Zwei Jahre mehr Facettenreichtum in der Werbung
Das Gislerprotokoll wurde am 8. März 2021 – am Weltfrauentag – aus der Taufe gehoben. Der Verein setzt sich für mehr Diversität in der Werbung ein. Stereotypische Frauen- und Männerrollen werden humorvoll ins Scheinwerferlicht gerückt, hinterfragt und mit der Realität abgeglichen. Anna Kohler von m&k Werbewoche.ch hat mit Co-Gründerin Nina Bieli über zwei Jahre Gislerprotokoll und den ersten grossen Event des Vereins, den Gisler-Gipfel, gesprochen.

Mittlerweile wird der Verein Gislerprotokoll von einem achtköpfigen Vorstand geleitet und besteht aus bereits 126 Mitglieds-Agenturen, die sich der Charta verpflichten, in der Umsetzung von Kampagnen sensibel zu agieren, sich für Vielfalt in der Werbung einzusetzen und Inklusion sowie Diversität auch bei den Kunden zu implementieren. Die Co-Gründerinnen Nina Bieli und Annette Häcki sind stolz, wie sich die Initiative entwickelt hat.
m&k: Nina Bieli, mittlerweile haben sich 126 Agenturen aus der ganzen Schweiz dem Gislerprotokoll angeschlossen. Hätten Sie das gedacht, als Sie vor genau zwei Jahren gestartet haben?
Nein, überhaupt nicht! (lacht) Unser damaliger Fokus war vor allem, dass wir es als Jung von Matt besser machen, weniger mit Klischees arbeiten und inklusiver kommunizieren. Und dass sich im besten Fall ein paar Agenturen anschliessen. Ich habe heute in meine Agenda geschaut: Am 13. Juli 2021 trafen sich die ersten Mitglieder erstmals zu einem «Gisler-Gipfel» – damals war das noch ein kleines Get-Together von rund zehn Agenturen. Dass wir nun, zwei Jahre später, so viel auslösen konnten und sich so viele Menschen und Agenturen für das Thema begeistern, freut mich wirklich sehr.
Wo sehen Sie als Verein die grössten Herausforderungen in Bezug auf Vielfalt in der Werbung?
Wir merken immer wieder, dass die erste Reaktion auf das Thema geprägt ist von der Angst, dass es ständig um richtig und falsch gehen muss. Dass man also gefühlt nur Fehler machen kann. Da versuchen wir als Gislerprotokoll aufzuzeigen, dass der Weg in eine vielfältigere, inklusive Werbung eben genau das ist: Ein Weg. Auf dem wir uns gemeinsam bewegen und entsprechend auch nicht heute oder morgen schon alles umkrempeln müssen. Heisst, dass ich als Unternehmen nicht von heute auf morgen den Genderstern einführen muss – aber ich sollte mich heute damit befassen, wie ich in Zukunft inklusiver kommunizieren kann. Gleiches gilt im Bild: Zum Teil hilft es nur schon, mal eine Frau ans Steuer eines Autos zu setzen – erstaunlicherweise etwas, das man immer noch relativ selten sieht.
Wozu genau bekennen sich die Agenturen, die dem Gislerprotokoll beitreten?
Diese Agenturen bekennen sich zu fünf Punkten, bei denen es unter anderem um inklusive Sprache, facettenreiche Rollenbilder und die Sensibilisierung von Kund:innen für das Thema geht. Ganz konkret setzen sie sich dafür ein, dass wir in der Schweiz insgesamt weniger stereotyp und eben mit mehr Facetten kommunizieren.
Was können Gäste des ersten Gisler-Gipfels erwarten?
Der Gisler-Gipfel ist unser erster grosser Event – und genau genommen eigentlich schon der zweite mit diesem Namen, wie ich ja heute festgestellt habe. Der Event soll ein Anlass für Inspiration und Austausch sein zu den unterschiedlichsten Facetten, die es im DEI-Kosmos [Diversity, Equity and Inclusion, Anm. d. Red.] gibt. Dazu gehört zum Beispiel die Auseinandersetzung mit den Themen «Trans» und «Queer» oder auch die Rolle und Darstellung von Vätern in unserer Gesellschaft. Dazu haben wir Speaker wie Peter Schneider und Anna Rosenwasser eingeladen. Und wir dürfen auch die Initiative EqualVoice von Ringier begrüssen, was mich sehr freut.
Wo sehen Sie den Verein in ein paar Jahren, was sind die Langzeitziele?
Wenn ich unseren «entspannten» Start vor zwei Jahren anschaue, muss ich fast sagen: Keine grossen (lacht). Aber die letzten zwei Jahren haben uns auch gezeigt, was alles möglich ist und was noch getan werden muss. Ein grösseres Thema, dem wir uns als Vereinsvorstand in den kommenden Monaten annehmen werden, ist die Unternehmensmitgliedschaft. Bisher war das Gislerprotokoll auf Agenturen ausgerichtet. Wir haben aber immer wieder Feedback von werbetreibenden Unternehmen erhalten, dass sie eine Mitgliedschaft ebenfalls interessiert. Das ist zwar grundsätzlich möglich, aber wir möchten explizit ein Angebot schaffen, dass eben auch die Bedürfnisse und Gegebenheiten von Unternehmen berücksichtigt.
Stereotypen in der Werbung betrifft ja nicht nur Frauen. Auch Männer monieren mehr und mehr, zu oft der trottelige Vater zu sein oder der ungelenke Beziehungspartner.
Absolut. Deshalb kümmert sich das Gislerprotokoll ja auch explizit um die stereotype Darstellung beider Geschlechter sowie um die Sensibilisierung, dass es eben nicht nur diese binäre Geschlechterordnung gibt. Ich denke, ideal ist Diversität dann, wenn sie kein Anstrich ist. Wenn sowohl die Menschen aber auch die Rollen, die wir in der Werbung zeigen, unterschiedliche Facetten haben – und das ganze idealerweise relativ unaufgeregt umgesetzt wird. So eben, wie es für den jeweiligen Brand passt. Und so, wie wir es ja aus unserem Lebensalltag auch kennen.
Der Gisler-Gipfel findet am 23. März 2023 statt. Interessierte können sich unter Gislerprotokoll.ch anmelden.