"La dissolution physique de l'agence est maintenant simplement la dernière étape - cela donne évidemment matière à discussion".

Contexta verlässt Bern und will künftig ohne festen Sitz durch die Schweiz ziehen. Inhaberin Nadine Borter erklärt im Interview mit Werbewoche.ch, wie das Konzept funktioniert.

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Die Berner Agentur Contexta hat mit der am Samstag in der BZ Berner Zeitung publizierten und am Montag von Werbewoche.ch aufgenommenen Nachricht, sie werde die Hauptstadt verlassen und künftig ein «urbanes Nomadentum» praktizieren, für viel Aufsehen gesorgt – im Newsletter von MK Semaine publicitaire Expodata war der Artikel der meistgeklickte seit dem Start im Januar 2019. Grund genug, bei Inhaberin Nadine Borter nachzufragen, was hinter dem Konzept steckt.

Über 50 Jahre im Spiel – aber bald keinen direkten Aare-Zugang mehr: Contexta begeht nach einem halben Jahrhundert Agenturgeschichte völlig neue Wege.

 

Werbewoche.ch: Nadine Borter, was hat die Agentur bewogen, das Konzept des festen Standortes aufzugeben und künftig alle zwei bis zwölf Monate umzuziehen? Welche grundsätzlichen Vorteile verspricht man sich vom Konzept?

Nadine Borter : Wir haben bereits vor zwei Jahren mit dem Umbau der Agentur begonnen. Wir waren der Meinung, dass das klassische Agenturmodell für uns nicht mehr praktikabel ist. Die physische Auflösung der Agentur ist nun einfach der letzte Schritt. Der Sichtbarste gibt natürlich zu reden. Die Idee ist, dass wir als mobile Agentur an die Orte gehen können, die nahe bei den Menschen sind, uns beseelen und bereichern: ein Freibad, ein Café, die Langstrasse. Diese Orte sind für uns Quell der Inspiration. Hier stossen wir stets auf frische Insights. Wenn sich das Leben gleich vor der Agenturtür abspielt, braucht es keine Fokusgruppen mehr, um menschliche Wahrheiten aufzuspüren.

 

Wer oder was entscheidet, wann und wohin umgezogen wird?

Wir ziehen dem Leben nach. Um Inspiration zu finden, gehen wir dorthin, wo das Leben spielt. Das kann überall sein und hat mit einer konkreten Stadt nichts zu tun. Wir starten in Zürich. Beschlossen haben wir das als Team, und so werden wir das auch in Zukunft halten.

 

Ist das in der Schweizer Kommunikationsbranche ein neuartiges Konzept? Wie kamen Sie darauf?

Uns ist kein vergleichbares Agenturkonzept bekannt. Inspiriert hat uns aber unter anderem der dänische Vordenker, Dauerreisende und Bestsellerautor Martin Lindstrom. Er hat den Satz gesagt: «Wer wissen will, wie Tiere leben, sollte nicht in den Zoo gehen, sondern in den Dschungel.»

 

Wie kommt eine alteingesessene Berner Agentur auf die Idee, Bern – zumindest bis auf Weiteres – den Rücken zu kehren? Bietet der Berner Markt zu wenig Wachstumspotential?

Wir waren die letzten 50 Jahre eine Berner Agentur, die nationale Kunden betreut hat. Für uns ist der Werbemarkt also kein Berner, sondern mindestens ein nationaler Markt. Wir entscheiden uns aus einer starken Position heraus für den Schritt, auf den wir uns sehr freuen. In Tat und Wahrheit ist es sogar eine Investition in die Zukunft und keine Sparübung.

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Wenn die Agentur künftig keine Berner Agentur mehr ist – wie soll sie bezeichnet werden?

Wir verleugnen unsere Herkunft nicht. Wir sind einfach die Agentur, die jetzt auf Wanderschaft geht. Eine Bezeichnung dafür haben wir uns nicht überlegt. Aber wir sind gespannt auf Ihre Wortkreationen.

 

Wie verändert sich durch den Wegzug von Contexta die Berner Agenturlandschaft?

Wir sehen den Werbemarkt wie gesagt nicht lokal, sondern mindestens national. Unser Konzept hat damit also keinen Einfluss auf die anderen Agenturen in Bern.

 

Die erste Station ist Zürich – aus Sicht des Marktes wohl bereits eine Art Endstation. Wohin soll die Agentur danach ziehen? Ist der temporäre Umzug nicht ganz einfach eine Test-Expansion nach Zürich?

Das Nomadentum ist kein fixer Umzug. Die erste Station wird Zürich sein. Wir sind auch gespannt, wo wir in 24 Monaten sein werden.

 

Angenommen nach zwölf Monaten funktioniert in Zürich alles bestens und das Geschäft floriert – ist dann das Konzept des urbanen Nomadentums nicht schnell wieder vergessen?

Das Nomadentum ist für Contexta kein Selbstzweck, keine Werbeidee, sondern Lösungsweg: Es erlaubt uns, menschliche Wahrheiten aufzuspüren sowie frei von Ballast und unverkrampft mit den besten Köpfen die Dinge neu zu denken und sie schliesslich aufs Wesentliche zu reduzieren. Daran wird sich auf absehbare Zeit nichts ändern. Es ist der Kern der neuen Idee.

Umzüge sind aufwändig und binden Ressourcen – ist man am Ende nicht mehr damit beschäftigt, statt mit dem eigentlichen Kerngeschäft?

Wir hatten das Glück, mit Atelier Oï ein weltweit einzigartiges Nomadenbüro zu entwickeln, das es der Agentur erlaubt, überall zu arbeiten und innerhalb von 24 Stunden weiterzuziehen. Aber natürlich ist es aufwändiger als in der gemütlich eingerichteten Komfortzone.

 

An einem neuen Ort muss man erst «ankommen», die Infrastruktur funktionieren, das Team die Umgebung kennen- und fühlen lernen, Kunden müssen wissen, wo sie einen finden. Besteht die Gefahr, dass man am Ende nirgends mehr richtig verwurzelt ist und beispielsweise den lokalen Bezug verliert?

Die Infrastruktur funktioniert. Wir glauben nicht, dass eine Verwurzelung an einem Ort Werbung an sich besser macht. Ganz im Gegenteil: Neue Orte inspirieren, geben Idee und setzen Energie frei. Das schafft viel mehr Lösungen als Probleme.

 

Ist das Konzept auch eine Reaktion auf die Entwicklung, dass langfristige, loyale Agentur-Kundenbeziehungen immer seltener werden und sich Kunden immer mehr projektbezogen Agenturen für einzelne Aufträge und Kampagnen zusammenwürfeln?

Nein, damit hat unser Konzept nichts zu tun. Ausserdem pflegen wir beispielswese mit Appenzeller Käse, CSS, Bell, Bank-Now, Wallis und der SBB viele langjährige Beziehungen.

 

Das Konzept spielt jungen, unabhängigen und flexiblen Menschen ohne familiären Verpflichtungen in die Hände. Mitarbeitenden mit Betreuungsaufgaben wird die – oftmals ohnehin schon nicht einfache Kombination von Familie und Beruf – wohl noch zusätzlich erschwert. Sind Sie zuversichtlich, für diese Mitarbeitenden gute Lösungen zu finden oder läuft es darauf hinaus, dass am Ende die Agentur nur Leute beschäftigt, die flexibel genug sind?

Pendeln gehört zum modernen Arbeitsleben dazu. Bisher hatten wir Mitarbeitende zum Beispiel aus Lausanne, Basel, Thun oder Zürich, die nach Bern zu uns gekommen sind. Klar bedeutet das neue Modell eine Umstellung für einige Mitarbeitende. Darum suchen wir nach Lösungen, wie wir die Umstellung beispielsweise für jene mit Betreuungsaufgaben möglichst angenehm gestalten können. Wer die besten Mitarbeitenden haben will, muss als Arbeitgeber heute auch bereit sein im Management kreative Lösungen zu finden. Die Schweizer Politik hinkt ja der Realität seit langer Zeit hinterher.

 

Inwiefern profitieren die Mitarbeitenden auch vom neuen Modell?

Für unsere Mitarbeitenden wird die kreative Spielwiese entschieden grösser und spannender. Aber es verlangt natürlich nach neugierigen Mitarbeitenden, die es mögen, mit Routinen zu brechen, frisch zu denken und sicher auch mehr Verantwortung für ihre Arbeit zu übernehmen.

 

Ist angedacht, dass die Belegschaft fix bleibt und zusammen umzieht, oder wird das Team am neuen Standort mit lokalen Mitarbeitenden neu besetzt?

Das Konzept ist, dass die ganze Agentur mit allen festangestellten Mitarbeitenden jeweils weiterzieht. Wir setzen uns als Agentur neuen Einflüssen aus, um gemeinsam Lösungen zu finden. Physische Anwesenheit ist nötig für den kooperativen, kreativen Prozess.

 

Wohin sollen diese nicht unerheblichen Veränderungen die Agentur Contexta in Zukunft führen? Wie und wo will sie sich im Markt positionieren?

Im Markt für Mitarbeitende bieten wir Menschen ein Zuhause, die aus dem Flow Energie ziehen, die sich vor dem Stillstand fürchten, deren Passion für Kopfschütteln sorgt, die getrieben sind. Wir alle bei Contexta könnten Teams führen, Aufgaben delegieren, in Meetings repräsentieren – doch wir haben keinen Bock darauf. Wir wollen machen. Mit diesem Schlag von klugen und kreativen Köpfen sowie mit unserer radikalen Prozessinnovation sind wir überzeugt, alle Business-, Verkaufs- und Kommunikationsprobleme knacken zu können. Auch die «unlösbaren». Contexta bleibt eine Marken- und Kommunikationsagentur mit Strategie, Kreation und Technologie. Das Nomadentum erlaubt uns einfach das Maximum herauszuholen.

 

Muss sich eine Agentur der Grösse von Contexta heute radikal neu erfinden, um langfristig am Markt bestehen zu können?

Nein. Wir gehen diesen Schritt nicht, weil wir müssen, sondern weil wir wollen. Weil wir Freude an der Veränderung haben und daraus Energie und Ideen generieren. Wir glauben an Kommunikation heute und auch morgen.

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