Shopping in the Leibblatt

Merchandising Deutsche Verlage nutzen ihre Markenpower zunehmend für Nebengeschäfte. Eigene E-Shops sollen die Werbeunabhängigkeit steigern.

Merchandising Deutsche Verlage nutzen ihre Markenpower zunehmend für Nebengeschäfte. Eigene E-Shops sollen die Werbeunabhängigkeit steigern.Seit 1996, als der Stuttgarter Medienkonzern Holtzbrinck das Hamburger Traditionsblatt übernahm, ticken die Uhren bei der Zeit anders. Aus der schwarzweissen Bettdecke für liberale Intelligenzler wurde innert weniger Jahre ein buntscheckiges Meinungsforum mit preisgekröntem Design und innovativem Marketing. Dessen neuster Coup ist die Schaffung des Bereichs «Nebengeschäfte», wo eher zufällig entstandene Partnerschaften mit Wein-, Buch- oder Uhrenfirmen nun gebündelt und markenstrategisch weiter entwickelt werden.Die aktuellen Diversifikationsprodukte tragen sinnfällige Namen wie «Schreibkultur», «Wein-Zeit», «Zeit-Reisen» oder «Uhr-Zeit» und dienen laut Nebengeschäftsleiterin Anke Brack «erstens der krisensicheren Querfinanzierung journalistischer Premium-Qualität und zweitens der systematischen Leserbindung». Gemäss Andreas Arntzen, stellvertretender Geschäftsführer Die Zeit, trug dieser – von in Finanznot geratenen Konkurrenten wie der Süddeutschen Zeitung eifrig kopierte – Emanzipationsversuch von der werbetreibenden Wirtschaft 2002 bereits vier Prozent zum Umsatz von gut 70 Millionen Euro und stattliche 24 Prozent zum Gewinn (!) bei.
Die Zeit selbst fungiert dabei als eine Art Prospekt für den hauseigenen E-Shop, in dem sich Bildungsbürgerinnen und -bürger seit über einem Jahr mit einschlägigen Statussymbolen und Genussmitteln eindecken können. Dass der publizistische Markenkern dadurch eher gefestigt als aufgeweicht wird, steht für Brack ausser Zweifel. «Deshalb haben ja alle unsere Angebote einen so ausgeprägten Empfehlungscharakter.» Soll heissen: Wer im Zeit-Laden online einkauft, bekommt ebenso hochklassige und exklusive Ware geliefert wie der Abonnent der Zeitung in journalistischer Hinsicht.
Sensible ZeitungsmarkenAm anderen Ende des deutschen Zeitungsspektrums hat man diese Zeichen der Zeit – ähnlich wie beim Privat-TV – gar schon vor fünf Jahren erkannt. Seit den ersten Kooperationsexperimenten ist das Merchandising bei Bild, der Megamarke des Axel Springer Verlags, stetig wichtiger und professioneller geworden. Heute führt der elektronische Bild-Shop von Jacken über Handys und Notebooks bis zum eben ins Sortiment aufgenommenen «Volks-Spüler» alles, was massentauglich und erschwinglich ist. Dass dieser Billigladen weniger den Ertrag als den Umsatz der Bild-Gruppe ankurbelt, kann man nur vermuten: Über Zahlen und Margen schweigen sich der Verlag und seine diversen Partnerunternehmen nämlich einvernehmlich aus.
Bleibt die Frage, wie übertragbar solche Merchandising-Modelle auf die Schweiz sind. Dass der Blick von seiner Markenpower bislang keinen weiteren Gebrauch machte, liegt laut Bruno Blaser hauptsächlich an dem 15-mal kleineren Markt: «Wenn Bild seiner Leserschaft 10000 C&A-Jacken verhökert, würden wir hier gerade mal 500 loswerden», rechnet der Blick-Verlagsleiter vor.
Was umsatzmässig vorderhand wenig lohnend erscheinen mag, könnte sich in Sachen Markenführung und Leserbindung indes doppelt auszahlen. Dessen ist sich auch Blasers Kollege von der NZZ bewusst. Mit Argusaugen beobachtet Tobias Trevisan folglich die Aktivitäten der Zeit. «Auf Grund
der hohen Initialkosten und
fehlender Managementkapazitäten» seien schon länger vorhandene Merchandising-Pläne bislang nicht realisiert worden. Dass solche Startschwierigkeiten durch eine Kooperation mit deutschen Vorreitern leicht umgangen werden könnten, weiss Trevisan durchaus. Die Fühler ausgestreckt nach Hamburg hat er aber noch nicht.
Zeit und Bild machens vor: Mit Brand Stretching werden zu Krisenzeiten Leser gebunden und Zusatz-Euros in die Kassen gespült.

Oliver Classen

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