L'année des hypocondriaques

Samuel Helbling über wahre und eingebildete Medienkranke in der Schweiz

Samuel Helbling über wahre und eingebildete Medienkranke in der SchweizDie Journalisten, so bemerkte der Soziologe Niklas Luhmann einmal, konstituieren Öffentlichkeit gerne, indem sie den «Phantomschmerz nach Amputationen» beschreiben: die Verödung der Städte durch die Industrialisierung, die Ermordung eines Königs, die Abwahl einer Bundesrätin. Als letztes Glied in der Kette, vom Setzer über den Drucker, fühlen die Journalisten den Verlust, den die Transformation ihrer eigenen Arbeitswelt bringt. Nichts ging der Journaille daher im zu Ende gehenden Jahr so leicht über die Lippen wie das Wort «Pressekrise». Für eine Berufsgruppe, die dem zynischen Slogan «only bad news are good news» nachlebt, wäre es ja auch übermenschlich, ihr eigenes Leid nicht in den kräftigsten Farben auszumalen. Kein Zweifel: Auflage- und Anzeigenentwicklung machen den Verlegern keine Freude. Und so stimmen auch sie ein in das Lamento und verlangen unverhohlen nach dem süssen Gift der Staatsubventionen. Noch vor Jahresfrist wies der damalige Präsident des Verbands Schweizer Presse einen Medienartikel in der Verfassung zurück, weil er zu Recht befürchtete, dass vor allem die meinungsbildende Presse damit an Unabhängigkeit einbüsse. Heute fordert dieselbe Interessenvertretung 150 Millionen Franken. Tatsache ist jedoch, dass kein etabliertes Schweizer Medienhaus ernsthaft in seiner Existenz bedroht ist. Umsatzmässig geht es der Zeitungsbranche laut Media Focus in etwa gleich gut wie 1997 – nur dass sie damals gut damit lebte. Sechs Jahre später hat sie gar noch Potenzial. Selbst totgesagte Titel blühen wieder auf. So hat die serbelnde Weltwoche unter Roger Köppels Führung wieder Sex-Appeal bekommen und ist heute in aller Munde. Jeder möchte im Original lesen, was landesweit heiss diskutiert und in anderen Medien immer wieder zitiert wird. Und wer uns Journalisten kennt, weiss, dass kein Kollege ohne Not auf die Arbeit eines Konkurrenten verweist. Sprich: Die Weltwoche bietet ein USP, an dem niemand in der Zunft vorbeikommt. Solche Selbstbezogenheit der Medien ist nicht nur eine Erfindung von Niklas Luhmann, sondern auch die Formel jedes erfolgreichen Markenartiklers in unserer Mediengesellschaft. Das gilt ganz besonders für Medienmarken, die diese ja erst konstituieren.> Samuel Helbling, Chefredaktor

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