Werbung im Kampfanzug

Anzeigen und Spots nach dem 11. September treiben auch geschmacklose Blüten

Anzeigen und Spots nach dem 11. September treiben auch geschmacklose BlütenVon Thérèse Balduzzi Seit den Terroranschlägen auf Amerika erlebt das Land die grösste Welle patriotischer Solidaritätsbekundungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Botschaften werden auch immer häufiger in Kampagnen eingebaut. Dabei liegt der Verdacht auf Opportunismus und Ausbeutung nur allzu nahe.
Gleich nach den Anschlägen auf Amerika drückten unzählige Firmen in Spezialinseraten ihr Beileid aus und äusserten auf Plakaten und Billboards ein «In God we trust. United we stand» oder «God bless America» (WW 35/01). Während diese spontanen Solidaritätsbekundungen angebracht schienen, teils rührend gefühlvoll formuliert waren, kann der omnipräsente patriotische Ton, den sich nun allzu viele Anzeigen angeeignet haben, hohl oder gar opportunistisch wirken.
In New York wirbt AT&T Wireless mit Plakaten, die einen Apfel – das Symbol für New York – zeigen, der in die Farben der amerikanischen Flagge getaucht ist. Darunter steht «You do us proud New York, New York», ein Kompliment an die New Yorker. Ein entsprechender TV-Spot für AT&T geht auf die Situation nach der Attacke ein, ohne für ein Produkt oder einen Service zu werben, und ist mit stimmungsvoller Musik untermalt. Beide wurden von Ogilvy & Mather Worldwide in New York gestaltet.
Geschmack bewies die Werbeagentur auch in einem Spot für American Express: Darin wird eine Tour durch Läden in Downtown Manhattan unternommen. «Their electricity has come back», sagt eine Stimme aus dem Off, «Their phone service has come back. Now it’s your turn». Trotz der offensichtlichen eigenen Interessen, die American Express mit dieser Aufforderung zum Konsum in Downtown Manhattan verbindet, stellt der Spot die Einzelhändler ins Zentrum, die durch die Tragödie grossen Schaden nahmen.
Die Mehrheit der Anzeigen und Spots schafft die Gratwanderung aber nicht. So versah die New Yorker Fitnessklubkette New York Sports Club ihre jährliche Herbst-Rabattaktion mit dem unangebrachten Spruch «Keep America strong». Das für freche Werbung bekannte Schuhgeschäft Kenneth Cole wirbt für die Eröffnung einer neuen Filiale mit einer faustschwingenden Freiheitsstatue, dem Titel «Reaction» und der Aussage «We’re moving forward, like true New Yorkers».
Mit den 6000 Toten wird auch «Sale-a-Bration» betrieben
Schlimmer ist jedoch der Spot von McCann-Erickson aus Troy (Michigan) für General Motors mit der Tagline «Keep America rolling»: «The American dream. We refuse to let anyone take it away», heisst es darin. In der entsprechenden Printanzeige nimmt der Werbetext direkt Bezug auf die «schrecklichste Krise», die das Land je erlebt habe, und ruft zur Einigkeit auf.
Obwohl die US-Autoindustrie in der Wirtschaft des Landes eine wichtige Rolle einnimmt, ist die als selbstloser Patriotismus inszenierte Rabattaktion jenseits allen guten Geschmacks. «Ah, yes. The fabulous October 6000-Dead Sale-a-Bration», lautete dazu der Kommentar Bob Garfields, Werbekritiker bei Advertising Age.

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