The future punk

Martin Wezowski ist Chief-Designer und -Futurist beim Software-Giganten SAP – und leidenschaftlicher Punkrocker. Im Interview mit Johannes Hapig von m&k erklärt er, wie er die Welt von morgen sieht.

Martin Wezowski

m&k: Martin Wezowski, Sie sind Chefdesigner von SAP – und Futurist. Was würden Sie sagen, wenn Sie Ihren Job mit ganz einfachen Worten beschreiben müssten? 

Martin Wezowski: Ich versuche, mir wünschenswerte Versionen der Zukunft vorzustellen und diese «erdachten Zukünfte» dann zu verwirklichen. Das ist die einfachste Beschreibung von dem, was ich tue. Ich sage gern: Nur mit der Vorstellungskraft kommt die Kraft der Gestaltung. Wenn Sie eine Erzählung, eine Geschichte, eine Illustration dessen, was möglich ist, entwickeln, dann ermöglichen Sie den Menschen, ihre Vision zu teilen und sie Wirklichkeit werden zu lassen.

 

Das war aber nicht immer Ihre Aufgabe: Davor haben Sie in einer Band Punkrock gespielt. Wie beeinflusst das Ihre heutige Arbeit?

Ich liebe diese Frage. Ich denke, sie ist sehr wichtig für das, was ich in meinem Job mache. Wissen Sie, ich habe Punkrock entdeckt, nachdem meine Eltern aus dem sowjetischen Polen geflohen waren, fünf Jahre bevor die Mauer fiel. Wir hatten so etwas in Polen nicht, und ich war total verblüfft, dachte: «Wow, so etwas gibt es?!» Ich traf einen Typen namens Max, der heute noch ein Freund von mir ist. Er hatte damals eine Band. Max gab mir eine Gitarre und zeigte mir, wie man einen ganz einfachen Akkord anschlägt. Es klang schrecklich. Also schaute ich ihn etwas ungläubig an und fragte ihn: «Ist es das?», und er sagte: «Naja, Du spielst, also ist es anscheinend etwas!» (lacht).

Und ich liebe diese Antwort noch heute, denn er gab mir damit das Vertrauen in einen «minimal brauchbaren Prototypen». Mit diesem Begriff spielen wir heute in der Startup-Community herum: Machen Sie einen lebensfähigen minimalen Prototyp von irgendetwas – von Ihrem Marketingvorschlag, Ihrem Produkt, Ihrer Dienstleistung oder was auch immer – als Fingerübung. Finden Sie heraus, ob Ihre Idee sich umsetzen lässt. Wir brauchen heute mehr denn je Menschen, die keine Angst vor dem Scheitern haben; die mutig genug sind, neue Dinge auszuprobieren. Die Musik hat mich viel darüber gelehrt, wie das funktioniert und warum es so wichtig ist.

 

Die Fähigkeit, zu improvisieren und das Beste aus den vorhandenen Mitteln zu machen, ist seit Beginn der Covid-19-Pandemie besonders wichtig. War das Virus ein Katalysator für Veränderungen, vielleicht sogar für positive Innovationen? 

Erstens denke ich, dass ein «Schlag ins Gesicht» wie Corona ein extremer Störfaktor ist.  Die Pandemie stellt unseren Status quo derart in Frage, dass wir anfangen, anders über unser Leben, unseren Tod zu denken – und seien wir ehrlich, das ist dramatisch. Aber abgesehen von all den negativen Aspekten … ja, die aktuelle Situation beschleunigt die Transformation. Ich meine, lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel geben – hier in Berlin, wo ich lebe, konnten Sie bis vor einigen Monaten nirgendwo Kaugummi mit Ihrer Kreditkarte kaufen. Die Leute haben Sie ausgelacht, wenn Sie das versucht haben. Jetzt hat plötzlich jeder Laden in der Stadt dieses kleine Gerät, das die Bezahlung mit Apple Pay oder der Kreditkarte ermöglicht. Warum ist das nicht schon früher passiert? Es war sicher nicht schwer, die Technik zu implementieren, die es schon vorher gab. Die Ladenbesitzer hatten dieses Gerät bereits hinter ihrer Theke. Jetzt stellen sie es einfach oben hin. Das war die einzige Änderung, die man vornehmen musste. Für mich ist das ein wunderbares Beispiel dafür, wie einfach es ist, das Alte und Nutzlose fallen zu lassen. Aber irgendetwas muss die Leute erschüttern. Ich denke, wenn es um grössere Unternehmen geht – und nicht nur darum, wie wir für unseren Kaugummi oder unser Bier bezahlen – ist es entscheidend, dass viele, viele weitere Firmen das verstehen. Zu viele sagen immer noch: «Wartet, wir sind noch nicht bereit für eine solche Transformation.» Oder: «Wir sind nicht agil genug.» Als ob das die Voraussetzungen dafür wären, einen transformativen Prozess in Gang setzen zu können. Nein! Fangen Sie einfach an.

 

Da Sie gerade über unternehmerischen Wandel sprechen: Was hat die Pandemie für SAP verändert? 

Ich bin immer wieder erstaunt, wie menschlich das Unternehmen, für das ich arbeite, wirklich ist. Wir sind eine Firma für Businesssoftware, die komplexe Systeme und Plattformen kreiert. Und doch sind wir eines der humansten und bescheidensten Mega-Unternehmen da draussen. Unsere Bescheidenheit kommt noch von unseren Anfängen her: Die Zeiten, in denen Hasso Plattner in den 1970er Jahren selbst unterwegs war – Computer in einen alten Lieferwagen geladen hat, damit zu einem Kunden gefahren ist und gesagt hat: «Jungs, wir stellen alles bei Euch in einer Ecke auf, und Ihr erklärt uns, was wir für Euch tun können!» Diese Art von Einstellung, lange vor Silicon Valley – wir waren dort, wir haben das gemacht. Ich meine, natürlich wollen wir auf dem Markt auftreten. Und das läuft ja auch recht gut (lacht). Aber der Grund dafür ist unsere Denkweise – es sind die Werte, die wir von Anfang an hochgehalten haben und an denen wir weiterhin festhalten.

Lassen Sie mich Ihnen ein Beispiel nennen: Wenn Sie wegen Covid-19 mit der Miete für Ihr Geschäft oder Ihre Produktionsstätte mit zwei Monaten im Rückstand sind, dann sagt Ihnen Ihre Bank: «Wir müssen nun handeln, weil wir eine Bank sind», und wird kaum versuchen, Sie zu unterstützen – das deutet doch nicht auf starke Werte hin, oder? SAP wird seinen Kunden nicht sagen: «Oh, schade», wenn ein Problem auftritt. Wir werden versuchen, eine Lösung zu finden. Als diese Pandemie zuschlug, hat sie also – anstatt unseren Schwerpunkt völlig zu verlagern –nur in immer grösserem Ausmass offenbart, wer wir schon immer gewesen sind.

Persönlich denke ich natürlich immer darüber nach, wie wir noch mehr von dem tun können, was wir bereits seit Jahrzehnten machen. Wenn ich sehe, mit welcher enormen Skalierung wir arbeiten, dann denke ich über die Verantwortung nach, die wir tragen. Welches andere Unternehmen ist mit der Wirtschaft und dem täglichen Leben der Menschen so verwoben wie SAP? Es gibt kein anderes Unternehmen auf der Welt, welches das, was wir tun, auf einem mit uns vergleichbaren Niveau tut. Können wir es den Menschen leichter machen, sich umeinander zu kümmern? Können wir Werte teilen? Können wir umweltfreundlicher sein? Können wir integrativer sein? Können wir unsere Wirtschaft betrachten und sehen, wie sich der Geldfluss zwischen uns, unseren Kunden, deren Ökosystemen und deren Kunden unterscheidet? Kann uns die Technologie dabei helfen, die beste mögliche Zukunft wahr werden zu lassen?

 

Auch wenn die letzte Frage vielleicht eher rhetorisch gemeint war – würden Sie sie beantworten? 

Ich glaube, dass Menschen und Maschinen bald auf eine ganz andere Art und Weise interagieren werden, als das heute der Fall ist. Die Lösungen und Systeme der Zukunft werden auf einer höchst einfühlsamen Symbiose aus maschineller Intelligenz und menschlichem Einfallsreichtum beruhen. Das ist ein sehr wichtiger Punkt, denn wenn Sie sich Hollywood-Filme ansehen, wird dort meistens von dem Szenario «Mensch gegen Maschine» ausgegangen. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich sehe mir all diese Filme auch an – ich liebe sie (lacht). Aber das ist nur Unterhaltung. Das ist nur unsere Amygdala, die da spricht. Wir bei SAP glauben, dass uns die Zukunft gegenseitige Befruchtung, nicht etwa Konflikte zwischen Mensch und Technologie bringen wird. Wir müssen uns gegenseitig ergänzen: Während die Maschinen Intelligenz liefern, liefern wir Menschen unsere Einfühlsamkeit. Die ersten erfolgreichen Schritte in diese Richtung werden bereits unternommen: Schauen Sie sich zum Beispiel das Customer Experience Management an. Dort stellen wir Fragen, die auf menschlichem Empathievermögen beruhen. «Wie fühlen Sie sich?» oder «Welches Erlebnis wünschen Sie sich?» Aber diese eher emotionalen Fragen müssen durch Daten unterstützt werden, die Maschinen für uns sammeln können. Das ist der eigentliche Kern der Augmentation – sie erlaubt es uns, eine Art von technologischer Intelligenz zu nutzen, die uns ergänzt.

Und in einem nächsten Schritt geht die Idee der Augmentation sogar noch weiter. Welche Bereiche meines Menschseins können noch erweitert werden? Mein Lernvermögen: Was brauche ich, um mich an relevante Informationen und weniger Unsinn zu erinnern? Meine Entscheidungsfähigkeit: Treffe ich schnell Entscheidungen? Oder vermeide ich das? Kann ich mit Technologie unterstützt werden? Meine Anpassungsfähigkeit, meine Ambitionen, meine Verhaltensweisen, die Sozialkompetenz… sehen Sie, was ich meine? Sogar meine Effizienz: Warum geht mir immer die Zeit aus? Wissen Sie, wir könnten, wenn wir hier gute Technologien zur Unterstützung entwickeln, endlich wirklich menschlich werden. Denn das ist der letzte Schritt hin zur Vervollkommnung. Oder vielleicht der erste Schritt in einem neuen Kapitel – der Paradigmenwechsel. Endlich könnten wir das Potenzial unseres Menschseins voll ausschöpfen.

Martin Wezowski

Wie kommt es, dass «professionelle» Futuristen eher optimistisch in die Zukunft blicken – während die breite Öffentlichkeit offenbar lieber in düsteren Szenarien, wie der von Ihnen erwähnten Science-Fiction, schwelgt? 

Jetzt beginnen wir hier fast ein weiteres Interview (lacht). Wo soll man überhaupt anfangen, um diese Frage zu beantworten? Nun, zunächst einmal, wenn es zur Sache geht, wenn wir in unserem Leben ernsthaft etwas erreichen wollen, dann müssen wir optimistisch sein. Wir sind nicht zum Mond geflogen, indem wir pessimistisch oder sogar «nur» pragmatisch waren. Nein, wir haben das einfach in Angriff genommen und gemacht. Ein anderes Beispiel: Hasso Plattner hat die In-Memory-Technologie nicht erfunden, sie dann nach sechs Jahren Entwicklungsdauer auf den Markt gebracht, indem er «Naja, mal sehen, wie das läuft» gesagt hat. Er musste sehr optimistisch sein.

Um zu Ihrer Frage zurückzukommen: Die meisten Menschen sind eher Konsumenten der Zukunft als Schöpfer der Zukunft. Wir konsumieren die Zukunft heute wie eine Zuckersoda, die kalt serviert wird. Und die Menschen mögen die Szenarien, die ihnen serviert werden, vielleicht nicht, eben gerade weil jemand anderes sie für sie erfunden hat. Aber sie denken, es gibt keine Alternative, sie haben keine Macht, daran etwas zu ändern. Das geht übrigens einher mit dem Denken, dass die Zukunft singulär sei: So etwas wie «eine Zukunft» gibt es nicht, aber alle Sprachen, die wir Menschen haben, können das nicht ausdrücken. Zukünfte sind vielfältig, bis zu dem Moment, in dem sie geschehen, es ist fast wie in der Quantenmechanik. Wenn Sie also jemanden sagen hören: «Leute, ich habe die Zukunft gesehen» – dann ist die Person entweder verrückt oder will an Ihr Geld.

 

Sie sagen, dass die Menschen negative Zukünfte fürchten – aber zu wenig tun, um ihnen auszuweichen, weil sie glauben, dass das ihre individuellen Möglichkeiten übersteigt. 

Genau. Die Menschen haben Angst, dass etwas Schlimmes, etwas Dystopisches auf sie zukommen könnte – aber tief in ihrem Innern hoffen sie auf das Gute, auf die Utopie. Das ist der Grund, warum ich den Menschen sage: Kaufen Sie nicht die Zukunft, die Ihnen serviert wird. Seien Sie kein blosser Konsument auf Ihrem Sofa; seien Sie ein Schöpfer der Zukunft. Vor allem, wenn Sie im Geschäftsleben stehen und andere Menschen mit ihren Geschäften oder sogar mit ihrem Leben von Ihnen abhängig sind, wie es zum Beispiel bei SAP der Fall ist. Jeder da draussen in der Wirtschaft: Gehen Sie an die Arbeit! Sie sind mitverantwortlich für das, was passieren wird. Sie leben in der Geschichte Ihrer eigenen Zukunft. Und da die Zukunft, welche es auch immer geben wird, mit exponentieller Geschwindigkeit auf uns zukommt, können wir ihre Gestaltung nicht an unsere Kinder oder an Märchen oder Religionen auslagern. «Oh, das wird irgendwo in der Zukunft sein…» Nein, die Ohrfeige bekommst Du heute, nicht morgen! (lacht)

 

Wenn wir zu Technologie zurückkehren, die uns helfen kann – glauben Sie, dass wir nicht nur eine Steigerung der menschlichen Fähigkeiten, sondern auch eine unabhängige künstliche Intelligenz am Werk sehen werden? 

Das ist die Frage des Jahrhunderts, nicht wahr?

 

Ja, aber weil viele Menschen sie äussern, nutze ich natürlich meine Gelegenheit, um Sie nach Ihrer Meinung zu fragen.

Ich werde an meinem Standpunkt der emphatischen Symbiose festhalten. Wenn wir über eine schlanke KI, eine breite KI oder was auch immer für eine KI es geben mag, sprechen… Nehmen wir an, es wird geschehen. Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber ich schliesse mich den Leuten an, die intensiv dazu forschen, wie Max Tegmark und all diese Jungs, die mit Elon Musk abhängen (lacht). Leute, die keine Unternehmer sind, sondern eher Wissenschaftler.

Es ist überzeugend, was die sagen – dass es eines Tages nicht nur die Augmentation geben wird, von der ich vorhin gesprochen habe, sondern eine Art neuer Entität … eine breite KI, einen Homo digitalis, vielleicht? Die Frage für mich ist, wie wir bis dahin den Übergang oder die Transformation oder die Metamorphose zu dieser neuen Entität gestalten. Können wir diesen Prozess so angenehm und kurzweilig wie möglich machen? Ich denke schon. Vielleicht werden wir eines Tages diejenigen sein, die die Maschinen ergänzen? Oder die Algorithmen, mit unserer Menschlichkeit, mit unserem Einfallsreichtum? Werden die Maschinen dann menschliche Ambitionen und Gefühle verstehen? Können wir im Gegenzug befähigt werden, uns menschlicher, besser, tiefer zu fühlen? Müssen wir irgendwann überhaupt noch als physische Wesen existieren?

 

Wenn wir schon philosophieren – und Visionen von einer fernen Zukunft teilen: Wie sieht Ihre Utopie für eine Welt in 100 Jahren aus?  

Nun, Sie hätten nicht jemanden fragen sollen, der behauptet, die Zukunft sei nicht vorhersehbar (lacht). Wie ich schon sagte: Zukünfte sind vielfältig, bis sie geschehen, und deshalb sind definitive Aussagen problematisch. Aber da Sie das Wort Utopie benutzt haben, können wir darüber sprechen, was ich als wünschenswert erachte. Ja. Was ich für wünschenswert halte, ist ein Überfluss an Möglichkeiten. Etwas, das ich auch als «Befreiung der Werkzeuge» bezeichne. Das hat es in der Menschheitsgeschichte immer wieder gegeben. Wenn jemand in der Steinzeit gelernt hat, wie ein Messer nicht nur benutzt wird – sondern wie man es herstellen kann, dann wurde dieses Werkzeug «befreit»; plötzlich war es nicht mehr einer speziellen Gruppe vorbehalten. Genauso verhält es sich mit der Gutenberg-Bibel und der Zunahme der Alphabetisierung vor einigen Jahrhunderten. Der Klerus wollte die Auslegung der Bibel für sich behalten, weil die Kirche Angst hatte, ihre Macht zu verlieren – vergeblich.

So wie die Menschen dazumal müssen wir immer wieder darauf drängen, Werkzeuge zu befreien. Denn ich bin überzeugt davon, dass die nächste Marie Curie oder der nächste Alan Turing irgendwo aus Nigeria oder Bangladesch kommen wird. Es wird ein junges Mädchen sein; im Alter von siebzehn Jahren, und sie wird auf dem Smartphone, das fünf Dollar wert ist und dessen Leistungsfähigkeit zehnmal höher ist als die von meinem 1000-Dollar-Gerät, etwas über Quantenmechanik lernen. Das ist die Befreiung der Werkzeuge. Was wird sie mit dem Wissen machen, das sie sich aneignet? Das ist die letzte Frage in dem Prozess … und die Beantwortung liegt an ihr. Unsere Aufgabe ist es lediglich, sie zu befähigen – und ich hoffe, dass wir in eine Zeit eintreten, in der Talente durch Tools «enabled» werden. Wo wir sagen: «Hey, Leute, wir haben folgende Technologien für Euch … und wir können kaum erwarten, zu sehen was ihr damit macht.» Das hat einige Gemeinsamkeiten mit SAP, denn wir sagen immer: es ist unsere Plattform, aber es ist Ihr Business, also liegt es an Ihnen, wofür Sie unsere Software nutzen wollen.

 

Eine Welt, in der jeder Zugriff auf Wissen hat, und dieses Wissen teilen kann – das klingt tatsächlich wie eine sehr erstrebenswerte Utopie.

Ja. Und stellen Sie sich vor, was passieren würde, wenn jeder die gleichen Werkzeuge zur Verfügung hätte – das wäre das Ende der Ungleichheit, aber auch der Anfang der wahren Individualität! Denn das, was die Dinge, die wir kreieren, determinieren würde, wären nicht mehr die Umstände, in denen wir aufwachsen, sondern vielmehr unsere ureigenen Interessen, Ideen … unsere DNA, unsere persönliche Denkweise. Und wenn wir die Individualität des anderen anerkennen und schätzen, verstehen wir … dass ich nicht Du sein kann. Ich kann und muss also nicht mit Dir konkurrieren. Aber ich kann Dich vervollständigen, Dich zu einem Ganzen machen. Wir würden dann vom Wettbewerb zur Vollendung kommen.

 

… was auch die Art und Weise verändern würde, wie wir miteinander Geschäfte machen.

Und nicht nur das! Konglomerate – seien sie politischer, religiöser oder geschäftlicher Natur – wären letztlich weniger bedeutsam, weil wir alle als Individuen allein mit Hilfe der Technik zueinander finden könnten. Ich wäre in einzigartiger Weise in der Lage, Deine Probleme zu lösen, während Du mit anderen Dingen beschäftigt bist – und umgekehrt. Das ist die Vision der maximalen Agilität; von einem Business-Ökosystem, das sich immer von innen heraus stimuliert, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Das ist der optimistische Ausblick. Wer braucht Unternehmen und Konglomerate, wenn wir alle als unsere eigenen, idealen Persönlichkeiten kooperieren – einfach auf der Basis unseres Selbst?

Martin Wezowski ist Chief Designer und -Futurist von SAP. Er wurde im Polen der Sowjetunion geboren; nach der Flucht seiner Familie in den Westen arbeitete er in verschiedenen Berufen und konzentrierte sich als Mitglied einer Punkband zunächst auf die Musik. Später ging er als Human Interface Designer zu Sony Ericsson, ehe er via eine Senior-Position bei Huawei schliesslich bei SAP landete.

 

Dieser Artikel ist in der Ausgabe 10/2020 von m&k erschienen.

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