«Hierarchie killt Kreativität»

Wolfgang Bark ist ab Januar 2021 Teil des Empowerment Boards von Jung von Matt Limmat. Das neu geschaffene Gefäss soll die Mitarbeitenden der Kommunikationsagentur befähigen, früh Verantwortung zu übernehmen und sich gemäss ihren persönlichen Stärken zu entwickeln. Das Board ist Teil des radikal neuen Kreativ-Ökosystems von Jung von Matt. Wolfgang Bark erklärt im Interview mit Werbewoche.ch, wie die Agentur dieses neue System im Agenturalltag umsetzen wird.

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Werbewoche.ch: Wolfgang Bark, Sie sind Mitglied des neu lancierten Empowerment Boards. Im Oktober hat Jung von Matt das Excellence Board vorgestellt – was genau ist die Idee hinter diesen Boards, was sind ihre Aufgaben?

Wolfgang Bark: Sowohl das Empowerment als auch das Excellence Board sind Teil des neuen Kreativ-Ökosystems von Jung von Matt. Im Endeffekt kümmern sich beide Boards darum, die Agentur voranzubringen. Das Excellence Board mit Annette Häcki, Luitgard Hagl, Carsten Jamrow und Stefan Naef ist dafür verantwortlich, die Gesamtarbeit der interdisziplinären Teams, also den kreativen Output, weiterzuentwickeln. Sie sind Sparring Partner der Teams, geben Input auf konkreten Projekten und in der gemeinsamen Zusammenarbeit. Das Empowerment Board wiederum fokussiert auf jeden Mitarbeitenden individuell und ist für die persönliche Entwicklung verantwortlich. Ziel des Empowerment Boards ist es, mit den Mitarbeitenden gemeinsam herauszufinden, wie sie sich einzeln und im Konstrukt eines Teams bestmöglich entwickeln und einbringen können. Kurz gesagt entflechten wir Führungsaufgaben von der täglichen Kreativarbeit, denn wir glauben, dass Hierarchie Kreativität killt.

 

Wer ist neben Ihnen Mitglied des Empowerment Boards?

Das sind Vera Riemeier, Annika Seidel, Manuela Brunner, Nathalie Eggen und René Schwarz. Wir sind, genauso wie unsere Teams, interdisziplinär aufgestellt und coachen interdisziplinär. Silodenken wollen wir auch hier vermeiden.

 

Wie muss man sich die Arbeit des Empowerment Boards vorstellen?

Unser zentrales Tool sind persönliche Gespräche. Wir tauschen uns wöchentlich mit den Mitarbeitenden aus und prüfen mit ihnen, wo sie stehen, was ihre nächsten Schritte sind und wo es vielleicht gerade harzt. Es geht auch darum, zusammen mit ihnen Weiterentwicklungs-Chancen in der Agentur zu erkennen und diese proaktiv anzugehen. Auch das ist neu: Früher musste man sich bis auf eine bestimmte Hierarchiestufe hocharbeiten, bevor man zum Beispiel mehr Verantwortung in einem Projekt übernehmen konnte. Im Kreativ-Ökosystem ist der Rang der Person weniger wichtig und zum Teil sogar irrelevant. Wenn ein Junior für ein Projekt super geeignet ist und gerne mehr Verantwortung übernehmen möchte, fördern wir das gezielt.

 

Das birgt aber natürlich auch ein gewisses Risiko…

Natürlich. Aber da kommt eine positive Fehlerkultur ins Spiel. Wenn man jungen Talenten früh Verantwortung übertragen möchte, muss man auch damit rechnen, dass mal etwas schief geht. Einmal abgesehen davon, dass das genauso gut auch bei sehr erfahrenen Profis passieren kann. Es darf auf keinen Fall eine Angst vor der Verantwortung und vor Fehlern geben. Lieber macht man die Fehler früh und lernt daraus, als sie die ganze Zeit mit sich zu tragen. Sicherlich ist ein natürlicher Respekt gut und richtig. Aber aus Angst vor Fehlern gar nicht erst Verantwortung zu übernehmen oder zu übertragen, ist viel schlimmer.

 

Sie sagen, der Rang ist weniger relevant. Trotzdem muss es doch aber Entwicklungschancen geben? Wie motivieren Sie ihre Mitarbeitenden, wenn es keine klassische Karriereleiter mehr gibt?

Entwicklungschancen sind zentral. Die Frage ist nur: in welche Richtung? Klassisch gedacht bedeutete Entwicklung immer, irgendwann Personalverantwortung zu übernehmen. Also, Chef oder Chefin werden und Leute führen. Dabei merken viele Fachspezialisten dann viel zu spät, dass ihnen das Führen von Mitarbeitenden gar nicht liegt, weil sie ihr Augenmerk viel lieber nur auf den Output legen. Dann bleiben die Leute, die geführt werden sollten, oft auf der Strecke und das sorgt für Frust. Im Kreativ-Ökosystem unterscheiden wir deshalb zwischen einer eher fachlich orientierten Karriere und einer Führungskarriere. Man muss also nicht mehr unbedingt Leute führen, um als «sehr erfahren» und «senior» in seinem Gebiet zu gelten. Gleichzeitig können sich Menschen mit einem Talent für Führung auch schon früh auf diesem Gebiet ausprobieren und zum Beispiel als Junior bereits einen Trainee coachen. Ein weiterer Vorteil: Mitarbeitende werden gradueller entwickelt; die Gefahr, dass jemand mit einem plötzlichen Verantwortungszuwachs überfordert ist, wird viel kleiner. Die Wege sind also fluider und vielgestaltiger geworden. Es gibt nicht mehr die Karriereleiter, sondern vielmehr einen Karrierebaum mit vielen Verästelungen. Und: wir unterstützen die Entwicklung der Mitarbeitenden auch mit unserem internen Weiterbildungsangebot, der School of Excellence.

 

Das hört sich alles sehr idealtypisch an. Heisst das, dass ich als Mitarbeitende zukünftig nur noch die Dinge machen kann, die mir maximal Freude bereiten?

Jemanden gemäss seinen Fähigkeiten und Talenten zu entwickeln und zu fördern, heisst nicht automatisch, dass man nur noch die Rosinen aus dem Kuchen pickt. Jeder Job hat Aspekte, in denen man noch unerfahren ist oder die einem nicht liegen. Auch da setzt Empowerment an: Stell dich auch der unbequemen Herausforderung, hol das Beste, wenn auch nicht Vollkommene heraus, und lerne etwas über dich selbst und andere. Man darf nicht vergessen: Beim Empowerment geht es ganz sicher nicht darum, nur Feel-Good-Gespräche zu führen. Es kann und muss auch mal schmerzen, hinzuschauen und zu merken, was man noch nicht gut kann oder wo man Schwierigkeiten hat. Schwächen bewusst machen ist ebenso Teil des Coachings. Der Vorteil aber ist: Man weiss gleichzeitig auch, dass man in ein System eingebettet ist, indem man sich seinen Schwächen, Hürden und Defiziten stellen darf, um sie dann zu überwinden.

 

Ist dieses Empowerment auch in ein System eingebettet? 

Ja. Wir arbeiten einerseits mit einem Zielesystem, in dem Ziele vierteljährlich gesetzt und überprüft werden. Andererseits führen wir ein 360-Grad-Feedback ein, in dem alle Mitarbeitenden, egal aus welcher Stufe, von ihren Peers bewertet werden und umgekehrt ihre Peers bewerten. Diese Feedbacks werden laufend durchgeführt und werden entsprechend auch laufend besprochen. Und sie sind nicht anonym: Jeder weiss, von wem er gerade ein Feedback erhalten hat. Das ist sicher nicht immer einfach, aber wir glauben, dass wir uns individuell und gemeinsam als Agentur nur so weiterbringen.

 

Haben Sie keine Angst, mit dem Empowerment Board und dem Glauben, dass es weniger Hierarchie braucht, auch falsche Erwartungshaltungen zu schüren?

Das Kreativ-Ökosystem ist ein grundsätzliches Mindset: Mehr Chancen für jeden Einzelnen. Jede und jeder kann und darf sich in eine ihr oder ihm entsprechende Richtung entwickeln. Wie diese Richtung aussieht und in welchem Zeitrahmen sie stattfindet, ist aber von der Person selbst und den Umständen abhängig. Der Kern unseres Schaffens sind unsere Leute und wie sie die Agentur mit Leben füllen. Da arbeite ich lieber mit 140 inspirierten und befähigten Individuen zusammen, die für sich persönlich eine Vision haben, als mit 140 Personen, die in einem klar vorgegebenen Raster jeden Tag Dienst nach Vorschrift leisten. Fakt ist ja auch: Die Fluktuation in Agenturen ist immer noch hoch. Einer der meistgenannten Gründe ist, weil Menschen den Eindruck haben, sie hätten sich nicht persönlich entwickeln können. Und dem wollen wir bewusst entgegenwirken.

Wolfgang Bark ist ab Januar 2021 als Executive Creative Officer Mitglied der Geschäftsleitung von Jung von Matt Limmat und Teil des neu geschaffenen Empowerment Boards der Agentur. Bark ist seit 2016 bei Jung von Matt Limmat, seit 2018 als Executive Creative Director. Das langjährige ADC-Mitglied war zuvor bei Wirz, Havas Worldwide Zürich, Grey Düsseldorf und Scholz&Friends. Er hat für sein kreatives Schaffen zahlreiche internationale Preise gewonnen, unter anderem für die Literaturkritik von Helmut Karasek für den Ikea-Katalog.

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