Die veredelte Wilde

Wochenpresse Alte Renitenz im neuen Rock: Der WoZ-Relaunch soll nicht nur (Sinnen-)Freude machen, sondern auch 2000 neue Abos generieren.

Wochenpresse Alte Renitenz im neuen Rock: Der WoZ-Relaunch soll nicht nur (Sinnen-)Freude machen, sondern auch 2000 neue Abos generieren.Er wünsche sich weiter viel journalistischen Witz und Biss sowie Experimente in Form und Auftritt, schreibt Peter Hartmeier in «Die Kapitalerhöhung», jenem Büchlein, das alle bekommen haben, die
finanziell zum Relaunch der WoZ beigetragen haben. Zumindest was die gestalterische Abenteuerlust angeht, könnte sich der selbst auch unter Innovationsdruck stehende Tagi-Chefredaktor am rundum renovierten Pflichtblatt der Linken und Netten durchaus ein Beispiel nehmen.
Was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass das WoZ-Kollektiv die optische Interpretation der ersten Generalreform seit 1992 (!) den beiden «jungen und hungrigen HGKZ-Absolventen» (Geschäftsführerin Verena Mühlberger) Tom Menzi und Daniel Stähli übertrug. Frisch, frech und streckenweise – etwa auf der farbigen Auftaktseite des neuen Leben-Bunds – geradezu fröhlich kommt die neue, bislang eher kühle bis kopflastige WochenZeitung daher. Der neuerdings fünfspaltige Umbruch wie auch die vom Star-Typografen Cornel Windlin speziell entwickelte Schrift Abacus erhöhen die Lesbarkeit deutlich. Zudem werden die berüchtigten Bleiwüsten nun durch grosse Bilder und kleine Rubriken systematisch begrenzt.
Klarer Expansionskurs
Solchen Konzessionen an den heutigen Massengeschmack zum Trotz wirkt die «einzige andere Stimme der Schweiz» (Urs Widmer) jetzt vergleichsweise klassisch und, ja doch, gediegen. Diesen Eindruck erweckt ausser der edlen Typo vor allem die konsequenter, aber dennoch dezent eingesetzte Corporate Color: Gelb sind ab sofort nicht nur die auf jedem der vier Bundaufschläge präsenten Skyboxes, sondern auch die effektvollen Unterstriche der Schlagzeilen.
Gut zwei Drittel der durch die Kapitalerhöhung geäufneten 650000 Franken fliessen in den Relaunch – die noch anstehende Neugestaltung der Website nicht mitgerechnet. Die WoZlerInnen betrachten diese Projekte indes keineswegs als risikolose Zukunftsinvestitionen. «Wollen wir unser Versprechen vom nachhaltigen Wachstum einhalten, müssen wir bis Ende übernächsten Jahres 2000 neue Abonnemente verkaufen», konkretisiert Mühlberger den aktuellen Expansionskurs.
Klar, dass es dazu neben cleveren Marketings (wie die exklusive Medienpartnerschaft mit dem Zürcher Schauspielhaus) vor allem intelligenten und überraschenden Journalismus bedarf. Ein erstes diesbezügliches Highlight dürfte das für nächste Woche geplante Interview mit dem langjährigen Lieblingsfeind Christoph Blocher werden. Auf Grund des nahenden Wahltermins wird diese unheimliche Begegnung der bis vor kurzem noch für unmöglich gehaltenen Art wohl im Politikteil stattfinden. Dass dafür nun auch das Wirtschaftsressort in Frage käme, dokumentiert eindrucksvoller als jedes Layout-Tuning die neue Zeitgenossenschaft der «alten Tante» von der Hardturmstrasse.
Oliver Classen

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