutiert und das Thema ist nach wie vor aktuell. Wieso die zeitversetzte Nutzung für die Werbung Fluch und Segen zugleich ist, führten Beatrice Kniel, Chief Marketing Officer & Managing Director Broadcast bei Admeira und Alexander Duphorn, CEO Goldbach Media, aus. Die veränderten Umstände verlangen neue Werbeformen, sind sie sich einig. Denn ohne Werbung fehlt den TV-Sendern die wichtigste Finanzierungsgrundlage. Alexander Duphorn und Beatrice Kniel zeigten, wie solche neuen Werbeformen aussehen könnten.

Anschliessend nahm Alexander Duphorn sich die Zeit, mit werbewoche.ch ein vertieftes Interview zu der Thematik zu führen. Dieses hören Sie hier in voller Länge:

Weg von der Marke hin zur Kundenzentrierung

Einen Blick in die nahe und etwas fernere Zukunft warf Prof. Wolfgang Henseler von Sensory-Minds GmbH. Er zeigte in seiner Präsentation, wie innovative Technologien und die Nutzerzentrierung den TV-Markt verändern. Die digitale Transformation ist gemäss Wolfgang Henseler eine mentale Transformation. Ein Umdenken sei gefragt: «Wer nutzerzentriert denkt, ist erfolgreich. Wenn wir in Marken und nicht in User Experience denken, dann wird es uns in zehn Jahren nicht mehr geben. Es geht dabei um den Nutzen der Technologie für den Menschen». In Zukunft wird es um Smarte Ökosysteme gehen: Nutzerzentriert, alles, jederzeit und überall, situativ relevant. Das Denken in klassischen TV-Kanälen muss sich hin zur User Experience verändern.

Mit diesem inspirierenden Ausblick beschloss Henseler die Veranstaltung – bis sich die Branche am 26. September zur «Screen-up» wiedersieht.

Screenforce_Day

Das sagen die Werbeauftraggeber

Prinzipiell ist der Verband der Schweizer Werbeauftraggeber diesen Massnahmen gegenüber positiv eingestellt. So sagte SWA-Direktor Roland Ehrler am Rande des Screenforce Day: «Der SWA trägt die Entscheide des Verwaltungsrats der Mediapulse mit, umso mehr der Verband dort Einsitz und eine Stimme hat. Deshalb begrüsst der SWA die Absichten der Mediapulse, den TV-Konsum auch auf weiteren Endgeräten zu messen.»

Gleichzeitig fügte Ehrler hinzu: «Die Werbeauftraggeber wünschen sich allerdings nicht nur eine Reichweitenmessung des traditionellen TV-Konsum auf allen Endgeräten, sondern ebenso eine unabhängige Bewegtbildmessung für alle relevanten Plattformen. Nur so ergibt sich ein Gesamtbild und vielleicht bald einmal eine einheitliche Bewegtbildwährung?»

Weitere Artikel zum Thema