«Keiner wird behaupten, wir hätten mit United das Kooperieren zwischen Firmen erfunden»

Unter dem Label United vollziehen die drei eigenständigen, netzwerk-unabhängigen Agenturen Inhalt und Form, Station und Walker einen partnerschaftlichen Schulterschluss. Was das Konstrukt neuartig macht, wie es funktioniert und was die Beweggründe zur Lancierung von United waren, erzählen die Verantwortlichen im Gespräch mit der Werbewoche.

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Werbewoche: Sie vollziehen als kleine und mittlere Agenturen unter dem Label United den Schulterschluss – wieso?

Dominik Stibal: Heute ist die grösste Herausforderung für Agenturen und Auftraggeber die Komplexität der Kanäle. Kleineren und mittleren Full-Service- Agenturen wird die Kompetenz, auf allen Kanälen Topleistung zu erbringen, oft nicht zugesprochen. Denn wer bekanntlich alles kann, ist ein Meister im Nichts. Mit dem Schulterschluss verbinden wir die Kompetenzen dreier unabhängiger Kreativagenturen, die im jeweiligen Fach Best in Class sind. Wir trauen uns, zu unseren Schwächen zu stehen und transparent die Stärken anderer Agenturen zu nutzen. Die Zusammenarbeit zwischen unseren Agenturen wurde schon bei einigen unserer Kunden erfolgreich angewendet, und somit ist United nicht eine leere Versprechung, sondern ein gelebtes Modell.

Wieso soll ich denn nicht einfach zu den grossen Agenturen gehen, die alle Kompetenzen unter einem Dach vereinen?

Cornelia Nünlist: Bei einer grossen Agentur muss ich den ganzen «Dampfer» engagieren. Arbeite ich mit einer Agentur von United, ist das nicht nötig. Habe ich zusätzliche Bedürfnisse, gibt es Partner, die da sind – aber es besteht kein Zwang. Das meinen wir mit Flexibilität. Entscheidet man sich für eine Grossagentur, muss man das ganze Konstrukt auch bezahlen.

Karin Estermann: Als inhabergeführte Agenturen sind wir viel agiler und flinker unterwegs. Diejenigen, die entscheiden können, sitzen zusammen, starten das Projekt und gehen zurück in ihre Agenturen. Da wir alle die gleiche Arbeitsweise haben, können sehr schnell Entscheidungen gefällt werden.

Pius Walker: Es geht um Leidenschaft und wie wir diese am besten pflegen. Natürlich arbeiten auch in grossen Agenturen passionierte Menschen. Aber wenn wir uns die letzten 20 Jahre der Branche anschauen, lief es immer gleich ab: Erst sind die Agenturen klein, dann wachsen sie über ihre Grösse heraus, und die Leidenschaft bleibt irgendwo auf der Strecke.

Entscheidet man sich für eine Grossagentur, muss man das ganze Konstrukt auch bezahlen.

Wieso?

Walker: Ein grosses Unternehmen verlangt nach einer anderen strukturellen Verwaltung. Ab einer gewissen Personenanzahl kann man eine Agentur nicht mehr gleich führen wie eine kleine. Es kommt zu einem Bruch, den kreativ nicht alle überleben. Das sind strukturelle Herausforderungen, die sich auch auf die Leidenschaft der Menschen auswirken, die dort arbeiten. Wir glauben, mit unserem System können wir diese Herausforderung überwinden. Das ist der Grundgedanke.

Wie arbeiten die drei Agenturen unter dem Konstrukt United genau zusammen?

Walker: United ist eine dynamische Verbindung. Wir pflegen unsere individuellen Stärken und schärfen damit weiterhin die Eigenständigkeit unserer Agenturen. Das erlaubt uns einen entspannten und konstruktiven Austausch untereinander. Keine Selbstverständlichkeit in einer Branche, die sich auch durch ihre Eitelkeit auszeichnet. Jede Agentur hat ihr Gärtchen, eine Zusammenarbeit gestaltet sich oft schwierig. Da sehen wir eine grosse Chance für United.

Jede Agentur hat ihr Gärtchen, eine Zusammenarbeit gestaltet sich oft schwierig.

Ein Kunde kommt weiterhin auf Sie als Einzelagentur zu und nicht auf United?

Walker: Genau. Als Kunde hat man den Vorteil, dass man nur einen Ansprechpartner hat – Station, Inhalt und Form oder Walker. Es besteht nun die Möglichkeit, die beiden anderen Partner zu involvieren. Das heisst: Dem Kunden steht die persönliche und individuelle Betreuung einer Kleinagentur zur Verfügung, kombiniert mit dem personellen Power einer Grossagentur mit 87 festen Mitarbeitern.

Viele Agenturen arbeiten schon lange und regelmässig zusammen. Was ist der Unterschied zum Konstrukt United?

Walker: Für den Kunden ist sicher das Wegfallen des Koordinationsaufwands wichtig und die Tatsache, dass die United-Partnerschaft bereits integriert und gelebt wird.

Aber ist es nicht so, dass es ähnliche Modelle schon heute gibt, einfach ohne Label?

Stibal: Wenn ein Auftraggeber sich entscheidet, mit verschiedenen Agenturen zusammenzuarbeiten, passiert es immer wieder, dass diese untereinander Grabenkämpfe führen. Die Digitalagentur möchte das «Gärtchen» der klassischen Agentur betreten und umgekehrt. Alle wollen auf irgendwelchen Wegen noch etwas mehr Geld reinholen.

Das passiert den United-Agenturen nicht?

Stibal: Nein, denn wir ziehen hier eine trennscharfe Linie. So kann sich der Kunde darauf verlassen, dass es weder Grabenkämpfe noch Reibungsverluste gibt. Genau das soll mit diesem Label garantiert werden: Wir wollen miteinander arbeiten – und wir wissen, wo unsere Grenzen sind. So muss sich ein Auftraggeber nicht darum kümmern, dass die Agenturen an einem Strick ziehen. In vielen anderen Fällen verschlingt dieses Partnermanagement viel Zeit und Geld.

Walker: Bisher entschied sich eine Leadagentur für die Digitalagentur X, die für sie beispielsweise eine App umsetzen soll. Bei uns läuft das anders: Nach der Auftragsvergabe setzen wir uns gemeinsam an den Tisch und schauen, wie wir unsere Stärken ein- und zusammenbringen können. Das ist eine ganz andere Philosophie. Die Leadagentur analysiert die Bedürfnisse des Kunden, und wenn die beiden anderen Agenturen davon tangiert sind, werden sie in der Konzeptionsphase involviert. Man packt die Aufgabe gemeinsam an. Die Zusammenarbeit setzt zum frühestmöglichen Zeitpunkt ein.

Das Wegfallen des Auftragsverhältnisses ist also auch der Unterschied zum «Modell tbd.» – die Agentur hat ein kleines Kernteam und zieht sich je nach Projekt flexibel bewährte Spezialisten hinzu.

Walker: Stimmt, dieses Modell kennen wir bei Walker auch (lacht). Keiner wird behaupten, wir hätten mit United das Kooperieren zwischen Firmen erfunden. Wir sind drei Agenturen, haben drei starke Schwerpunkte, eine erprobte Zusammenarbeit und bieten dieses Modell nun unseren Kunden an. Es ist so einfach wie es klingt.

Stibal: Wenn grosse Volumen hereinkommen, ist es schwierig, auf die Schnelle genug Leute zu sourcen, die den Auftrag umsetzen können. Bei United bieten wir im Hintergrund funktionierende Entitäten, die, wenn nötig, grosse Ressourcen-Power bereithalten. Insgesamt vereinigen wir rund 90 Leute. Und bilden so eine valable Alternative zu Grossagenturen.

Patrick «Patman» Spahr: Ich sehe die Stärke in der Vernetzung der Unabhängigkeit. Wir sind drei unabhängige Agenturen, werden nach wie vor unsere eigenen Kunden haben und unsere eigene Kultur pflegen. Gleichzeitig wollen wir United formen und weiterentwickeln. Das Potenzial an Ideen, die so zusammenkommen, ist enorm. Wir kennen alle wichtigen Faktoren und wissen, welche Spezialisten wir bei Bedarf einsetzen können. All dieses Wissen fliesst in den Pool mit ein und kann unter dem Label United angeboten werden. Auf eine Art, wie es bei grossen Playern meist nicht möglich ist: Da sie alles nur als Teilbereich betreiben, haben sie Mühe, die richtigen Leute anzuziehen. Wir hingegen, als immer noch unabhängige, spezialisierte Digitalagentur, wissen genau, welche Leute und welche Technologien es braucht – und wie wir diese bereitstellen können.

Hat Station als Digitalagentur auch mit dem Full-Service-Gedanken geliebäugelt in der Vergangenheit?

Patman: Wir haben uns bewusst dagegen entschieden. Denn wir stehen dazu: Wir können es nicht, da wir dafür nicht aufgestellt sind. Vielleicht war das teilweise ein Nachteil in Bezug auf gewisse Mandate. Die ganze Entwicklung der Digitalagenturen haben wir natürlich stets mitverfolgt. Ich selbst komme aus der klassischen Kommunikation, war bei Weber, Hodel Schmid, bei Publicis . . . (blickt zu Pius Walker) . . . du warst auch mal bei Publicis, oder?

Walker: (lacht) Nein … ich glaube, ich war wirklich nie bei Publicis . . . (Gelächter)

Patman: Also, vor 20 Jahren habe ich in den Digitalbereich gewechselt und so die ganze Entwicklung von Anfang an miterlebt. Als die grossen Agenturen langsam begonnen haben, auch auf digital zu machen. Aber sie standen vor der Herausforderung, die richtigen Leute anzuziehen bzw. haben gar nicht gewusst, welches die richtigen Leute sind. Wir hingegen haben uns immer auf diese Themen fokussiert und sind dadurch sehr nahe an den aktuellen Entwicklungen. Gleichzeitig kennen wir auch unsere Schwächen. Wir haben daher immer mit anderen Agenturen zusammengearbeitet und werden als sehr schnittstellenfähig bezeichnet. Die Ausgangslage war aber oft eine ganz andere. Denn meist wurde man einfach zusammengestellt und hat dann versucht, möglichst gut miteinander zusammenzuarbeiten. Im Konstrukt United ist es natürlich viel spannender, da wir gemeinsam auftreten.

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Aber erschwert dieses Konstrukt nicht auch die Zusammenarbeit mit anderen Agenturen, wenn Sie in diesem Modell «gefangen» sind? Gibt es böse Blicke, wenn ein Dritter hinzugezogen wird, dessen Fähigkeiten auch durch einen United-Partner hätten abgedeckt werden können?

Walker: Wir starten jetzt erst einmal und hoffen, die bösen Blicke lassen noch etwas auf sich warten. (Alle lachen.) Es ist ein wenig wie beim Rütlischwur 1291. Es kann ja durchaus sein, dass anstelle von bösen Blicken weitere Agenturen dazukommen.

Welche Anforderungen stellen Sie an einen potenziellen weiteren United-Partner?

Unser Credo ist, dass wir Best-in-Class-Agenturen zusammenbringen. Und vor allem – wie es Patman schön gesagt hat – dass eine Agentur auch weiss, was sie nicht kann. Wir möchten nicht mit Agenturen zusammenarbeiten, die von sich behaupten, alles zu können. Wir wissen um unsere Stärken und Schwächen. Fast jeder Kunde hat heute Bedürfnisse, die eine einzige Agentur nicht abdecken kann.

Wir möchten nicht mit Agenturen zusammenarbeiten, die von sich behaupten, alles zu können.

Eigentlich verbindet die drei United-Agenturen also, dass sie – eher selten in dieser Branche – zu ihren Schwächen stehen?

Stibal: Genau. Und ich glaube, dass diese Transparenz auch das ist, was der Auftraggeber am Ende goutiert. Er will Agenturen am Tisch haben, die spezialisiert sind.

Estermann: Bei all den Kundenkontakten, die wir haben, haben wir gelernt, was uns zugetraut wird und was nicht. Darum verbinden wir uns und machen uns so stärker.

Walker: Das Wissen um die eigenen Schwächen ist die Stärke, die uns vereint. Die Philosophie «Wir sind alle gleich gut und machen nun zusammen was» würde wenig Sinn machen. Gute Partner sind eigenständig. Bringt jeder seine Stärken und Schwächen mit, entsteht eine neue Stärke. Eine Demut, von der in unserer Branche bisher noch nicht viel zu spüren war.
Nünlist: Da alle die Stärken und Schwächen des anderen kennen, kann man sehr früh in einem Projekt die Stärken des anderen mit einbeziehen. Es ist eben nicht so, dass die Kreativagentur bereits das ganze digitale Konzept macht – und dann kommt die Digitalagentur und sagt: Schön und gut, aber das funktioniert nicht.

Das Wissen um die eigenen Schwächen ist die Stärke, die uns vereint.

Zur Kommunikation: Wie treten Sie mit dem Label United auf? Wo kommt es im Alltag zum Tragen?

Stibal: Das ist genau geregelt: Wir treten nicht als United auf, sondern fügen unseren Agenturnamen in Klammern den Zusatz «Member of United» bei.

Ist es auch eine Gratwanderung, weil Sie einerseits die eigenen, unabhängigen Marken stärken wollen, gleichzeitig aber das Label etablieren und bekannt machen möchten?

Walker: Im Gegenteil. Das Modell fördert die Unabhängigkeit der einzelnen Partner und bietet damit die Grundlage einer soliden Zusammenarbeit. Eine Frage, die wir uns bei Walker schon seit Jahren stellen: Wie können wir klein bleiben und trotzdem wachsen? Das klingt eigentlich nach einem Gegensatz, aber auf diese Weise funktioniert es. Das beste Beispiel dafür kommt aus der Fliegerei: die Star Alliance. Dem Kunden bieten sich unzählige Vorteile, er kann bei allen Partnern Meilen sammeln, weiss, dass sein Gepäck auch Airline-übergreifend zuverlässig bis zur Endstation gelangt, er kann die verschiedenen Lounges benutzen – und trotzdem sind Thai Airways und Swiss unterschiedliche Airlines, bleiben eigenständig, werden separat gemanagt. Und das ist gut so. Von dieser Allianz profitiert der Kunde – und damit die Airlines. Und so müssen Sie sich das Ganze auch bei uns vorstellen: Es hat einfach nur Vorteile (lacht).

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Wie gehen Sie bei der angesprochenen «Vernetzung der Unabhängigkeit» jetzt vor?

Estermann: Wir haben zum Beispiel alle unsere Mitarbeitenden zusammengeführt, um sich gegenseitig kennenzulernen. Denn diese Menschen müssen in Zukunft alle zusammenarbeiten, sich kennen.

Patman: Diesen Austausch wollen wir auch fördern. Man kommt immer wieder zusammen. Aber ohne die Kultur des Anderen ändern zu wollen. Jeder soll seine Kultur haben. Die Digitalen funktionieren beispielsweise einfach ganz anders. Und selbst innerhalb unserer Agentur gibt es ganz unterschiedliche Mikrokulturen, die wir kombinieren, um möglichst gut zusammenzuarbeiten. Das versuchen wir nun auch mit United.

Stibal: Ein sehr wichtiger Grundgedanke: Die Kulturen der einzelnen Agenturen müssen unbedingt erhalten bleiben. Denn nicht umsonst sind diejenigen, die sich für United zusammengefunden haben, in irgendeinem Bereich Best-in-Class. Dafür braucht man eine eigene Kultur. Aus unserer Zusammenarbeit soll kein Kulturgemisch resultieren. Im Gegensatz zu anderen Ansätzen soll bei uns nicht eine einzige Kultur über allem stehen. Die ganzen Anforderungen sind so komplex geworden, dass man sie nur noch bewältigen kann, wenn man Einheiten hat, die in ihren Bereichen und mit ihrer Kultur top sind. Wenn man diese Einheiten gut vernetzen kann, ist das meines Erachtens besser, als wenn man alles unter ein Dach bringt. Dass die einzelnen Kulturen bewahrt werden, finde ich auch wichtig, weil sich ein Kunde oft auch aus Kulturgründen für eine bestimmte Agentur entscheidet. Weil er sich wohlfühlt bei einer Agentur. Wird einem diese Kultur weggenommen, ist das in meinen Augen eine negative Erfahrung für den Kunden. Genau das wollen wir nicht.

Zum Schluss noch eine ganz andere Frage: Wer hat eigentlich das Logo und die Corporate Identity gemacht?

Stibal: Damit haben wir eine andere Agentur beauftragt! (Gelächter)

Interview: Thomas Häusermann

Dieses Interview stammt aus der Werbewoche 3/2018 vom 9. Februar 2018.

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