Marketing mit humanem Antlitz

Aufgefallen Im Customer Relationship Management (CRM) gehts um die Wurst, sprich: um zufriedene, treue Kundschaft. Zwei Beispiele und eine Schlussfolgerung.

Kolumne Im Customer Relationship Management (CRM) gehts um die Wurst, sprich: um zufriedene, treue Kundschaft. Zwei Beispiele und eine Schlussfolgerung.Sprechen wir über Kundenbindung. Keine Angst, ich will mich nicht über Datamining und andere «Errungenschaften» des IT-gestützten Marketings auslassen. Ich möchte Ihnen bloss zwei Geschichten erzählen.Die erste beginnt am Bellevue. Dort steht Zürichs bekannteste Würstchenbude: der Vordere Sternen. Dessen Bratwürste haben nationale Berühmtheit erlangt. Wer dort nicht mindestens einmal pro Quartal im Vorderen Sternen über Mittag oder vor dem Opernhausbesuch Halt macht, gilt in Zürichs High Society nicht als chic.
Deshalb suchte ich diesen unfreundlichsten aller unfreundlichen Würstchenstände kürzlich wieder einmal auf. Und wurde nicht enttäuscht: Nachdem ich die sechsfränkige Bratwurst mit einer Zwanzigernote bezahlt hatte, drückte mir der ungehobelte Mensch hinter dem Tresen das Wechselgeld in Münz in die Hand. Auf meine Bitte hin, ob er mir nicht eine Zehnernote zurückgeben könne, erklärte er ohne auch nur einen Blick in seine Kasse zu werfen: «Hab keine mehr.»
Ich bat ihn, doch seinen Kollegen zu fragen. Dieser kam auch tatsächlich, streckte mir sein mit Zehnernoten gefülltes Portemonnaie entgegen und sagte: «Nein, die zwei Fünfliber sind mir zu schwer.» Worauf mir nichts anderes übrig, als meine Bratwurst zurückzugeben und hungrig von dannen zu ziehen.
Doch das machte gar nichts. Denn erstens will ich ohnehin sechs Kilo abnehmen, seit mir meine Lebenspartnerin in der ihr eigenen diplomatischen Art sagte, «solche Pausbacken hattest du noch nie». Zweitens gibt es nur wenige Schritte vom Vorderen Sternen entfernt Globus, Sprüngli und Migros Gourmessa. Auch dort kann man sich bestens verpflegen und wird erst noch sehr freundlich bedient. Und drittens war ich vierzig Jahre Kunde im Vorderen Sternen. Höchste Zeit also, mal was Neues auszuprobieren.
Eigentlich bin ich aber ein sehr loyaler Kunde – wenn ich nicht nur als solcher, sondern auch als Mensch behandelt werde. So wie in der zweiten Episode, die in Sils-Maria spielt.
Was verbindet die Nobelherberge Waldhaus mit obigem Bratwurststand? Klar, die hervorragende Lage. Der Blick vom Felsen, auf dem das Hotel steht, über die Ebene und den Silsersee, lässt das Herz jedes Engadin-Besuchers höher schlagen.
Dass man sich das gerne etwas kosten lässt, hat viel mit Direktor Urs Kienberger und seinem Team zu tun. In den vergangenen Jahren war ich zwei, drei Mal Kienbergers Gast, der einen jeweils persönlich willkommen heisst und sich auch später regelmässig nach dem Befinden erkundigt.
Das sei doch normal für ein Fünf-Sterne-Haus, werden Sie einwenden. Ist es leider nicht. Ausserdem lässt es Kienberger dabei nicht bewenden.
So sassen wir unlängst zusammen mit einem Verwandten aus den Vereinigten Staaten im Speisesaal. Es war schon gegen zehn Uhr abends, als meine Mutter anrief und sagte, mein Vater werde am nächsten Morgen überraschend operiert. Natürlich packten wir sofort und fuhren zurück nach Horgen.
Dort erreichte mich drei Tage später ein kleines Couvert aus Sils. Es war von Hand angeschrieben, und auch die Zeilen in seinem Inneren waren handschriftlich verfasst. Sie stammten von Urs Kienberger, der sich nach meinem Vater erkundigte und ihm gute Besserung wünschte. Ich war tief gerührt. Keine Sorge, ich kann sehr wohl unterscheiden, ob etwas aus Marketingüberlegungen oder aus ehrlicher Anteilnahme geschieht. Besagter Brief gehört eindeutig in letztere Kategorie.
Einverstanden: Die zwei Episoden scheinen auf den ersten Blick nicht weltbewegend. Schweizer Dienstleistungsalltag eben. Lehrreich sind sie trotzdem: Sie zeigen, dass Kundentreue auch heute keine Frage von Datamining und CRM-Software, sondern von Anstand und Einfühlungsvermögen sind.
> Sacha Wigdorovits ist Chef der Zürcher Kommunikationsagentur Contract Media.

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