Jungfräulichkeit ade

Lokalpresse In ihrem fünften Lebensjahr ist die Jungfrau Zeitung bereits erwachsen geworden – zumindest im optischen Auftritt. Derweil hält der Erfolg im Leser- und Anzeigenmarkt an.

Lokalpresse In ihrem fünften Lebensjahr ist die Jungfrau Zeitung bereits erwachsen geworden – zumindest im optischen Auftritt. Derweil hält der Erfolg im Leser- und Anzeigenmarkt an.
«Gepflegt, gediegen und unaufdringlich» nennt Chefredaktor Stefan Regez den neuen Auftritt seiner Mikrozeitung im Editorial vom 4. Januar. In der Tat: Micha Krautwasser hat dem Blatt (verkaufte Auflage 10500 Exemplare) aus dem beschaulichen Berner Oberland ein geradezu mondänes Erscheinungsbild verpasst. Das liegt weniger an der Hamburger Herkunft des alpinen Art Director als an den Ambitionen des Verlegers von Jungfrau Zeitung, Der Oberhasler, Der Brienzer und dem Echo von Grindelwald. Laut Urs Gossweiler handelt es sich nämlich nicht um ein blosses Redesign, sondern «die Schaffung eines Modells, das richtungsweisend für andere Lokalzeitungen sein kann und soll» (siehe Interview).
Für den Durchschnittsleser der Vierbundzeitung könnte das etwas vermessen klingen, nimmt der neben der Umstellung vom bisher sechs- auf einen fünfspaltigen Umbruch doch allenfalls einige typografische Modifikationen wahr. Denn inhaltlich und dramaturgisch ist alles beim Alten geblieben. Bei 200 Neuabos allein im Dezember sehe er redaktionell «keinerlei Änderungsbedarf», so Gossweiler. Ausserdem werde in der ersten (und immer noch einzigen) Mikrozeitung ja nur die publizistische Spitze seiner Konzeptpyramide sichtbar.
Finanziert wurden Redesign wie auch die Optimierung der darunter liegenden Marketing- und Kommunikationsprozesse, welche letztlich ja den kopierbaren Kern des Konzepts bilden, «fast vollständig» durch die Gewinne aus dem Zeitungsgeschäft der Gossweiler Media AG. Und die sollen natürlich weiter steigen. Helfen dabei müsste die Angleichung des redaktionellen ans Anzeigenlayout, das schon beim Start im Herbst 2000 fünfspaltig angelegt worden ist. Davon verspricht man sich in Interlaken ausser einer ästhetischen Harmonisierung des weiter zweimal wöchentlich erscheinenden Kleinweltblattes auch eine Verschlankung des digitalen Workflow.
Key Partner für TabloidbeilageSeine optische und kommerzielle Unschuld verloren hat auch das jeweils am Freitag der Jungfrau Zeitung beiliegende Magazin für TV, Ra-dio, Events und Kirche(!) namens 7 Tage. Mit Rugenbräu hat die Agenda im Tabloidformat erstmals fürs gesamte Jahr einen Key Partner gewonnen, der mit seinen beiden Produkten Mountain Twister und Jungfrau Wasser im Print wie online zugleich als Sponsor und exklusiv platzierter Inserent präsent ist. Gossweiler ist stolz auf diese lokale Zweckgemeinschaft und negiert jeglichen Konflikt mit der journalistischen Unabhängigkeit seiner Titel. «Im Gegensatz zu unseren Stadtberner Kollegen (die Berner Zeitung druckt und distribuiert seit kurzem die Kulturagenda, Anm. der Red.) lassen wir unser Veranstaltungsblatt wenigstens nicht durch Steuergelder, sondern privatwirtschaftlich unterstützen.»
Neue Gediegenheit: Jungfrau Zeitung mit Beilage 7 Tage.
«Ende des Trainingslagers»Urs Gossweiler, Verleger der Jungfrau Zeitung, über deren neues Outfit und ihre Rolle als Prototyp der Mikrozeitung.
WW: Herr Gossweiler, auf der Frontseite der ersten Nummer unkt Ihr Hauskarikaturist, die Jungfrau Zeitung müsse in ihre neuen Kleider erst noch hineinwachsen. Sehen Sie das auch so?
Urs Gossweiler: Nein, mit ihrer journalistischen Kompetenz füllt unsere Redaktion auch das neue Layout perfekt aus. Ausserdem war dieser Relaunch extrem gut vorbereitet, weswegen bislang keine Kinderkrankheiten aufgetreten sind. Begonnen hat der ganze Prozess ja bereits vor zwei Jahren mit der Komplettrevision unseres Redaktionssystems.
Es handelt sich also um einen softwarebasierten Relaunch.
Richtig. Im Design sichtbar wurde die Weiterentwicklung unseres digitalen Workflow deshalb auch erst im vergangenen Spätsommer. Die Gründlichkeit dieses Vorgehens hängt natürlich mit der Funktion unseres Blattes als Prototyp der Mikrozeitung zusammen. So wurden parallel zum Zeitungs- und Website-Relaunch sehr detaillierte Handbücher für künftige Anwender unseres modularen Konzepts erstellt.
Bedeutet das, die länger schon angekündigten in- oder ausländischen Lizenznehmer der Mikrozeitung sind gefunden?Zunächst einmal sind nun die Duplizierbarkeit und damit die Attraktivität unseres Systems noch besser gewährleistet. Das wissen auch unsere Gesprächspartner sehr zu schätzen. Soll heissen, die Suche ist abgeschlossen, und die Verhandlungen laufen intensiv. Mehr kann ich Ihnen leider noch nicht sagen. Nur so viel: Das gesamte Relaunchprojekt versinnbildlicht, dass wir nach vier Jahren im Trainingslager jetzt das Spielfeld betreten haben.
Wie reagieren die Inserenten auf die neue Gediegenheit des Enfant terrible?Durchwegs positiv. Nicht umsonst können wir gegenüber letztem Januar ertragsmässig heuer nochmals zweistellig zulegen. Und dies, obwohl unser Hauptkunde Migros sein Auftragsvolumen dieses Jahr um sechzig Prozent reduziert hat. Interview: Oliver Classen
Oliver Classen

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