«Direkte» Wirkung

Die Coronapandemie rückt das individuelle Zuhause in den Fokus der Werbung: Am meisten fallen dort Werbesendungen per Post auf, aber auch TV-Ads sind zu echten «Hinguckern» avanciert.

Corona hat uns alle in irgendeiner Art betroffen. Zum ersten Mal im Homeoffice arbeiten, zum ersten Mal online einkaufen und den grössten Teil seiner Zeit zu Hause verbringen. Corona hat für viele Menschen in der Schweiz eine neue Realität geschaffen. Eine Studie von Intervista zeigt, dass die noch nie dagewesene Situation das Konsumverhalten und die Mediennutzung der Menschen grundlegend verändert hat. Die Studie förderte beispielsweise zutage, dass während der Coronapandemie ganze 52 Prozent ein verändertes Kauf- und Konsumverhalten an den Tag gelegt haben: So wurde beispielsweise mehr auf Schweizer Produkte, auf Qualität und auch auf Schnäppchen geachtet.

Neue Beachtung der Kanäle

Weiter zeigt die Studie, welche von der Post in Auftrag gegeben wurde, eine neue Beachtung der Werbekanäle. So gaben 48 Prozent der Befragten an, dass persönlich adressierte Werbesendungen ihnen mit Abstand am stärksten auffallen. Mit 41 Prozent folgt dann die TV-Werbung und mit je 40 Prozent folgen die Beachtung von Inseraten in Zeitungen bzw. Zeitschriften und Prospektbeilagen in Printprodukten. Eine weitere Erkenntnis der Befragung (von über 1000 Personen) ist, dass die junge Generation bildschirmmüde geworden ist.

«Keine grosse Überraschung»

Dass persönlich adressierte Werbesendungen von Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten am stärksten beachtet werden (und dieser Effekt während Corona sogar noch zugenommen hat), überrascht Raymond Dettwiler, Dozent für Marketing, Customer Journey und Health Marketing an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), nicht. «Nein, nach der digitalen Euphorie können wir zunehmend ein vernünftiges ‹Einpendeln› beobachten.» Je mehr erzwungenes Homeoffice, desto wertvoller würden die haptischen Kommunikationsmedien, was auch für die persönliche Werbung per Post gelte, so Dettwiler.

Auch den Dozenten und Studiengangsleiter an der Hochschule für Wirtschaft Zürich (HWZ), Stefan Vogler, überrascht das Ergebnis der Umfrage keineswegs. Der Boom der Online-Kommunikation habe zu einer Abnahme der Briefpost geführt, während die Mailbox am Überquellen sei. «Wir kriegen heute kaum mehr Post, also steigt die Aufmerksamkeit eines physischen Mailings.» Beilagen, wie beispielsweise eine Broschüre, könne man durchblättern, weglegen, wieder zur Hand nehmen. Auch werde der haptische Sinn durch Papierqualität angesprochen, wie Vogler ausführt.

Besitzgefühl dank Berührung

«Berühren statt klicken am Bildschirm führt zu einem stärkeren Besitzgefühl», stösst Oliver Egger, Geschäftsführer Medien- und Werbemarkt der Post, ins selbe Horn. Verschiedene Studien würden darauf hinweisen, dass gedruckte Werbung beziehungsweise die Berührung der Werbung eine intensivere Wirkung entfalte als eine Darstellung auf dem Display. Weiter würden Informationstexte, die auf Papier gelesen würden, auch besser hängen bleiben. «Ein grosser Erfolgsfaktor beim physischen Mailing sind aber auch die persönliche Ansprache und die auf die Empfänger zugeschnittene Botschaft », erklärt Egger weiter.

Dies, weil adressierte Direktwerbung ein genaues Targeting ermögliche. Persönliche Mails, die man am PC oder Handy erhält, kann man zwar nicht anfassen, doch kann es sich auch beim digitalen Mailing um jeweils hochwertige Kontakte handeln. Zudem sind persönliche Mails viel günstiger als persönliche Briefe. «Die grosse Herausforderung beim E-Mailoder Newsletter-Versand ist der Faktor Zeit: Betrachtungsdauer und Kontaktqualität sind meistens sehr gering», sagt der Medien- und Werbemarktspezialist der Post. Das liege unter anderem daran, dass die Zielperson die digitale Nachricht gerade zu einem für sie ungünstigen Zeitpunkt oder am falschen Ort erhalte. «Physische Mailings hingegen erreichen die Menschen dort, wo sie sich am ehesten mit Werbung beschäftigen – zu Hause, wenn sie sich bewusst Zeit für ihre Post nehmen.»

Zurück zum physischen Direct Mailing: Adressierte Werbung wird heute häufig auch als Beilage verschickt, etwa zusammen mit einer Rechnung oder einem Bankauszug. Klar, ist die Öffnungsrate bei solchen Briefen noch höher und die mitgelieferte Werbung profitiert von einer zusätzlichen Aufmerksamkeit. Im besten Fall wird eine adressierte Werbesendung gar nicht als ‹agressive› Werbung wahrgenommen. Sondern als erwünschte Kommunikationsmassnahme, weil man sich im Adressverteiler des Werbeunternehmens eingetragen hat und sich vielleicht sogar über die Wertschätzung als Stammkunde oder Stammkundin freut.

Für Aldi Suisse ist adressierte Werbung künftig definitiv ein Thema. Beispiele kann der Detailhändler noch keine geben. Wie Landi oder Fust setzt Aldi Suisse beim Direct Mailing heute vor allem auf unadressierte Werbeprospekte: «Hier ist das Preis-Leistungs-Verhältnis noch immer sehr gut, da adressierte Werbung wesentlich teurer ist», schreibt die Medienstelle von Aldi Suisse auf Anfrage.

Crossmedia performt

Gut beachtet wird auch Werbung im TV. Die Studie von intervista zeigt, wie bereits erwähnt, dass 41 Prozent der befragten Personen sich gut an Fernseh-Spots erinnern können. Simone Schulz, Leitung Screenforce Gattungsmarketing Schweiz, freut sich, dass Fernsehen bzw. Fernsehwerbung auch während der Pandemie ihre grosse Relevanz in der Werbelandschaft bestätigen konnte: «Das deckt sich mit unseren eigenen Studien, wie beispielsweise die Screenforce-Studie ‹Track The Success›, wonach Fernsehwerbung weiterhin eine grosse Werbewirkung und positive Wahrnehmung hat.» Es sei schlussendlich der crossmediale Mix, der zum Erfolg führe, nicht nur der letzte Klick. «Gut konzipierte Werbesendungen bestehen häufig aus mehreren Bestandteilen, damit man sich länger damit auseinandersetzt, bestätigt Oliver Egger. Je mehr Sinne, wie Sehen, Tasten, Hören oder Riechen, angesprochen würden, umso grösser werde die Werbewirkung. «Besonders spannend ist dabei, dass ein zusätzlich angesprochener Sinn nicht zu einer Kumulation oder Verdoppelung der Wahrnehmung führt, sondern zu einer Verzehnfachung!»

Welche Werbung wirkt denn nun am besten, wenn man über alle Gattungen schaut? «Einprägsame Bilder, sparsam witzige Pointe, einfache Werbesprache und möglichst wenig Änderung der Gestaltung über die Zeit; denn die oft beschworene Abnutzungserscheinung ist empirisch nicht belegt», so Dozent Raymond Dettwiler.

Die Veränderungen bei Konsumverhalten und bei der Mediennutzung erfordern jetzt vielleicht ein Umdenken bei der Mediaplanung. In der heutigen pulsierenden Corona-Gesellschaft kann morgen schon vieles wieder anders sein. Um am Ball zu bleiben, sollten Unternehmen laut dem FHNW-Marketing-Experten in den hybriden, agilen Dialog mit dem Publikum investieren. Hybrider Dialog bedeute eine wirkungsvolle Mischung aus digitalem und  klassischem Dialog mit den Menschen. Mit dem agilen Dialog meine er ein iteratives Ausprobieren von neuen Werbeinhalten oder neuen Werbeformen: «Lieber 80 Prozent schneller am Markt als 200 Prozent und Markttrends verschlafen.»


INTERVIEW

«Einige Werbetreibende unterschätzen Direct Mails»

Dr. Oliver Egger, Geschäftsführer Medien- und Werbemarkt bei der Post, erklärt, was Unternehmen punkto Directmailing gut machen – und wo es noch Potenzial gibt.

m&k: Oliver Egger, die Studie von Intervista kommt zum Schluss, dass Corona für viele Menschen in der Schweiz eine neue Realität geschaffen hat. Das Zuhause soll mit Homeoffice als neuer Planungswert gesehen werden. Haben das alle Unternehmen bereits realisiert?

Dr. Oliver Egger: Einzelne haben die neue Ausgangslage sofort realisiert und schnell darauf reagiert. Sie haben mit viel Kreativität ihre Angebote auf die neue Situation angepasst. Bei diesen Werbekunden stellen wir ein deutlich
höheres Buchungsaufkommen fest. Ebenso können wir konstatieren, dass viele Unternehmen bei uns weniger häufig Budgetkürzungen vornehmen als bei anderen Werbekanälen. Natürlich gibt es aber auch immer noch einige Unternehmen, die darauf warten, dass alles wieder zum Alten kommt …

Sie bezeichnen das Direct Marketing als ein «Below-the-line-Medium ». Können Sie das noch etwas ausführen?

Ich stelle fest, dass einige Werbeschaffende Direct Mails unterschätzen. Dies mag daran liegen, dass sie von ihrem eigenen Briefkasten auf andere Briefkästen schliessen und sich deshalb auch nicht der Kontaktqualität und der Wirkungskraft von physischen Werbesendungen bewusst sind. Diesen Unternehmen kann ich nur sagen: Wer meint, die Konkurrenz versende keine Direct Mailings, täuscht sich.

Wie sieht heute eine perfekte persönliche Werbenachricht aus?

Das ist eigentlich nicht mit einem Satz zu beantworten. Ich versuche es trotzdem: Schauen Sie sich die Einreichungen und Gewinner des SDV-DM-Awards respektive von Dialogmarketingpreisen wie bei den Cannes Lions an. Dort wird vieles richtig gemacht.

Was gilt es zu beachten, damit die adressierte Werbesendung vom Kunden gar nicht als Werbung wahrgenommen wird?

Persönlich zugeschnittene, relevante Botschaften, die den Nutzen und den Mehrwert eines Angebots sofort übermitteln. Ich freue mich immer wieder, wenn mir Kunden davon berichten, dass sich ein Werbeempfänger persönlich bei ihnen für das freundliche Angebot bedankte.

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