Vorsicht, Täuschung!

Ethik Der Verband Schweizer Presse warnt: Mehr Vermischung von redaktionellem und kommerziellem Inhalt. Beispiel 20 Minuten.

Ethik Der Verband Schweizer Presse warnt: Mehr Vermischung von redaktionellem und kommerziellem Inhalt. Beispiel 20 Minuten.20 Minuten hat schon öfters seine Umschlagseiten für Werbung zur Verfügung gestellt. Am 5. April aber, am Tag nach dem sanften Relaunch, wartete die Pendlerzeitung mit einer Neuheit auf: Erstmals konnte ein Unternehmen, im konkreten Fall Orange, die dritte und vierte Umschlagseite so verkehrt herum gestalten, dass sie wie die Frontseite und die Seite 2 des Pendlerblattes daherkam – Headlines, «News» und Bilder nur zu Orange. Erst wenn man die Zeitung umdrehte, sah man die redaktionelle Frontseite. Mancherorts (vielleicht auch überall?) lagen die Blätter aber so in den Boxen, dass die falsche Front nach oben zeigte. Das Ganze hatte zudem einen Schönheitsfehler: Keine der beiden Orange-Seiten war als Anzeige gekennzeichnet.Rolf Bollmann, Geschäftsführer des Tamedia-Titels 20 Minuten, bestätigt «das Versehen». Man habe die Deklaration allerdings nicht bewusst weggelassen und auch die Zeitungen nicht extra verkehrt herum aufgelegt. «Es war auch keine Vorschrift von Orange», stellt er sich vor den Grosskunden. Zum Beweis verweist er auf die Vergangenheit: «Bisher haben wir es ja immer sauber deklariert.»
Pikant: Nur wenige Tage zuvor hatte das Departement Ethik des Verbandes Schweizer Presse (VSP) auf die oftmals fehlende Abgrenzung von redaktionellen Leistungen und kommerzieller Werbung hingewiesen. Es war dies die erste Stellungnahme überhaupt (!) des seit dreieinhalb Jahren bestehenden Departements. Darin beruft es sich auf den Grundsatz 3.12 der Schweizerischen Lauterkeitskommission, der eine klare und sichtbare Trennung und Kennzeichnung von Redaktion und Werbung verlangt. Zudem plädiert das Departement für Transparenz. «Die primäre und nicht verhandelbare Forderung lautet immer: Es darf keine Täuschung des Lesers zugelassen werden.»
Einen einzelnen, unmittelbaren Anlass für diese Mahnung habe es nicht gegeben, sagt Departements-chef Guido Weber auf Anfrage. «Vermischungen haben aber generell zugenommen, sie stellen in unserem Departement das wichtigste Problem dar. Auch von unseren Mitgliedern erhalten wir immer mehr Anfragen», sagt Weber.
Dass das Thema aktuell ist, dafür gibt es noch weitere Hinweise: So verlangte die Lauterkeitskommission vor kurzem von einem Titel, dass er redaktionelle und bezahlte Inhalte deutlicher trennt. Konkret ging es um Publireportagen, die in der fraglichen Zeitung zwar als solche gekennzeichnet waren, jedoch im selben Layout wie redaktionelle Artikel publiziert wurden (siehe WW 9/05). Derselbe Fall ist auch noch beim Presserat hängig.
Am 8. und 9. April findet darüber hinaus in Winterthur eine Tagung der Schweizerischen Gesellschaft für Kommunikations- und Medienwissenschaft (SGKM) statt. Dort geht es unter anderem auch um das Spannungs- und Abhängigkeitsverhältnis zwischen PR und journalistischer Qualität. Infos unter www.iam.zhwin.ch/sgkm/.
Zweite Front: Die Orange-Werbung sieht genau wie 20 Minuten aus.
Markus Knöpfli

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