«Ich denke, dass viele ‹Social Selling› mit ‹Social Werbung› verwechseln»

Im Gespräch mit MK Werbewoche erklärt der Unternehmensberater und Social Media-Experte Roger L. Basler, was es beim Social Selling – der Verbindung von Social Media, Content und Beziehungspflege – zu beachten gilt und welches die aktuellen und künftigen Trends sind.

Grafik-Social-Selling

MK Werbewoche: Herr Basler, weshalb funktionieren klassische Push-Werbe-Massnahmen, gerade im B2B-Umfeld, nicht mehr?

Roger L. Basler: Push hat eigentlich noch nie wirklich funktioniert, man hatte bisher einfach wenig bis keine alternativen Möglichkeiten. Grundsätzlich aber wollen Menschen im B2B-Umfeld vor allem eine Vertrauensbasis haben, bevor sie sich entscheiden. Das ist anders als im B2C, wo man schnell mal ein Produkt kauft, testet und dann dieses für gut oder schlecht befindet. Darum setzt man im B2B vermehrt auf Pull-Massnahmen, also das langfristigere Aufbauen von Geschäftsbeziehungen über Wissen und Vertrauen.

 

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Was ist Social Selling und welche Strategie steckt dahinter? 

Im Social Selling versuchen wir einerseits den Menschen und dessen Beweggründe zu verstehen. Was will die Finanzchefin eines KMU wissen? Was bewegt den HR Leiter einer Grossfirma, wie können wir einander helfen und unterstützen und damit eine Beziehung aufbauen. Mit dem Ansatz des gegenseitigen Helfens und Vernetzen baut man eine Netzwerkdichte und Interaktion auf, die dazu führt, dass man in Erinnerung gerufen wird, wenn es um Problemlösungen, sprich Dienstleistungen und Produkte geht – auf neuenglisch «Top of Mind» ist.

 

Ist Digital & Social Selling dasselbe wie Social-Media-Marketing oder hat es mit Social-Media-Werbung zu tun? 

Eine Kategorisierung ist nicht so einfach, denn im Volksmund spricht man allgemein gerne von «Social Media» egal ob es einfache Beiträge, Werbung oder Interaktionen sind. Grundsätzlich ist aber unter dem Begriff des Digital Marketing das Social Media eine Methode, welche vertieft wird in entweder Social-Media-Marketing (Push-Werbung) oder Social Selling (Pull-Beziehungspflege). 

 

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Wenn Social Selling ein typischer Sales-Ansatz ist, wie genau funktioniert das Lead-Management? 

Leads werden in einer ersten Stufe identifiziert und klassifiziert, danach gefüttert und angereichert, damit sich diese als warme oder abschliessbare Leads qualifizieren. Das Lead-Management als System ist also mehr Methode und Kontinuität, was man zum Beispiel mit dem Sales Navigator von LinkedIn oder einer Software wie Pipedrive oder Hubspot begleitet werden kann. Dabei setzt man auf systematische Listen und einen definierten Prozess, der dazu führen soll, einerseits mehr über die Personen zu erfahren, aber auch um das Angebot besser zu personalisieren und abzustimmen. 

 

Und wo liegen die Tücken beim Social Selling? 

Ich denke, dass viele Social Selling mit «Social Werbung» verwechseln. Das heisst, wenn jemand einen Post macht für einen Workshop oder ein Produkt empfiehlt, heisst es schnell «oh, sie macht Social Selling aka Verkaufen auf Social Media», aber das ist mit Social Selling nicht gemeint. Social Selling ist indirekt und langfristig. Der Grund warum das dann aber bei vor allem anderen «Expertinnen und Experten» gebasht wird, ist weil sie es nicht verstehen. Sie denken noch klassisch: Push-Werbung gibt Pull-Wirkung, so verdienen sie Geld, mit TKP und CPC aber das hat nicht immer den gleichen Effekt. Ich denke beides hat seine Berechtigung, je nach Ziel und Zweck ist aber eine Kombination wirkungsvoller, solange der Pull Anteil grösser ist.

 

Wie gross darf der Pull Anteil Ihrer Meinung nach sein?

Ich habe dazu eine 5:3:2 Regel: 5 Posts (oder 50 Prozent) sollten hilfreich, nicht werbend oder gebrandet sein, 3 Posts (oder 30 Prozent) dürfen einen Bezug zum Unternehmen oder zur Person herstellen aber nicht verkaufend wirken und nur 2 (oder 20 Prozent) der Inhalte sollten verkäuferisch wirken, damit haben wir auch gleich das Pareto-Prinzip von 80:20 berücksichtigt.

 

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Wie wird man zum Themenbotschafter und Influencer des eigenen Unternehmens? 

Wer den Social-Selling-Index von LinkedIn liest – es ist ein reiner Index, man kann sich davon nichts kaufen – der oder die sieht: die Grundlage ist ein gutes, fundiertes Netzwerk (Klasse nicht Masse ist gefragt), heisst man sollte sich aktiv vernetzen und dieses Netzwerk auf pflegen (online wie offline). Danach folgt mit grosser Gewichtung «Durch Einblicke Interesse wecken», heisst in meinen Worten, dokumentieren statt kreieren, aus dem Alltag heraus. Was mach ich den ganzen Tag jobbezogen? Wem helfe ich? Wem könnte ich noch helfen. Damit erreicht man eine Sichtbarkeit über das eigene Unternehmen hinaus. Firmen, die so genannte Corporate Influencer aufbauen, sollten sich jedoch bewusst dem Thema annehmen, Leitlinien definieren ohne gross einzuschränken, begleiten ist wichtiger als kontrollieren. Der Erfolg findet im Verbund statt und wenn man diese Menschen befähigt, das heisst, man schaut gemeinsam an, welche Botschaften will man platzieren, was passt zum Unternehmen UND zum Menschen und was kann man lernen, wenn man etwas herausspielt. Eine Influencerin oder ein Influencer ist eigentlich nichts anderes als eine Botschafterin mit Multiplikationseffekt über Soziale Netzwerke – aber auch offline, das dürfen wir nie vergessen.

 

Kann jeder B2B-Influencer oder Fachexperte in sozialen Netzwerken werden? 

Natürlich. Denn jede und jeder hat einen Vertrauensvorschuss erhalten mit dem Arbeitsvertrag. Das heisst, jemand hat der Person zugetraut, diesen Job gut zu machen, warum sollte diese Person nicht auch darüber sprechen dürfen?

 

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Wie schafft man es, als Experte gesehen zu werden und wie erreicht man genug Reichweite? 

Es braucht Langfristigkeit und man sollte das eigene Ego rausnehmen. Helfen statt verkaufen, dokumentieren statt kreieren. Jemand sagt mir mal: Eine Marke ist das was man über dich sagt, wenn du nicht im Raum bist. Das kann auch virtuell sein. Heisst, wenn wir es schaffen, mit unserem Wissen Einblicke zu geben und zu helfen.

 

Wie haben Sie sich zum B2B-Influencer aufgebaut? 

Ich würde mich (noch) nicht als Influencer bezeichnen, eher als Netzwerker und jemand, der die Menschen motivieren und begeistern möchte. Ich bin aber bestimmt auf gutem Weg dazu, indem ich Einblicke gebe und mein Wissen teile, meinen beruflichen Alltag dokumentiere und das, was ich lerne, kostenlos zur Verfügung stelle.

 

Welche Formate nutzen Sie, um zu zeigen, dass Sie der Experte sind? 

Ich schreibe Bücher, habe einen YouTube-Kanal und veranstalte Workshops. Ein Podcast wird gerade erstellt und ich achte darauf, dass mich Menschen auch live erleben und spüren. So kann man zum Beispiel 20 Minuten mit mir Kaffee trinken – je nach Distanz auch online, aber bevorzugt persönlich. Espresso, schwarz.

 

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Haben Sie konkrete Tipps, wie man die Weichen für einen erfolgreichen Start ins Social Selling stellt? 

Zuerst sollte man sich einen Mehrwert überlegen und sein Netzwerk gut pflegen, indem man vor allem zuhört. Passt mein Mehrwert hier rein? Wem kann ich helfen und wie genau? Danach loslegen und schauen, was sich entwickelt. Es braucht Geduld und Zeit, aber es wird Freude machen, wenn man die ersten Feedbacks erhält.

 

Wie wird sich Social Selling weiter entwickeln und mit welchen neuen Trends rechnen Sie? 

Video und vor allem Live-Video wird immer wichtiger werden, genauso wie Podcasts sich als spannende Formate etablieren. Wir sind hier erst am Anfang. Somit wird jede und jeder zum Broadcaster, machen wir also etwas daraus.

 

Interview: Karin Bosshard

Roger L. Basler ist Betriebsökonom FH und Digital-Unternehmer. Er arbeitet in den Bereichen Digitalisierung, digitale Geschäftsmodelle, E-Commerce und digitales Marketing. Er doziert an diversen Instituten und hat zahlreiche Fachbücher und Artikel zu den genannten Themen in Deutsch und Englisch veröffentlicht.

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