«Das muss ein Ende haben»

Zuerst habe die Werbung Frauen gesagt, dass sie schöner, schlanker, jünger sein sollen. Dann habe sie versucht, ihnen unauthentisches «Fempowerment» zu verkaufen. Genug ist genug, sagen die Bestseller-Autorinnen Jane Cunningham und Philippa Roberts.

Fempowerment
Durch die «weibliche Linse» blicken immer noch zu wenige Unternehmen. (Illustration: Loreto Manzanera)

m&k: Mit «Brandsplaining» haben Sie einen Bestseller über das – oft problematische – Frauenbild in Marketing und Werbung geschrieben. Warum war die Zeit reif für Ihr Buch?

Philippa Roberts: In den vergangenen fünfzehn Jahren haben wir im Rahmen unserer beruflichen Tätigkeit fast jede Woche Befragungen mit weiblichen Probandinnen durchgeführt. Das war enorm faszinierend, weil sich in dieser Zeit so viel in der weiblichen Lebenswelt getan hat: Das Aufkommen des «Fourth Wave»-Feminismus, die Entwicklungen in den sozialen Medien, der Fortschritt, der Kampf um die Repräsentanz von Frauen in der Politik, #MeToo … all diese Dinge haben in der Marketing- und Werbebranche den Eindruck erweckt, dass wir viele der Probleme der Vergangenheit hinter uns lassen können. Dass wir uns anderen Themen widmen sollten. Aber das ist nur die Innensicht und steht in direktem Widerspruch zu den Aussagen, die wir bei unseren Untersuchungen von Probandinnen hörten. Es scheint also eine Kluft zu geben zwischen dem, was die Branche denkt, und dem, was das Zielpublikum denkt. Und wir hatten das Gefühl, dass es höchste Zeit wird, diese Kluft zu untersuchen.Wie haben die Frauen, mit denen Sie gesprochen haben, denn über Marketing und Werbung geurteilt?Jane Cunningham: Wir haben beispielsweise eine umfassende Studie mit mehr als 14 000 Teilnehmerinnen in vierzehn Ländern durchgeführt und sie gefragt, was sie über Marketing und Werbung im Allgemeinen denken. Die Antworten waren in allen Ländern und Altersgruppen sehr ähnlich: Die überwiegende Mehrheit der Frauen gab an, dass sie sich selbst in den meisten aktuellen Werbebotschaften nicht zu erkennen vermögen; sie waren der Meinung, dass einige der dort gezeigten Stereotypen sogar schädlich seien. Und die Probandinnen äusserten auch, dass die Darstellung von Frauen in der Werbung häufig viel zu eng gefasst sei; es gebe zu viele dünne Frauen, nicht genügend ältere Frauen.Aber Sie haben sich nicht nur auf quantitative Umfragen beschränkt, sondern auch andere Daten analysiert?Cunningham: Ja, wir haben eine Inhaltsanalyse durchgeführt, bei der wir 120 Werbekampagnen untersucht haben, die sich an Frauen in den USA, im Vereinigten Königreich und in Australien gerichtet haben. Bei jeder dieser Kampagnen haben wir uns genau angeschaut, was in der Handlungsstruktur passiert; wie die Frauen dargestellt werden. Wie sehen sie aus? Sind sie «traditionell attraktiv»? Wie steht es um die Diversität? Wie oft werden Frauen in einer klischeehaften Rolle präsentiert, im häuslichen Umfeld, wie oft zeigen sie ein aufgesetztes Lachen? Wie häufig werden sie sexualisiert? Uns wurde rasch klar: Es gibt immer noch eine Menge Bilder und Ideen in der Werbung, die den alten Vorstellungen davon entsprechen, was Frauen «sind» oder was sie sein sollten. Subtiler als früher, vielleicht, aber immer noch da.Können Sie auf diese Subtilität noch näher eingehen?Cunningham: Es gibt wohl keine Marke mehr, die – ich formuliere das jetzt bewusst plakativ – in ihrer Werbung sagt: «Oh mein Gott, sieh nur, wie faltig und alt du geworden bist!» Aber nun wird eben von «Würde im Alter» gesprochen und davon, dass möglichst wenige Falten den älteren Damen genau diese Würde verleihen. Was ja im Kern dasselbe ist (lacht). Wenn überhaupt Frauen gezeigt werden, die älter als fünfzig Jahre sind, was eine absolute Seltenheit ist! Oder es geht in der Werbung um «wellness» und «clean eating», gemeint sind aber eigentlich dieselben rigorosen Diäten wie früher.

 

Die schädlichen Narrative bleiben, nur erkennt man sie erst auf den zweiten oder dritten Blick.

Roberts: Genau. In unserem Buch bezeichnen wir das als «sneaky sexism». Ein weiteres Beispiel für selbigen wäre die Verwendung von Symbolen oder Farbcodes, die auf eine Zeit vor den modernen Gleichstellungsdiskursen zurückgehen. Während früher auf den Verpackungen «Für ihn» oder «Für sie» stand, verwenden die Unternehmen heute einfach die weicheren, sanfteren, schwächeren Farben für Frauen. Und mehr Blumendekorationen. Auf der Männerpackung hingegen findet man die dunklen, kräftigen, prägnanten Farben. Sportliche Muster, eine Typografie, die Bewegung und Stärke signalisiert. Es wird dasselbe kommuniziert wie früher, nur eben im Subtext.

 

 

Woher kommt dieser – von Ihnen bereits erwähnte – Grundtenor im Marketing und in der Werbung, der von Frauen verlangt, ständig an sich zu arbeiten, sich ständig zu «verbessern»?

Roberts: Die Wurzeln davon liegen tief in unserer Sozial- und Kulturgeschichte. Frauen hatten durch die Jahrtausende hindurch gesellschaftlich eigentlich immer einen sekundären Stand; das implizierte, dass sie sich so verhalten und präsentieren mussten, dass sie den Männern gefällig waren. Ihre Aufgabe sollte es bloss sein, sich männliche Anerkennung zu sichern. Und, wissen Sie – wir als moderne Gesellschaft reden ja gerne davon, dass sich in der Politik und in der Wirtschaft viel bei der Gleichberechtigung getan hat. Aber in Wirklichkeit sind die grosse Mehrheit der Vorstandsvorsitzenden immer noch Männer, die grosse Mehrheit der Staatsoberhäupter ebenfalls. Realität ist, dass Männer immer noch vielerorts die Macht haben; alleine die Verantwortung tragen. Folglich sollen sich Frauen immer noch häufig so ver­halten, dass sie die Mächtigen nicht verärgern.

 

… was sich in den Idealen wider­spiegelt, die durch Marketing und Werbung vermittelt werden …

Roberts: Ja. Kleine Mädchen sollen niedlich und lieb sein, sich um Tiere und Puppen kümmern, alles nett finden, was rosa- oder pastellfarben ist, während die kleinen Jungen Abenteuer erleben dürfen. Da ist es auch egal, ob sie sich schmutzig machen, ob sie Raufbolde sind. Mädchen dagegen sind permanent und praktisch von Beginn ihres Lebens an den Botschaften ausgesetzt, dass sie besser aussehen, besser «sein» müssten; werden total auf ihr Äusseres reduziert.

Cunningham: Letzteres ist übrigens etwas, das noch schlimmer wird, wenn aus den Mädchen junge Frauen werden. Erinnern Sie sich noch an die Modeschauen von Victoria’s Secret? Früher gab es da diese sehr jungen Models, die überall in den Medien zu sehen waren – sie sprachen darüber, wie viel sie abgenommen hatten, wie viel Sport sie trieben, um noch dünner zu werden, sie liessen sich Haarverlängerungen machen et cetera. Dann kamen sie auf den Catwalk und trugen riesige Flügel. Sie waren Engel und stellten ein Klischee dar, das besagte: «Ich bin hier, um so schön und so ansprechend wie möglich zu sein – nicht für mich selbst, sondern für das männliche Auge.» Und natürlich durfte der hübscheste, schlankste, vollbusigste Engel am Ende der Show die weissen Hochzeitsdessous tragen. Die Message war: «Gib dir Mühe und optimiere dich, dann darfst du mit viel Glück irgendwann einmal heiraten!» (lacht)

Roberts: Auch Müttern wird ja ständig suggeriert, dass sie perfekt sein müssen, was wiederum impliziert, dass sie versagen, wenn sie es einmal nicht sind … wenn sie nicht einhundert Prozent der Zeit darüber happy sind, Mutter zu sein. Und ältere Frauen, darüber haben wir schon gesprochen, verschwinden einfach von der Bildfläche, weil sie nicht mehr … «nützlich» sind, durch eine männliche Linse hindurch betrachtet. Wissen Sie, es ist ja nicht nur im Marketing so, es ist ein kulturelles Problem im Allgemeinen, dass diese Vorstellungen über Frauen immer noch transportiert werden. Aber während wir bei Film, Musik und Fernsehprogrammen endlich Fortschritte sehen, hinken Marketing und Werbung wirklich hinterher.

«Der hübscheste, schlankste Engeldarf am Ende die Hochzeitsdessous tragen. Die Message: Wenn du dir Mühe gibst, findest du vielleicht mal einen Ehemann.»

 

Haben Sie eine Idee, warum das so ist? Im Allgemeinen sehen sich die Fachleute in Marketing und Werbung doch als Menschen, die Trends nicht nur erkennen, sondern sie sogar setzen …

Roberts: Einer der ganz unmittelbaren Gründe ist sicher, dass die Kreativabteilungen in den Agenturen nach wie vor weitgehend von Männern besetzt und geführt sind. Ich weiss nicht, wie es bei Ihnen in der Schweiz ist, aber hier in London sind etwa zwei Drittel der Leute, die in den Kreativ­abteilungen arbeiten und Kampagnen kreieren, Männer. Und auch eine bestimmte Art von Männern: ziemlich jung, in der Regel weiss, in der Regel eher urban sozialisiert. Die Kultur dort ist oft dieses «Hey, Bro!», diese betont lockere Darstellung von Maskulinität. Diese Kreativen neigen dazu, sich mehr um eine gute Pointe zu kümmern als darum, ihr Publikum wirklich und tiefergehend zu verstehen. Passend dazu gibt es auch ein grosses Lohngefälle von etwa dreissig Prozent zwischen den männlichen und den weiblichen Mitarbeitenden in den Agenturen – was ziemlich scheinheilig ist, da die Agenturen ja Empowerment-Kommunikation verkaufen, aber ihren eigenen Ansprüchen überhaupt nicht gerecht werden.

(Illustration: Loreto Manzanera)

Sie haben vorhin über die Daten gesprochen, die Sie gesammelt haben. Agenturen und Marketingabteilungen erzählen mir ständig, dass auch sie ihre Entscheidungen auf der Grundlage von Daten treffen. Aber wenn sie das wirklich täten, müssten sie die weiblichen Zielgruppen anders behandeln, oder?

Cunningham: Nun, die relevanten Agenturen und grossen Unternehmen sammeln eine Menge Daten, ja. Aber wenn sie selbst Marktforschung betreiben, stellen sie oft die falschen Fragen. Sie gehen zu einer Gruppe von Frauen und sagen: «Möchten Sie die Bullshit-Innovation Nummer eins oder die Bullshit-Innovation Nummer zwei?» Und obwohl beide Optionen für die Fokusgruppe nicht wirklich attraktiv sind, werden die Frauen wahrscheinlich antworten: «Wenn wir wählen müssen, entscheiden wir uns eben für Nummer zwei.» Und das Unternehmen schliesst daraus: «Super, wir haben das evaluiert, sie finden Nummer zwei toll.» Aber was nicht gefragt wurde, ist: «Wie stehen Sie prinzipiell zu unserem Bullshit?» Da wäre die Antwort wahrscheinlich eine ganz andere gewesen (lacht).

 

Was sollte sich hier ändern?

Cunningham: Es sollte Standard werden, Frauen offen und ehrlich nach ihrer Meinung zu fragen. Zum Beispiel: «Was gefällt Ihnen nicht an der Art und Weise, wie diese Marke Sie adressiert?» Oder: «Welche Ihrer Bedürfnisse werden von diesem Produkt nicht befriedigt?» Nochmal: Ja, es gibt jede Menge Daten, auf die man zugreifen kann. Ja, es wird viel geforscht. Aber wie viel davon ist echtes Zuhören, wie viel davon ist das Bemühen um einen echten Dialog? Die Art von Dialog, in der Unternehmen total offen sind für die Antworten, die sie erhalten? Im Rahmen unserer Consulting-Tätigkeit haben wir immer wieder von Klienten gehört: «Ja, wir haben mit einer Fokusgruppe gesprochen, aber sie haben bloss die Dinge gesagt, die Frauen eben immer sagen.» Nun, wenn sie etwas immer wieder sagen, dann meinen sie es vielleicht auch! (lacht) Wie absurd, das als Argument anzuführen, um einer Aussage keine Bedeutung zu schenken, oder?

Roberts: Manchmal gibt es auch diesen sexistischen Unterton, mit dem Marketing- oder Werbeverantwortliche sagen: «Oh, ich lasse mir doch nicht von sechs Hausfrauen, die irgendwo befragt werden, sagen, wie meine Werbung auszusehen hat …» Für diese Typen mag das in einem Meeting plausibel und tough klingen, aber in Wirklichkeit ist es sehr erniedrigend, herablassend und sorgt dafür, dass wichtige Botschaften nicht gehört werden.

«Realität ist, dass Männer immer noch vielerorts die Macht haben; alleine die Verantwortung tragen.»

 

Und die müssen gehört werden, sagen Sie, auch wenn sie für die Unter­nehmen unbequem sind.

Roberts: Natürlich ist es für ein Unternehmen nie einfach, zu hören, dass dessen Kundinnen unzufrieden sind; natürlich ist es schwierig, sich unbequemen Wahrheiten zu stellen. Gerade wenn gewonnene Erkenntnisse bedingen, dass man sich stark verändern muss. Wir sagen aber immer, dass die Veränderung sowieso kommt – der «Wendepunkt» ist da, Marketing und Werbung müssen dieser Tatsache endlich Rechnung tragen. Wir befinden uns mitten in einem massiven kulturellen Wandel, weil Frauen besser ausgebildet sind als je zuvor. Weil durch die sozialen Medien, die ja sonst durchaus ihre Nachteile haben, weibliche – und vom Mainstream abweichende – Stimmen Gehör finden.

Cunningham: Die Frauen kann und wird man nicht mehr zum Schweigen bringen. Die Zeit ist also reif für besseres Marketing, bessere Werbung. Daher unser Buch, das eine wichtige Botschaft transportiert: Wenn es Marken und Unternehmen ernst damit meinen, Frauen anzusprechen, weibliche Kundinnen zu gewinnen und die Kundinnen, die sie haben, zu halten, müssen sie sich bewegen. Unverzüglich. Wir erleben den Anbruch eines echten, authentischen «Fempowerment» – im Gegensatz zu den oberflächlichen Narrativen, die in den vergangenen paar Jahren kursiert sind.

«Die Frauen kann und wird man nicht mehr zum Schweigen bringen. Die Zeit ist also reif für besseres Marketing, bessere Werbung.»

 

Das müssten Sie mir bitte noch einmal im Detail erklären.

Roberts: Das falsche, oberflächliche «Fempowerment»-Narrativ hat den Frauen weiterhin suggeriert, dass sie sich ändern sollen, aber zielte dabei auf ihre innere Einstellung ab. Früher verkündeten Marken Botschaften wie: «Du musst dein Aussehen optimieren.» Dann sind sie dazu übergegangen, zu sagen: «Du musst dein Handeln, Denken und Fühlen optimieren.» Frauen sollen Karriere machen, furchtlos sein. Mutig. «Stark ist das neue Schön.» Derart verstandenes «Fempowerment» hat kein Interesse daran, das System und die hartnäckigen Überbleibsel des Patriarchats zu beseitigen, sondern verortet weiterhin die ganze Verantwortung bei den Frauen. Und eigentlich ist es genau das, was aufhören muss.

Der Bestseller «Brandsplaining» von Jane Cunningham und Philippa Roberts. (Bild: zVg.)

Unternehmer fragen sich vielleicht, was mit ihren Umsätzen passiert, wenn sie nicht mehr behaupten können, dass ihre Produkte für ein besseres Leben nötig seien.

Cunningham: Es ist doch nichts falsch daran, Bedürfnisse zu befriedigen, oder? Es ist absolut nichts falsch daran, Bedürfnisse zu befriedigen und Frauen zu fragen, was sie wollen, um dann hilfreiche Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln. Falsch ist jedoch dieser über-kritische Blick auf Frauen, der sagt: Mit dir stimmt etwas nicht. Wir werden dir das Gefühl geben, dass mit dir etwas nicht stimmt. Damit du denkst, du brauchst ein Mittel dagegen. Und dann werden wir dir dieses Mittel verkaufen. Darin liegt der grosse Zynismus.

 

Was können Männer – in der Marketing- und Werbebranche, aber auch darüber hinaus – tun, um positive Veränderungen mit anzustossen?

Roberts: Ich denke, das Wichtigste ist erst einmal, sich problematische Narrative bewusst zu machen. Diese uralte Idee einer «Frau, die gefallen muss» ist so fest in das kollektive Bewusstsein eingebrannt, dass sie noch immer Einfluss darauf hat, wie Zielgruppen segmentiert, Kategorien kodifiziert, Kommunikation produziert und Vorschläge verfasst werden. Männer müssen das verstehen und davon ausgehend aufmerksam und kritisch sein. Glücklicherweise macht Wissen hier den Unterschied: Wenn man sich einmal damit auseinanderzusetzen begonnen hat, ist es praktisch unmöglich, in einen Zustand der Ignoranz zurückzukehren.


Jane Cunningham und Philippa Roberts sind Gründerinnen und Geschäftsführerinnen der Consultancy «Pretty Little Head», die Unternehmen im Bereich Marketing für weibliche Zielgruppen berät. Im Rahmen ihrer Tätigkeit haben sie mehrere internationale Studien und drei Bücher verfasst. Zuvor waren sie in der Agenturbranche tätig, etwa bei DDB und Ogilvy.

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