The hard ride on the wave of success

Immer mehr klassische Werbeagenturen wollen sinkende BBE mit Dialogmarketingaktivitäten kompensieren

Immer mehr klassische Werbeagenturen wollen sinkende BBE mit Dialogmarketingaktivitäten kompensierenVon Luca Aloisi Das BSW-Ranking zeigt es deutlich: Während die Erträge der klassischen Agenturen im Schnitt um 5,6 Prozent einbrachen, verbuchten Dialogmarketingagenturen im Krisenjahr 2001 einen stolzen Zuwachs. Und die Prognosen sind weiterhin gut. Doch brechen immer mehr klassische Werbeagenturen in den Markt ein.
Wer die Stiftung für Konsumentenschutz anruft, um einen Reklame-Stopp-Kleber für den Briefkasten zu bestellen, wird an den SDV weiterverwiesen. Dass ausgerechnet der Schweizer Direktmarketing Verband, in dem die unbeliebten Streusendungs-Werbeagenturen organisiert sind, die so genannte Robinsonliste der Werbeverweigerer und den Versand von Werbestoppklebern betreut (Mach Basic 2001: 24,7% aller Schweizer Haushalte), erstaunt auf den ersten Blick. Die Selbstkontrolle ist indessen nur ein Indiz der Bemühungen, die zeigen, wie ernst es der Direktmarketingbranche ist, von ihrem Schmuddelimage wegzukommen.
Behilflicher waren in diesem Zusammenhang die BBE-Zuwachsraten dieser Werbesparte. Obwohl sie vom Verband nicht systematisch erhoben werden, lässt sich auf Grund von Beobachtungen des Werbeumfelds schliessen, dass sie kräftiger gestiegen sind als die der klassischen Agenturen. Vielleicht erklärt diese Entwicklung das Abflauen des Kampfes um Prestige und Ansehen rund um die «Gürtellinie» der Werbebranche. Die oft als Hardseller belächelte Below-the-line-Szene konnte auf Kosten der «kopflastigen» Above-the-line-Agenturen kontinuierlich zulegen.
Und so rollt nicht nur in der Schweiz trotz Konjunkturflaute und Dotcompleiten ein steigender Anteil des Werbebatzens in die DM-Agenturkassen. Ein Wermutstropfen für den SDV-Präsidenten Heinz Rohrer bleibt jedoch der Umstand, dass er den Boom nicht dokumentieren kann: Weil die Post seit gut fünf Jahren keine Statistik in DM-Sachen mehr führt, ist zuverlässiges Zahlenmaterial nicht verfügbar.
Glücklicher darf sich die Branche in Österreich schätzen, wo laut dem Branchenverband DMVÖ eine Erhebung durch die Post und die Industrie ab Mitte 2002 geplant ist. Am transparentesten ist die Situation in Deutschland. Dort stellte der deutsche Spezialist Oneto one.de, basierend auf dem DM-Monitor der Deutschen Post, eine deutliche Gewichtsverlagerung im Medienmix während der vergangenen Jahren fest.
Flossen noch vor fünf Jahren gut 70 Prozent der Werbeaufwendungen in klassische Medien, geht heute ein gleich grosser Anteil der Ausgaben in nichtklassische Werbung. Davon wiederum investieren Auftraggeber einen Grossteil ihres Marketingbudgets in den direkten Dialog mit Kunden und Interessenten: 21 Milliarden Euro gegenüber 32 Milliarden Euro, die in die klassische Werbung flossen.
Auch im schwachen Konjunkturjahr 2001 verbuchte die Mehrzahl der Direktmarketingfirmen steigende Umsätze und ist optimistisch ins neue Jahr gestartet, meldete der Deutsche Direktmarketing Verband (DDV) Ende Februar. «Wegen starken Kostendrucks und sinkender Kommunikationsbudgets setzen die Unternehmen verstärkt auf effizienten Kundendialog», sagt DDV-Geschäftsführer Holger Albers.
«Marken, die dialogfähig sind, gehört die Zukunft. Marken, die ihre Budgets zum Beispiel in TV-Spots bündeln, werden es dagegen in der Zukunft sehr schwer haben», so Albers weiter. Darum sieht Karen Weisshaar, Kommunikationsverantwortliche des DDV, die Marktsituation als «historische Chance, DM voranzutreiben».
In der Schweiz, wo etwa bereits jeder zweite Werbefranken in die Dialogkommunikation rollt, haben die Dialogmarketer die Chance gepackt. Denn DM beschränkt sich seit langem nicht mehr auf Briefe, Antwortschreiben oder Couponmailings, sondern bedient ein Multi-Channel-System, das dank modernster Kommunikationstechnologie den Dialog noch gezielter und effizienter werden liess – und das nicht nur online.
Heinz Rohrer, der den 150 Mitglieder starken Branchenverband präsidiert, nennt die klingenden Schlagworte: Customer Relationship Marketing (CRM), Permission Marketing, Cross Media Package oder interaktives Marketing. «Damit haben wir bis in die Chefetagen an Bedeutung gewonnen», erklärt Rohrer selbstbewusst.
Obschon er über keine verlässliche Statistik verfügt, ist sich Rohrer sicher: «Das Gewicht hat sich in den letzten Jahren um jährlich durchschnittlich 5 Prozent zu Gunsten des Dialogmarketings verschoben.» Als Gründe für diese Gewichtsverlagerung nennen die DM-Verbände den härteren Wettbewerb, der die Anpeilung der Zielgruppen sowie die Messung der Werbewirksamkeit in den Vordergrund gerückt habe.
Die Konstellation könnte dank neuer Medien nicht besser sein
Eine Zunahme stellt Rohrer auch bei den kundenbindenden Marketingmethoden fest, die gegenüber der Gewinnung von neuen Kunden an Substanz gewonnen haben. Erfahrungsgemäss ist der Gewinn eines Neukunden rund siebenmal teurer als die Pflege eines bestehenden Kunden. Und weil das Argument des minimierten Streuverlusts bei knappen Etats wieder an Bedeutung gewinnt, war für viele Werbetreibende eine Budgetumschichtung die logische Konsequenz. Dieser Haltung trägt man etwa bei Lowe Direct Rechnung und empfiehlt, das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, weil «5 Prozent grössere Kundenbindung 25 bis 125 Prozent grössere Erträge bringen».
Es sind aber vor allem die mobilen Kommunikationstechnologien sowie die Zunahme der Online-Dialogkomponenten im
B-to-B- und, etwas gemächlicher, im Consumerbereich, die laut dem SDV-Präsidenten dafür sorgen, dass die Entwicklung auch in den nächsten Jahren dynamisch bleiben wird.
Factum-Geschäftsführer Valentino Mauriello hat eine eigene Erklärung für das Wachstum der Branche: Weil die wenigsten unabhängigen DM-Agenturen an funktionierende internationale DM-Netzwerke angeschlossen sind, seien sie stärker von lokalen Aufträgen abhängig. Dies führe zu einer offensiveren Kundenakquisition und -bindung. «Uns werden keine Kunden herangeschaufelt», meint Mauriello. Aus seiner Sicht arbeiten unabhängige DM-Agenturen auch deshalb erfolgsorientierter, weil sich ihre Einnahmen, anders als bei DM-Units oder klassischen Agenturen, oftmals zu einem bedeutenden Teil aus Erfolgsprämien zusammensetzen.
Bei der Publicis-Gruppe, die vor gut einem Jahr den Branchenleader Fisch Meier Direkt (BBE 2001: plus 2,8 %) akquirierte und so zu einem wichtigen DM-Standbein kam, sieht man dies anders. «DM-Agenturen haben meistens kein Mandat wie die klassischen Agenturen, sondern arbeiten mehr projektbezogen», begründet Publicis-CEO Fredy Collioud die andere Zusammensetzung der Einnahmen.
Auch punkto lokales Business teilt er Mauriellos Standpunkt nicht: «Die Schweizer Grossagenturen arbeiten zu gut 85 Prozent für nationale Kunden, die sie selber akquirieren. Man konnte noch nie über die Kunden wachsen, die vom Network eingespiesen wurden.» Ins gleiche Horn stösst Mitinhaber und GL-Mitglied Gilbert Fisch: «Es ist illusorisch zu glauben, dass man mit einem Dialog-Etikett zum Kunden gehen kann und ein Budget erhält. Diese Zeiten sind definitiv vorbei.»
Mit der laufenden Professionalisierung der DM-Agenturen seien auch die Ansprüche der Kunden gestiegen, bestätigt Guido Wietlisbach, Gründer und Managing Director der WBO OgilvyOne. Dank des Gewinns von Swisscard meint seine Agentur die bisherige jährliche Zuwachsrate von durchschnittlich 20 Prozent auch im laufenden Jahr halten zu können. Ebenfalls vom Wachstumsfieber befallen ist die vor zweieinhalb Jahren gegründete DM-Businessunit der Lowe (2001: plus 10 %), die ihr Ziel, sich in den Top Five der Schweizer DM-Agenturen zu platzieren, nur inoffiziell erreicht hat. Geschäftsleiter Christian Hansen plant auf dieses Frühjahr die Gründung einer eigenen Firma. Auch wenn ihr BBE dann weiter ins Mutterhaus fliesst, könnte sie als DM-Agentur im BSW-Ranking einen «rechtsgültigen» Medaillenrang ins Auge fassen, hofft Hansen. Die Chancen stehen gut. «Wir erwarten auch in diesem Jahr einen Zuwachs, der auf dem Vorjahresniveau liegen wird», sagt Hansen.
Schweizer DM-Crack Fisch bleibt auch im Boom nüchtern
Gilbert Fisch lässt sich von der Boom-Euphorie nicht blenden und behauptet provokativ: «DM wächst zwar, aber der grösste Teil des neuen Volumens geht an den DM-Agenturen vorbei.» Viele Unternehmen würden DM inhouse produzieren oder mit wenig professionellen Partnern; oft würden die Anstrengungen nach einigen gescheiterten Versuchen wieder abgebrochen, erklärt er. Zudem würden immer noch alle Kataloge und Haushaltstreuungen inklusive der Produktionskosten zu den DM-Massnahmen dazu gerechnet. «Von diesen Aufwendungen fällt aber nichts für die Agenturen ab. Und daran wird sich auch nichts ändern.»
Kommt hinzu, dass der Begriff Dialogmarketing arg ausgedehnt wird. «Anzeigen mit Domainadresse oder Telefonnummer haben für mich nichts mit Dialog zu tun, wenn nicht ein klar erkennbares Angebot einen Handlungsgrund auslöst. Diese Kommunikationsinstrumente gehören nach wie vor zu den klassischen», sagt Fisch. Deshalb glaubt er, dass der SDV sich etwas vormacht und eine falsche Optik wählt. Er wettet: «Wenn wir in ein paar Jahren fünf DM-Agenturen haben, die wie die klassischen Grossagenturen über 15 Millionen Franken BBE erwirtschaften, dann liege ich falsch.»
Die zweitstärkste Dialogmarketingagentur, die inhabergeführte Alex Schmid AG, blickt auf ein «sehr erfolgreiches Geschäftsjahr zurück», so GL-Mitglied Marie-Françoise Ruesch. Der happige BBE-Schwund (2001: minus 46 %) bei der Schweizer Draft-Worldwide-Vertretung führt die Agentur auf die Ausgliederung der Tochter Art Direct zurück. Für neuen Schub bei Alex Schmid AG sorgten zunehmend Markenaufbau-Aufträge sowie integrierte, mehrstufige Dialogkonzepte.
Die Brand-Credos der DM-Agenturen wie «We create Results», «Wer die Nummer 1 ist, hat eine Überzeugung» oder «Kunden durch Dialog» spiegeln ein zentrales Bedürfnis vieler Werbetreibenden: In unsicherer Zeit erscheint die kurzfristige Kundenreaktion dringender als die langfristig wirkende Imagepflege. Auch das ungeschriebene Gesetz, wonach DM kaum Imagepotenzial hat, ist ins Wanken geraten.
Kreativität und Dialog schliessen sich nicht aus
Dass beim letztjährigen Schweizer DM-Preis gestandene DM-Agenturen ausgerechnet von den Units klassischer Werbeagenturen überholt wurden, sieht Ruesch als organischen Prozess. Vielmehr sei das die Folge neuer Jurybestimmungen, die die Kreativität höher bewerteten, um so den Wettbewerb selbst attraktiver zu positionieren. So war auch Ralf Doller, GL-Mitglied der Alex Schmid AG, nicht überrascht, dass auf Effekthascherei abzielende Mailings, die kaum im kommunikativen Gesamtkonzept integriert waren, mehrere Awards erhielten.
Trotzdem war der spielerische Approach für die DM-Branche eine Lektion. «Den Umgang mit Brands haben Dialogagenturen in den letzten Jahren verbessert, weil auch sie bemerkt haben, dass kreative DM-Massnahmen, die den weiten Brandmantel einer kreativen Imagekampagne überziehen, mehr Erfolg haben», erklärt Doller. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass sich Kreativität und Dialog nicht ausschliessen und dass die Regel, wonach nur klassische Werbung imagebildend sei, sich häufig als falsch erweist. Auch Fredy Collioud sieht DM als immer wichtigeres Element in der Markenpflege. «Mit einer DM-Agentur, die nur Technik und Response auf Teufel komm raus betreibt, könnten wir nicht zusammenarbeiten», meint er.
Das Umdenken führte nicht nur zu Budgetumschichtungen, sondern liess das Selbstbewusstsein der Dialogmarketer wachsen. Viele sind deshalb überzeugt, dass klassische Werbemittel immer mehr die Rolle flankierender Massnahmen erhalten dürften.
Doch die Goldgräberstimmung hat den «Makel», dass sie neue Mitstreiter auf den Marktplatz ruft. Valentino Mauriello staunt über die plötzliche DM-Kompetenz, die sich einige klassische Werbeagenturen auf die Fahne schreiben, weil «für diese bis vor kurzem das Verkaufen ein rotes Tuch war. Image war ihre Sache.» Mauriello nennt das ohne Umschweife Irreführung der Kunden. «Ich kenne kaum einen klassischen Werber, der wirklich als Dialogmarketer mit fundiertem Hintergrund bezeichnet werden kann.»
SDV-Präsident Heinz Rohrer kennt die Sorgen verschiedener DM-Agenturen, die durchs Eindringen klassischer Werbeagenturen in den blühenden DM-Garten eine Qualitätsminderung befürchten. Doch dies scheint seine liberale Einstellung nicht zu erschüttern: «Es wird nicht ohne Integration gehen. Nur das sinnvolle Verbinden beider Disziplinen – klassische und direkte Massnahmen – kann langfristig Erfolg haben.» Damit weiss er sich in guter Gesellschaft mit dem US-Werbeguru David Ogilvy, der diese Entwicklung schon 1983 prophezeite: «Direct Response wird seine Sonderstellung verlieren und in die Leistungspalette der allgemeinen Agenturen integriert werden.»

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