Immer mehr Agenturen schliessen sich dem Gislerprotokoll an

Im März 2021 wurde das Gislerprotokoll ins Leben gerufen. Die agenturübergreifende Initiative setzt sich für die facettenreiche Repräsentation der Geschlechter in Kommunikation, Marketing und insbesondere in der Werbung ein. Inzwischen haben sich bereits 19 Agenturen dem Protokoll angeschlossen. Werbewoche.ch hat bei den beteiligten Agenturen eine Umfrage gestartet.

Anfang März 2021 hat Jung von Matt das Gislerprotokoll lanciert (Werbewoche.ch berichtete). Das Protokoll ist der Werberin Doris Gisler Truog gewidmet, die sich ab 1969 mit ihrer Kampagne für das Frauenstimmrecht engagierte. Agenturen, die sich dem Protokoll anschliessen, geben damit das Versprechen ab, sich an den fünf Grundsätzen des Gislerprotokolls zu orientieren.


#1 Mitmeinen reicht nicht

«Wir achten auf eine inklusive Sprache. Selbst der Duden hat das generische Maskulinum abgeschafft. Wir verwenden immer beide Geschlechtsformen oder eine neutrale Form, die alle Geschlechter repräsentiert.»

#2 Wer sucht, findet

«Wir fördern die Chancengleichheit in der Zusammenarbeit mit externen Personen. Wir empfehlen unseren Kund*innen eine ausgewogene Auswahl an Kooperationspartner*innen und setzen uns für eine Vielfalt an Perspektiven ein.»

#3 Raus aus den 50er Jahren

«Wir vermeiden stereotype Rollenbilder und zeigen unterschiedliche Lebensentwürfe. So stellen wir sicher, dass wir der Realität der Schweiz gerecht werden und sorgen für einen #klischeeknick.»

#4 Den Spiegel vorhalten

«Wir sensibilisieren unsere Kund*innen für ihre Verantwortung in der Darstellung der Geschlechter und unterstützen sie dabei, relevant, zeitgemäss und klischeefrei zu kommunizieren.»

#5 Kein Mensch ist eine Topfpflanze

«Wir erkennen und ändern Ideen, bei denen keine Frau vorkommt oder bei denen die Rolle der Frau durch eine Topfpflanze oder einen Hund ersetzt werden kann. Die Zeit von dekorativen Beifahrerinnen und fürsorglichen Kulissenmüttern ist vorbei.


Mittlerweile haben sich Agence Trio, Aroma, Diff. Kommunikation, Feinheit, Flin, Gecko Communication, Kargo Kommunikation, Kingfluencers, Kreisvier Communications, KSP, Liip, Maxomedia, Me Kommunikation, Ogilvy, Open Up, Serviceplan, TBWA und Wunderman Thompson den Schweizer Jung-von-Matt-Agenturen angeschlossen.

Werbewoche.ch wollte von den beteiligten Agenturen wissen, weshalb sich die Agenturen zu diesem Schritt entschieden haben, und ihnen jeweils drei Fragen gestellt.

Warum braucht es Initiativen wie das Gislerprotokoll?

Flin: Zusammengezählt erreichen wir Schweizer Agenturen täglich Millionen von Menschen – aus unserer Sicht tragen wir deshalb auch eine gesellschaftliche Verantwortung bei Themen wie der inklusiven Darstellung von Geschlechtern. Aus unserer Sicht dürften wir auch noch einen Schritt weitergehen. So wären ähnliche Initiativen bei anderen relevanten Themen wie dem Klimawandel wünschenswert (kein Greenwashing, etc.)

Liip: Im Netzwerk haben wir allgemein mehr Power, als wenn sich Einzelpersonen oder einzelne Organisationen engagieren – natürlich braucht es aber unbedingt beides. Ausserdem haben gerade Kommunikations-, Werbe- und Digitalagenturen haben einen sehr starken Multiplikatoreffekt, was in der Natur der Sache liegt.

TBWA: Einerseits haben Initiativen, die auf breiter Basis unterstützt werden, mehr Chancen auf Durchsetzung. Gleichzeitig ist es im Interesse aller Agenturen, am Puls der Zeit mitzuwirken und für Gleichberechtigung und Inklusion einzustehen.

Wunderman Thompson: Gemeinsam haben wir mehr Impact. Ausserdem macht es Sinn, sich untereinander auszutauschen, sich gegenseitig zu inspirieren und voneinander zu lernen.

Kreisvier: Agenturübergreifend läuft das Protokoll viel weniger Gefahr, zu einer Profilierungsaktion zu verkümmern. Und gemeinsam lassen sich selbst grosse Dinge viel leichter anstossen.

Kargo: Unsere Branche ist am Puls der Zeit und ihr manchmal sogar ein Stück voraus. (Gute) Werbung nimmt immer wieder Einfluss in unsere Sprache, setzte neue Trends oder beendete alte – und manch eine Kampagne und so einige daraus emporgestiegene Brands sind fester Bestandteil der Popkultur. Mit diesem Einfluss ist verantwortungsvoll umzugehen. Eine agenturübergreifende Initiative wie das Gislerprotokoll ist ein starkes Zeichen, dass die Agenturen diese Verantwortung gemeinsam wahrnehmen möchten und bestenfalls auch in diesen Themen der Zeit voraus sind.

Welchen Punkt der Initiative findet ihr als Agentur am wichtigsten?

Flin: Den Spiegel vorhalten. Untereinander können wir noch so viel über Gleichstellung, Inklusion, etc. sprechen – nützen tut es erst, wenn wir mit unseren Kund*innen darüber sprechen und darauf hinweisen, dass Bilder und Sprache wichtig sind.

Liip: Den Spiegel vorhalten. Es nicht einfach nur «besser machen» (à la Nummern 1 und 5), sondern unsere Kund*innen auch für die Themen sensibilisieren, damit sie das nächste Mal – im Idealfall – selber von Beginn weg inklusiv denken und arbeiten – und die Haltung ebenfalls weitertragen.

TBWA: Wir haben keine klare Priorität, doch denken wir, dass edukativ immer noch viel Potenzial da ist und darum Punkt 4 – den Spiegel vorhalten – doch eine hohe Relevanz hat. Immer wieder werden Rollenbilder beigezogen, die heute dem Bild der Gesellschaft nicht mehr wirklich entsprechen und darum herausgefordert werden müssen. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch vorsichtig sein, Themen nicht zu überdramatisieren, da sie zum Teil nur in sehr kleinen Kreisen der Gesellschaft stattfinden.

Kingfluencers: «Wer sucht, findet» ist für uns als Influencer-Marketing-Agentur am relevantesten. Wir schauen bei der Auswahl immer darauf, eine gute Durchmischung und Diversität anzubieten.

Diff. Kommunikation: Wir empfinden alle Punkte als relevant und würden nicht einen einzelnen hervorheben.

Kreisvier: Den Spiegel vorhalten. Kund*innen beziehungsweise Marken haben eine grosse Macht, was das Entstehen von Gesellschaftsbildern und deren Akzeptanz angeht. Wenn wir es schaffen, zusammen mit unseren Kunden die in dieser Macht liegende Verantwortung richtig einzusetzen, können wir hoffentlich so manches aktuelle Anliegen flotter vorantreiben als bisher.

Me Kommunikation: «Mitmeinen reicht nicht». Ich stelle immer wieder fest, dass diese Meinung immer noch vertreten wird – leider auch von Frauen. Ich nerve mein Umfeld – teilweise gewaltig –, weil ich auf inkludierende Sprache bestehe.

Serviceplan: Nicht der wichtigste, aber wohl der alltäglichste, ist «Mitmeinen reicht nicht»: Die Sprache so anzupassen, dass «Alle» gemeint sind, ist manchmal stilistisch mühsam – aber sie repräsentiert eine Kultur, eine Haltung der Menschen dahinter. Wir achten deshalb auf Gender-Sternchen und Co., auch wenn es uns optisch nicht immer gefällt.

Gecko Communication: Die Sensibilisierung der Kundschaft. Weil sie uns zwingt, selbst sensibel zu sein. Sind wir bei der Beratung unserer Kundschaft wirklich immer klischeefrei?

Kargo: «Kein Mensch ist eine Topfpflanze»: Niemand, aber auch wirklich niemand will in seiner Bedeutsamkeit innerhalb einer Gesellschaft mit einer Topfpflanze gleichgestellt werden.

Feinheit: Alle Punkte sind gleich wichtig. In unserer Agentur hat sich die inklusive Sprache bereits in unserer Governance als Policy eingenistet und ist für uns eine Selbstverständlichkeit. In unseren politischen Kampagnen, Kampagnen für NGO oder öffentlichen Institutionen ist es erfolgsrelevant, dass wir die Realität der vielfältigen Lebensentwürfe abbilden und Stereotypen vermeiden.

Welcher Stereotyp in der Werbung nervt euch am meisten?

Flin: Farben. Es ist krass, wie Werbung bei der Farbwahl noch immer Klischees bedient. Pink gleich weiblich, blau gleich männlich. Neu, und nicht geschlechterbezogen, dazugekommen ist grün. Alles was grün ist, soll auch gleich für nachhaltig stehen. Egal ob es stimmt oder nicht – hauptsache die Farbe passt.

Liip: Die Frau auf ihre äusserlichen Merkmale zu beschränken, sie als Deko-Element einzusetzen – hübsch, schlank, lieblich und oft auch sexy.

TBWA: Letztendlich fussen viele Rollenbilder noch in der jüngeren Vergangenheit, in welcher die Frau traditionell im Hausfrauenmodell dargestellt wird und der Mann mit Krawatte als Versorger der Familie gezeigt wird. Diese Zeiten sind definitiv vorbei.

Wunderman Thompson: Was nervt, ist die Summe der einzelnen Stereotype. Und alles, was jemanden blöd dastehen lässt.

Kingfluencers: Der «gut gemeinte».

Diff. Kommunikation: Die Darstellung der Frau, die schweigt, sich kümmert oder lediglich als dekoratives Objekt dient.

Kreisvier: Die sexy Frau, die abgesehen von ihrer Sexiness nicht viel Existenzberechtigung aufweist.

Me Kommunikation: Wenn Frauen als Dekoelement eingesetzt werden. Wenn man sofort merkt, dass Männer Texte für die Frauen in der Werbung geschrieben haben. Wenn Werber die Schenkelklopf-Mentalität zelebrieren, wie zum Beispiel die Rohr-Max-Werbung.

Serviceplan: Auch wenn man versucht, Stereotypen mit Zynismus und Humor zu verbinden, bleiben sie Stereotypen auf Kosten einer Minderheit. Wir würden uns darüber freuen, wenn künftig gänzlich darauf verzichtet würde. Uns stören und langweilen alle Arten von Klischees, Vorurteile und Verallgemeinerungen.

Gecko Communication: Machermänner hier, kümmernde Frauen dort. Mit der realen Schweiz hat das nichts zu tun. 

Kargo Kommunikation: Die beiden Klassiker: Das naive Girl und der harte Typ. Am liebsten in Kombination.

Feinheit: Die stille Geniesserin und Mister Mansplainer. Insbesondere diese Stereotypen berauben insbesondere Frauen ihrer Stimme und machen sie zu passiven Nebendarstellerinnen.

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