TV-Geschichte – on demand

Fernsehen I Verändertes Medienkonsumverhalten und der drohende Zerfall alten Filmmaterials verleihen der Digitalisierung von Fernseharchiven gehörig Schub.

Fernsehen Verändertes Medienkonsumverhalten und der drohende Zerfall alten Filmmaterials verleihen der Digitalisierung von Fernseharchiven gehörig Schub.«On demand» heisst das Gebot der Stunde: Die Radio- und TV-Angebote wandeln sich immer stärker zu einem Selbstbedienungsladen mit Bildern und Tönen. Weshalb pünktlich um acht vor dem Bildschirm Platz nehmen, wenn es die Technik ermöglicht, auch Tage, gar Jahre später die entsprechende Sendung anzuschauen? Es herrscht nicht mehr länger die Tyrannei der Zeitachse. Das weiss auch das Schweizer Fernsehen SF:  «Den Trend, TV-Inhalte ‹on demand› zu konsumieren, sehen wir als grosse Chance. Unsere besten Dokumentarfilme, Fernsehfilme, unsere Schätze in den Archiven werden dem Publikum zugänglich gemacht und können ort- und zeitunabhängig genutzt werden. Dieses Angebot ist insbesondere auch für Schulen und Bildungsinstitute interessant.» Den Worten von SF-Direktorin Ingrid Deltenre anlässlich eines Mediengesprächs vom 24. Mai werden bald Taten folgen. «Das digitalisierte Archiv ist bis 2008 realisiert, so dass anschliessend ein Webzugriff möglich ist», erklärt Walter Bachmann, Leiter des Multimediazentrums von SF. Die Öffnung des Fernseharchivs ist quasi ein Nebeneffekt der Digitalisierung des historischen Bildmaterials. «Damit kann relativ einfach und günstig der digitalisierte Inhalt für den Zugriff via Internet geöffnet werden», sagt Bachmann.Bereits heute lassen sich auf sf.tv, der Webseite des Schweizer Fernsehens, zahlreiche Filmbeiträge aus früheren Zeiten kostenlos anschauen. So können etwa die Sendungen der Tagesschau ab August 1999 mehr oder weniger komplett «gestreamt», das heisst: am Bildschirm betrachtet, nicht aber abgespeichert und weiter bearbeitet werden. Es gibt nicht nur technische, sondern auch rechtliche Schranken für den öffentlichen Zugang zum Archivmaterial. «Wir können nur Archivbestände für den Webzugriff öffnen», sagt Multimedia-Chef Bachmann, «bei denen SF die entsprechenden Rechte hat.»
476 Beiträge aus 52 JahrenBereits einen Schritt weiter ist das Westschweizer Fernsehen. Unter denselben technischen Rahmenbedingungen wie SF präsentiert TSR eine Auswahl digitalisierter Archivbestände auf einer eigens dazu eingerichteten Webseite. Momentan stehen dort 476 Filmbeiträge aus den vergangenen 52 Jahren zum Anschauen bereit. Das ist erst ein Bruchteil dessen, was in den kommenden sechs Jahren noch alles digitalisiert und teilweise dem Publikum zugänglich gemacht werden soll. Die Konvertierung von Zelluloid auf digitale Datenträger ist ein Gebot der Stunde. Historisches Filmmaterial droht nämlich zu zerfallen. Nach einer eingehenden Evaluation hat TSR per Anfang 2005 eine Abteilung mit gut einem Dutzend Mitarbeiter damit beauftragt, das historische Fernseherbe der Romandie zu konservieren. Wie der Sender anlässlich der Aufschaltung des Publikumsportals im Internet (archives.tsr.ch) im letzten September bekannt gab, ist vorgesehen, bis 2012 rund 70000 Stunden Filmmaterial zu restaurieren und digitalisieren. Kostenpunkt: 25 Millionen Franken.
Vorbilder BBC und INAIn der internationalen TV-Landschaft sind es allen voran die Briten und Franzosen, die grosse Anstrengungen im Bereich der Digitalisierung und Öffnung ihrer Archive unternommen haben. Auf einer vor wenigen  Wochen aufgeschalteten Webseite des französischen Institut National de l’Audiovisuel INA sind bereits heute 10000 Stunden Material aus den Beständen der öffentlich-rechtlichen Sender Frankreichs zu sehen. Nicht anders als in der Romandie steht auch INA unter Zeitdruck, da das Filmmaterial vom Zerfall bedroht ist. Bei der britischen BBC wiederum ist die Triebfeder vielmehr die Einsicht, dass sich ein Rundfunkveranstalter dem veränderten Medienkonsumverhalten nicht entziehen kann. Zur unlängst verkündeten Neupositionierung der Internetangebote von BBC unter dem Motto «Creative Future» gehört auch die Öffnung der Archive bis zurück ins Jahr 1937.
Nick Lüthi
«Ein Anrecht der Öffentlichkeit»Wolf Ludwig
über gebührenfinanzierte Sendungen. WW: Comunica-ch, die Plattform der schweizerischen Informationsgesellschaft, fordert offenen Zugang zu den Bild- und Tonbeständen der SRG. Damit rennt ihr offene Türen ein.Wolf Ludwig: Nur zum Teil. Wir verstehen unsere Forderung grundsätzlich und politisch, während bei der SRG noch rechtliche Fragen geklärt werden müssen. Freier Zugang zu den Archiven ist für uns eine Voraussetzung in der Informationsgesellschaft.WW: Was aber sind öffentliche Rundfunk-Archive mehr, als einfach ein weiterer Datenwust im Internet?Ludwig: Über den Wert von archivierten «Traumjob»- oder «Music Star»- Sendungen lässt sich diskutieren. Da kann man sich schon fragen, ob das Teil der Kulturgeschichte ist. Für Ethnologen mag das aber durchaus interessant sein.WW: Archivierte Sendungen von SF und TSR können «nur» betrachtet, nicht aber abgespeichert und bearbeitet werden. Geht es nach comunica-ch, soll genau das aber ermöglicht werden.Ludwig: Wegen der aktuellen Rechtslage ist man da etwas zurückhaltend bei der SRG. Für uns steht klar das Modell der BBC im Vordergrund, das eine Bearbeitung und Weiterverbreitung ermöglicht. Das ist aber auch nur möglich, seit die BBC eine entsprechende Lizenz erarbeitet hat. Klare Spielregeln, die dem Nutzer einen gewissen Freiraum lassen, schaffen die grösstmögliche Rechtssicherheit.WW: Private Medienunternehmen sehen in der Veröffentlichung von Archivbeständen eine unzulässige Beeinflussung des Markts, da sich öffentliche Rundfunkveranstalter so einen Wettbewerbsvorteil schaffen. Wie lässt sich da ein Ausgleich finden?Ludwig: Ich finde, man kann hier keinen Ausgleich schaffen. Es ist für uns nicht eine Frage, ob sie das dürfen, sondern sie müssen das machen. Die Öffentlichkeit hat ein Anrecht darauf, weiterhin anschauen und anhören zu können, was sie einst mittels Gebühren finanziert hat. Interview: Nick Lüthi> Wolf Ludwig ist der Ko-Präsident von comunica-ch, dem Zusammenschluss von Nichtregierungsorganisationen, die sich mit Fragen zur heutigen Informationsgesellschaft befassen.

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