Zur Sache: Könige auf der Suche
Was in der öffentlichen Debatte schon länger spürbar ist, zeigte die Dreikönigstagung 2016 in aller Klarheit: Die Medien sind auf der Suche.
Auf der Suche nach Wegen, zukünftig noch Geld zu verdienen – durch neue Konzepte für Print und die Monetarisierung von Online-Inhalten –; auf der Suche nach Wegen, junge neue Leser zu gewinnen und einst gewonnene dennoch zu halten; auf der Suche nach Munition gegen Ad-Blocker und Argumenten gegen schrumpfende Werbeausgaben; und vor allem sind die Medien und Medienmacher auf der Suche nach sich selbst: Wer sind wir? Welche Rechte haben wir? Welche Aufgaben müssen wir erfüllen? Wer unterstützt uns dabei? Die Politik, Private, Crowdfunder, wir einander gegenseitig, nur wir uns selbst, niemand?
Dass die Medienbranche im Umbruch ist, ist keine Neuigkeit. Beim ein oder anderen Medienunternehmen kristallisieren sich aus der grossen Ratlosigkeit langsam erste Lösungsansätze heraus: 20 Minuten spielt gnadenlos alle Meldungen, so schnell es geht, online aus. Am Ende jedes Tages gibt es ein Best-of, das dann die Printausgabe des nächsten Tages füllt. Im besten Fall hat 20 Minuten so alle Meldungen als Erstes online. Im schlechtesten Fall hat der Leser alles, was im Print kommt, online bereits gelesen. Noch kann 20 Minuten so die Verluste, die Print schreibt, online wettmachen. Aber wann macht 20 Minuten den Tagi überflüssig, wenn das Pendlerblatt Führungskräfte als seine Zielgruppe definiert? Und wenn die wichtigste Anforderung an Journalisten ist, jung zu sein?
Die NZZ begibt sich auf dem Weg in die Zukunft auf die Suche nach dem Leser und dem Kern der Zeitung, dem Journalismus. Beides habe man in den vergangenen Jahren aus den Augen verloren. Für Medien sei der Nutzer lange ein unbekannter, zum Teil unerwünschter Faktor gewesen, heisst es aus dem Bauch der alten Tante. Hier führt der Weg ins digitale Jahrtausend also zur Wiederentdeckung des bereits Gehabten, zur Rückkehr zu den Wurzeln. Nicht der schlechteste Weg – aber auch nicht der beste.
Aber was hat sich eigentlich wirklich verändert? Wir uns? Nicht im Geringsten. Der Leser sich? Auch nicht. Er will weiterhin schnell, gut und unterhaltsam informiert werden, wie schon vor 100 Jahren. Geändert haben sich das mediale Angebot und die Vielfalt der Kanäle, auf denen es konsumiert werden kann. Und damit ist für jedes Medienhaus auch die Konkurrenz gewachsen – vor allem im Kampf um Leser und Werbeeinnahmen.
Noch ist die Zeit nicht reif für fixfertige Lösungen, die den Würgegriff wieder lösen, in dem eine Vielzahl der Medienunternehmen sich seit Jahren befindet. Noch sind wir mitten in der Phase des Ausprobierens, stehen am Beginn einer neuen Zeit, von der wir nicht wissen, wohin sie uns genau tragen wird. Darum müssen wir im Moment ausprobieren, mit wachem Kopf und klarem Herzen experimentieren, was das Zeug hält. Wir müssen unsere Leser mit klugen Angeboten locken und überzeugen, nicht Funktionierendes schnell verwerfen und neue Anknüpfungspunkte für Leserbegeisterung bieten. Denn der Leser, der in Zukunft wieder für mediale Dienstleistungen zahlt, sucht ein Angebot, das sein ganz persönliches Informationsbedürfnis zuverlässig stillt, auf das er sich verlassen kann, das ihm eine mediale und – wie Eric Gujer sagt – intellektuelle Heimat bietet. Der Leser der Zukunft will keine Zeitung mehr oder ein Onlineportal. Er wünscht sich eine Medienmarke, die hundertprozentig zu ihm passt, die ihm gefällt, Spass macht und ihn mit Wissen versorgt.
Jeans von Levis passen nicht auf jedes Hinterteil. Wem sie nicht passen, der trägt lieber Wrangler. Oder Replay oder Gap. Doch wem eine Levis passt, der wird immer Levis tragen – schon weil sie nicht jedem passt. Was ich damit sagen will: Im medialen Evolutionsprozess seiner Persönlichkeit kommt jeder Mensch mit ganz unterschiedlichen Medienangeboten in Berührung. Und irgendwann in diesem Prozess fällt die Entscheidung, das eine Angebot zu nutzen und das andere nicht. Wer sich einmal entschieden hat, ist nicht besonders wechselfreudig. Oder lesen Sie von Montag bis Freitag den Tagi und am Wochenende die NZZ am Sonntag? Und in der darauffolgenden Woche den Blick? Medienangebote können es sich leisten, von manchen Leuten nicht gelesen zu werden – wenn die, die sie rezipieren, treu sind und es bleiben. Auf ein solches klares Profil muss jede Medienmarke hinsteuern, die in diesen Zeiten überleben will.
Medien müssen nicht dahin, wo ihre Leser sind. Wenn eine Medienmarke einen klaren Platz besetzt, werden ihre Leser sie dort finden.
Auf dem Weg zu einer überzeugenden Medienmarke müssen viele Medienmacher aber erst einmal den Print-Online-Graben überwinden. Dass in der Schweiz so viel von Medienkonvergenz gesprochen wird deutet darauf hin, dass immer noch in den Kategorien Print und Online gedacht und gehandelt wird. Leser, die sich für eine Medienmarke entschieden haben, werden künftig je nach Stimmung und Situation das gedruckte Exemplar auf der Bank unter einem Baum in der Sonne lesen, oder mobile im Zug. Entscheidend ist, dass sie sich immer an dieselbe Adresse wenden, wenn sie etwas wissen oder loswerden wollen. Das tun sie, wenn die Qualität stimmt. Nur dann.
Anne-Friederike Heinrich, Editor in Chief
f.heinrich@werbewoche.ch