Der Stimmenfänger

Daniel Wüthrich will mit seinen Hastings Tonstudios in Zürich und Genf eine Harmonie zwischen Kunst und Kommerz abmischen.

Daniel Wüthrich will mit seinen Hastings Tonstudios in Zürich und Genf eine Harmonie zwischen Kunst und Kommerz abmischen.Er war seiner Zeit voraus. «Halle K» war
der Name seiner Band. Das heisst, es war eigentlich keine richtige
Band. «Mehr Performance», erinnert sich Daniel Wüthrich an seine Musik.
Er «spielte» die Elektronik. Tüfteln im Hintergrund mit der Technik und
«Vorbereitungen im Tonstudio» haben den heutigen Besitzer der Hastings
Studios in Zürich und Genf schon damals mehr interessiert, als selber
im Mittelpunkt auf einer Bühne zu stehen. Das war die Phase, als er in
den späten Achtzigerjahren in Zürich die F+F Kunst & Medienschule
besucht hat.

Weil die Schweiz ihm aber für seine Kunst etwas zu helvetisch war,
wanderte er 1990 nach Deutschland aus. Im Studio Tonleiter in
Düsseldorf ging die angesagte Szene mit Musikern rund um «Kraftwerk»
ein und aus. Wüthrich durfte dort als Tonassistent arbeiten. Weil man
von seiner Kunst aber letztlich leben muss, lernte er hier auch
Werbespots abzumischen. Die wertvollen praktischen Erfahrungen haben
ihm bei seiner Rückkehr in die Schweiz einen Job als Tontechniker beim
Studio Z in Zürich eingebracht.

Inzwischen in allen Sparten der Audiotechnik ein gefragter Spezialist,
wagte er sich 1993 selbstständig zu machen. Pistorio & Wüthrich
wurde gegründet. Als sein Partner das Glück in einer anderen Branche
suchte, hat sich Daniel Wüthrich wieder an seine alten Freunde in
Deutschland erinnert. Dort gehörte das Hastings Audio Network mit
Studios in Düsseldorf sowie Hamburg und Berlin inzwischen zum guten
Ton. 1998 hat sich auch Wüthrich als Partner bei Hastings
angeschlossen. «Wir sind finanziell nicht verflochten. Wir profitieren
aber vom Netzwerk mit dem Austausch von technischem Know-how und einer
gemeinsamen Datenbank für Stimmen», erklärt er das System. Im Netzwerk
ist eine Person vollamtlich nur für die Pflege dieser Datenbank
angestellt. Von jedem Sprecher werden eigene Files aufgenommen. Die zum
Teil sehr namhaften Stimmen aus dem internationalen Theater und Film
sind aber nicht ausschliesslich an Hastings gebunden.

In Zürich wird dieses Casting von Wüthrichs Geschäftspartnerin,
Lebenspartnerin und Mutter eines gemeinsamen Kindes betreut. Frances
Belser ist die unentbehrliche Seele im Tonstudio. «Uns verbindet ein
ähnlicher Lebenslauf», erklärt die ausgebildete Schauspielerin. Auch
Belser hat mit unkonventioneller Kunst an der Dimitri-Schule in Verscio
angefangen. Später spielte sie am Theater Basel, bevor sie in Paris
ihre Ausbildung auch noch im klassischen Schauspiel erweitern wollte.
Bald wurde sie in Frankreich in das legendäre Théâtre du Soleil von
Ariane Mnouchkine aufgenommen. Später liess sich Belser in New York zum
Scriptwriting ausbilden. Es folgten eigene Drehbücher und schliesslich
Musik. Mit selbst komponierten
Songs ist sie rund sechs Jahre in den USA getingelt, bevor sie 1995 in
die Schweiz zurückgekehrt ist und hier schliesslich Daniel Wüthrich
kennen gelernt hat.

Diese Beziehung zur New Yorker Szene hat es auch erleichtert, dass
Hastings nun für eine Reihe von international eingesetzten Spots von
der Agentur Publicis für Zurich Financial mit «den besten Stimmen» aus
Amerika zusammenarbeiten konnte.

«Interessantere Stimmen als die üblichen» – das kann Hastings auch dank
einer neuen Leidenschaft von Daniel Wüthrich anbieten. Am «Monolog
Festival» von Christoph Marthaler im Jahre 2001 haben sich Wüthrich und
Belser begeistert die Aufführungen am Zürcher Schauspielhaus
angeschaut. «Faszinierende Sprechkunst – aber oft nur vor 65 Leuten und
nur für eine einzelne Vorstellung», schwärmen die beiden. Und so
gründete Daniel Wüthrich schliesslich mit Matthias Kratzenstein
zusammen eine zweite Firma mit dem schönen Namen Sprechtheater:«.

Bereits das elfte Hörbuch wird in diesen Tagen ausgeliefert. Die
CD-Taufe von «Gott ist ein DJ» mit Bibiana Beglau und Falk Richter
findet am 13. Mai im Zürcher Theaterhaus Gessnerallee statt.
Ausgeliefert im ganzen deutschsprachigen Raum werden die Hörbücher von
Seemann Henschel, Buchverlage Leipzig und Berlin. «Ein boomendes
Genre», meint dazu Daniel Wüthrich. 11000 silberne Scheiben mit seinen
Produktionen wurden bisher gepresst. Für «Bartleby, der Schreiber» mit
Ueli Jäggi hat Sprechtheater:« im März 2004 in der Kategorie «Beste
Interpretation» den Deutschen Hörbuchpreis gewonnen. Der Monolog von
Herman Melville geht auf eine Inszenierung von Isabel Osthues im
Zürcher Schiffbau zurück. «Inszenierung und nicht nur Lesung» – das ist
das Konzept, mit welchem Wüthrich den anhaltenden Erfolg seiner
Hörbücher erklärt.

Diese Diversifikation von Hastings ist natürlich nur dank der bereits
bestehenden Infrastruktur für Werbespots und andere AV-Produktionen
möglich. Dank diesem künstlerischen «Nebenschauplatz» gelingt es
Frances Belser, auch im deutschen Sprachraum immer wieder exklusive
Stimmen für kommerzielle Aufnahmen zu gewinnen. Den Schauspieler Armin
Rohde zum Beispiel. «Einen solchen Star kann man nicht einfach anrufen
für einen Spot», weiss Belser. Weil Rohde aber für Sprechtheater:«
soeben «Oedipus» von Sophokles und Friedrich Hölderlin bei Hastings
aufgenommen hat, bestehen inzwischen auch hier die besten Kontakte.

Ebenso wichtig wie der Draht zu solchen Stars in Deutschland und der
Deutschschweiz ist für Wüthrich eine richtige Auswahl der Stimmen im
Welschland. Um diesen Service garantieren zu können, hat sein Hastings
im Jahre 2002 ein zweites Studio in Genf eröffnet. Dieses wird von der
in der welschen Szene «bestens verwurzelten» Carole Armour geleitet.
Ein entscheidender Faktor, denn noch zu oft würden Spots in der Schweiz
von Zürich aus «ohne das richtige Gefühl für die welschen Ohren
produziert», meint Wüthrich, der als Dozent beim Sawi wirkt.

Hastings bietet am Stammsitz an der Baslerstrasse in Zürich drei voll
ausgebaute Studios «mit all der heute üblichen Technik» an, darunter
auch ein neu konstruiertes Grossraumstudio für Kinomischung digital
5.1. Eine weitere Spezialität ist ein Studio für Musikaufnahmen. Hier
sieht Wüthrich in Zukunft ein weiteres Potenzial. Komponierte Musik.
Wer sich an die Anfänge von Wüthrich und Belser erinnert, der könnte
bei diesem Ziel auch einen Zwischenton hören nach der Melodie «Back to
the roots».   

Andreas Panzeri

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