«Fantastische Möglichkeiten»

Nach 80 Tagen im Amt präsentiert der neue Tamedia-CEO Martin Kall seine Unternehmensstrategie

Nach 80 Tagen im Amt präsentiert der neue Tamedia-CEO Martin Kall seine UnternehmensstrategieVon Daniel Schifferle Mit der Bekanntgabe der neuen Unternehmensstruktur zeichnet Martin Kall das Szenario einer offensiven Tamedia. Eine langatmige Akquisitions- und Kooperationspolitik im Print- und Radiobereich ist angesagt. Beim Kader gibt es Gewinner und Verlierer.
Martin Kall, bereits seit 80 Tagen als CEO bei Tamedia, hat seine eigene Vision bekannt gegeben. Die neue Strategie zieht einen Schlussstrich unter eine schwierige Zeit. Nach dem Debakel mit TV 3 und Winner ist allerdings bereits ein nächster Galopp angesagt. Dieses Mal mit Print und Radio. Kall kündigt eine langatmige Einkaufs- und Koopera-tionspolitik an – als Grundrezept in einem dicht besetzten Medienmarkt. «Wir müssen unternehmerischer und mittelständischer werden», beschreibt Kall seine neue Vorwärtsstrategie.
Schlagkräftiger und übersichtlicher will er Tamedia organisieren. Vollzogen wird dies mit der Fokussierung auf die drei Bereiche Zeitungen, Zeitschriften und elektronische Medien. Auf den Führungsposten nehmen alteingesessene Tamedia-Kaderleute Platz. Ein Zeichen dafür, dass die Zeit für Experimente vorderhand vorbei sein dürfte.
Jürg Brauchli, stellvertretender Vorsitzender der Unternehmensleitung, führt den Bereich Zeitungen. Alexander Theobald steht dem Bereich Zeitschriften vor. Seine Aufgabe werde es sein, die Stellung von Tamedia als bisherige Nummer zwei im Schweizer Zeitschriftenmarkt auszubauen. Eine unerwartete Lösung ergibt sich im Bereich elektronische Medien. Dieser wird von Andreas Meili, dem bisherigen Chef des Rechtsdienstes, geleitet. Meili war in den vergangenen Monaten für die erfolgreiche Akquisition von Radio Basilisk verantwortlich.
Die Wahl einer Person, die bisher weder einen Verlag noch eine Redaktion geleitet hat, ist auch Ausdruck dafür, wohin es im Bereich elektronische Medien gehen wird. Beim Radio sind weitere Kooperationen und Akquisitionen angesagt, und dafür ist ein Jurist die richtige Person. «Unser Ziel ist, mit Radio in der Deutschschweiz eine Senderfamilie aufzubauen», sagt Kall.
Nicht auf den Chefposten elektronische Medien geschafft hat es Belcom-Chef Christian Stärkle. Von Rücktrittsgerüchten in diesem Zusammenhang nimmt Stärkle aber klar Abstand. «Natürlich macht man sich bei jedem Strukturwechsel auch Gedanken, aber ich habe mich nicht wirklich mit Rücktrittsideen beschäftigt», sagt Stärkle gegenüber der WerbeWoche. Und er ergänzt: «Bezüglich meiner Aufgaben ändert sich nichts.»
Eine Offensive ist auch bei Printmedien angesagt
Kall kündigt eine klar auf Print fokussierte Strategie an, wobei er die Sorge angesichts der aktuellen Position nicht verschweigt. «Der Abstand der anderen Regionalzeitungen zum Tages-Anzeiger hat sich in den vergangenen Jahren verkleinert», sagt Kall. Für seinen offensiven Kurs – insbesondere auch gegenüber 20 Minuten – werde er sich alle Optionen offen halten. Sowohl Akquisitionen als auch Kooperationen sind denkbar. «Es geht um intelligente Konzepte und um intelligente Kooperationen», sagt Kall und nennt als gutes Beispiel das Modell der Mittelland Zeitung.
Den Fokus setzt er mittelfristig in der Schweiz. «In den nächsten fünf Jahren gibt es im Schweizer Medienmarkt fantastische Möglichkeiten und einmalige Chancen», sagt er. Dem Ausland werde man sich eventuell später zuwenden. Für seine selbstbewusste Expansionsstrategie gibt sich Kall einen Horizont von fünf bis zehn Jahren. «Wir müssen uns mit Geduld heranarbeiten, das braucht sehr viel Zeit.»
Die neue Struktur fordert auch ihre Opfer. Neben dem ausscheidenden René Gehrig, bisher Leiter Verlagsmarketing, müssen sich auch zahlreiche weitere Mitarbeitende mit Änderungen ihrer Positionen und Aufgaben abfinden. Hans Jürg Klöti, seit sechs Jahren verantwortlich für den Anzeigenbereich der ganzen Gruppe, verliert seine bisherige Aufgabe. Neu ist er nur noch Leiter des Anzeigenmarkts Zeitungen sowie für Key-Account-Funktionen zuständig. Als Zurückstufung habe er den Wechsel nicht empfunden, sagt er. Klöti: «Meine bisherige Funktion braucht es nicht mehr. Damit kann ich gut leben.»
Laut Peter Hartmeier seien alle von Abstufungen und Versetzungen betroffenen Personen informiert worden. Auch sei ihnen einige Tage Bedenkfrist eingeräumt worden. «Es gab keine Probleme, alle haben ihre neue Situation akzeptiert», sagt der
Tamedia-Sprecher. Das Resultat habe ihn in dieser Eindeutigkeit selber überrascht.
Zu den Verlierern gehört auch Philipp Löpfe, Chefredaktor des Tages-Anzeigers, der nicht mehr in der Unternehmensleitung einsitzt. In der neuen Struktur könnten sich Chefredaktoren und Programmleiter voll auf ihre journalistischen Aufgaben konzentrieren, lautet die Begründung.
Als neues Organ wird im August die so genannte Publizistische Konferenz (PK) konstituiert. Den Vorsitz hat Hans Heinrich Coninx inne, Stellvertreter ist Martin Kall. Mitglieder werden alle Chefredaktoren, Programmleiter, der Online-Leiter und der Leiter Unternehmenskommunikation sein. Die PK diskutiert die publizistische Ausrichtung der Titel, reflektiert Inhalte und berät die publizistische Führung in journalistischen Fragen. «Wir werden aber keinen Chefpublizisten unter Leitung des Verlegers installieren, interne publizistische Pluralität ist weiterhin unser Ziel», präzisiert Kall.

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