«Wir werden bald nur noch mit dem Smartphone zahlen»

Im Interview mit Werbewoche.ch erzählt Michael Hügli, CMO von Twint, wie seine Firma unser Zahlungsverhalten verändern will, wie die Kommunikationsstrategie aussieht und wie das Unternehmen Geld verdient.

Werbewoche: Michael Hügli, sind Sie nervös?
Michael Hügli: Weshalb?

In wenigen Tagen findet der Launch von Twint statt. Sie führen damit ein neues Zahlungssystem in der Schweiz ein.
Die Nervosität hält sich in Grenzen. Unser Launch hat eigentlich schon längst stattgefunden, wenn auch erst in auserwählten Kreisen. Wir konnten deshalb bereits viele Erfahrungen sammeln und direkt in unsere Arbeit einfliessen lassen. Das beruhigt.

«Auserwählte Kreise»?
Es ist Teil unserer Marketing- und Kommunikationsstrategie, dass die Twint-Community sich ständig entwickelt und vergrössert. Wir sind seit Juli in sorgfältig ausgewählten Testmärkten präsent und haben unsere Marke in den von uns gewünschten Szenen in verschiedenen Städten der Schweiz bekannt gemacht und unser Produkt laufend optimiert. Was nun geschieht ist der erste kommunikative Schritt an eine breitere Öffentlichkeit.

Die Konkurrenz hat doch schon längst mit ihren Kampagnen den Markt besetzt.
Es kommt drauf an, was Sie als Konkurrenz sehen und was Sie unter «Markt besetzen» verstehen. Im Moment sind wir die einzigen im Markt mit einer Lösung, die an der Ladenkasse und Online auch wirklich funktioniert. Der Markt muss erst kreiert werden, bevor er besetzt werden kann. Wir sind gerade dabei, dies zu tun. Und was die Kommunikation betrifft, da setzen wir unsere Ressourcen effizient ein. Wenn man zu früh loslegt, verpufft die Wirkung.

Aber hinter Twint steht doch mit Postfinance auch ein finanzkräftiges Unternehmen?
Unsere Eigentümerin ist zwar Postfinance. Wir sind jedoch eine selbstständige Tochtergesellschaft, die rentabel sein soll. Die Mittel sind, wie das für jede Unternehmung gilt, endlich und wir müssen uns gut überlegen, wie wir diese einsetzen. Deshalb brauchen wir gerade in der Kommunikation innovative Strategien und Ideen, aber vor allem auch Partner, die auf Augenhöhe mit uns arbeiten und diese Ideen auch umsetzen können.

Wer sind diese Partner?
Auf Seiten Marketing und Kommunikation ist dies in erster Linie die Agentur Partner & Partner, sie ist im Lead. Daneben haben wir noch weitere kleinere Partner, die uns auf unserem Weg in den Markt tatkräftig unterstützen (Anm. d. Redaktion: Der Markenauftritt zum Beispiel wurde von der Berner Agentur Bloom Identity umgesetzt (Werbewoche.ch berichtete)).

Wie sieht die Strategie Ihrer Kommunikationsagentur aus?
Da muss ich kurz ausholen. Das Smartphone wird zur Plattform für alles – oder «Mobile first», wie es so schön heisst. Wir werden bald schon nur noch damit zahlen. Davon sind nicht nur wir überzeugt, das wissen auch Apple, Samsung, Google und Co., und werden schon bald versuchen, ihre Bezahldienste zu lancieren. Wir kommen ihnen jedoch zuvor, weil wir unsere strategische Position in der Schweiz vorab sichern werden. Innovativ an der Kommunkations-Strategie ist aus meiner Sicht, dass wir im ersten Schritt auf ein junges urbanes Publikum fokussieren. Für die Betreiber dieser Shops sind wir attraktive Partner und bieten interessante Möglichkeiten sowie Support gerade in der Kommunikation mit ihren eigenen Kunden. Für die Kunden bieten wir Convenience beim Zahlen. So profitieren beide Seiten. Wir erhalten im Gegenzug eine interessante First-User-Community sowie eine starke Positionierung der Marke Twint. Im zweiten Schritt erst sprechen wir die breite Öffentlichkeit an, dann nämlich, wenn wir mit unseren strategischen Partnern wie Coop, SBB, diversen Banken und Systemgastronomen wie SV-Service den Markt langsam abdecken. Und diesen Schritt vollziehen wir gerade.

Wie positionieren Sie Twint am Markt?
Wir positionieren uns als die «Guten», weil wir den kleinen Läden attraktive Lösungen bieten, unter anderem viel niedrigere Gebühren als Kreditkartenanbieter. Diese Läden führen Twint ein und akquirieren mit unserer Hilfe laufend neue Nutzer. Wir unterstützen damit die «Digital natives» in der Schweiz in ihrer Forderung nach alltagstauglichen Diensten auf ihren Smartphones, vereinfachen das Zahlen und bieten ihnen schon bald auch attraktive Mehrwertdienste.

Was ist die Kernbotschaft Ihrer Kampagne?
Auf der Image-Ebene wollen wir vor allem bekannt machen, dass hier etwas Neues, Grosses und Nützliches kommt, für das du dich besser interessieren solltest, wenn du dabei sein willst: Twint – Dein digitale Portemonnaie. Auf der Produkte-Ebene wollen wir, dass die Leute die App herunterladen, sie kennenlernen und nutzen. Die Händler sind dabei unsere Promotoren. Für die kleinen Händler sind attraktive Konditionen im Zahlungsverkehr überlebenswichtig, die Grossen sparen Millionen. Sie alle werden unser Image mitprägen und uns helfen, dass unser digitales Portemonnaie genutzt wird.

Wie wollen Sie die Schweiz dazu bringen, mit Twint zu zahlen?
In erster Linie wollen wir ja ein Verhalten verändern. Vom Zahlen mit Bargeld oder Kreditkarten hin zum Zahlen mit unserer App. Um das zu bewirken, brauchen wir eine Marke, der man vertraut. Daran haben wir die letzten Monate tagtäglich gearbeitet und werden auch in Zukunft viel Energie dafür investieren. Wir als Tochterfirma eines etablierten Schweizer Finanzdienstleisters haben dabei einen grossen Vorteil: Wir kennen unsere Kunden, den Markt und die gesetzlichen Regeln besser als alle anderen. Und unsere Mutterfirma Postfinance ist in der Schweiz gut verankert und hat ein gutes Image. Wir sind sozusagen die freche, junge, urbane Tochter, die einen neuen Trend lanciert. Uns verzeiht man, wenn wir anfangs vielleicht noch ein paar Fehler machen, aber man vertraut uns, weil wir glaubwürdig sind und auch so kommunizieren.

Kritiker befürchten, dass Apps wie Twint Bargeld immer überflüssiger machen und so dessen schleichende Abschaffung beschleunigen. Wir werden immer abhängiger vom Internet und gleichzeitig immer überwachbarer – was entgegnen Sie solchen Bedenken?
Ich denke wir sind schon längst abhängig vom Internet und auch «überwachbarer». Bereits heute zahlen wir mit all unseren Karten «digital» und die Kreditkarteninstitute, Banken und Grossverteiler haben damit Einblick in unser Konsumverhalten. Letztlich ist es jedem Einzelnen selber überlassen, wie viel Digitalisierung und Gläsernheit er in seinem Alltag haben will. Wir von Twint fragen unsere Kunden explizit bei der Registration ob wir ihre Daten sammeln dürfen und ob er persönliche Angebote in der Twint App erhalten möchte. Bei uns ist dies nicht in den allgemeinen Geschäftsbedingungen versteckt. Stimmt der Kunde zu, profitiert er ab Sommer 2016 von attraktiven Angeboten. Möchte der Kunde dies nicht, so kann er die entsprechende Funktion jederzeit ausschalten.

Was ist der Vorteil für den Konsumenten bei Twint gegenüber Debit- und Kreditkarten?
Die Konsumenten wollen Convenience und Mehrwerte. Mit Twint haben sie ihren persönlichen Bancomaten in der Tasche, 24 Stunden am Tag, immer griffbereit und eine rasant wachsende Zahl an Orten, an denen sie damit bezahlen können. Zudem haben sie die Ausgaben immer unter Kontrolle. Mit Funktionen wie individuellen Coupons-Angeboten, Stempelkarten und Hinterlegen von Kundenkarten schaffen wir schon bald Mehrwerte, welche die anderen Zahlungsarten nicht bieten können.

Wie funktioniert Twint technisch?
Twint basiert für die Bezahlung an der Ladenkasse auf der Beacon-Technologie. Das hat zum Vorteil, dass wir sowohl Android als auch iOS Geräte unterstützen können und unsere Zielgruppe darum sehr viel grösser ist. Hätten wir eine NFC basierte Lösung lanciert, so wären alle iPhone User – und das ist in der Schweiz immer noch die Mehrheit – von unserer Lösung ausgeschlossen. Denn Apple gibt NFC zur Zeit nicht für Dritte frei. Der Twint Beacon dient dazu, dass wir erkennen, bei welchem Händler und an welcher Kasse der Kunde steht. Die Kasse meldet uns gleichzeitig den Betrag und wir können im gesicherten Backend die Transaktion abwickeln. Im Internet und bei der Händler-App, der Lösung für kleinere Geschäfte, erfolgt dieses Pairing mittels Scanning des QR Codes durch den Kunden. Aufladen können Sie das Twint Konto mittels einmaliger Hinterlegung Ihres Post- oder Bankkontos. Immer mehr Partnerbanken unterstützen dabei einen zu 100 Prozent digitalen Prozess. Bei allen übrigen Banken ist einmalig ein Lastschriftverfahren auszufüllen. Ist die Hinterlegung des Kontos einmal erfolgt, so kann das Twint Konto bequem innert Sekunden geladen werden. Das Smartphone wird damit zum mobilen Bancomaten.

Wie verdient Twint Geld?
Wir werden über zwei Kanäle Geld verdienen: Über Einnahmen von Transaktionsgebühren sowie über Mehrwertdienste wie mobile Couponing oder digitale Stempelkarten. Wir schätzen, dass wir kurz- und mittelfristig mit den Transaktionsgebühren einen höheren Ertrag einspielen werden als mit den Mehrwertservices. Langfristig jedoch können diese zur Haupteinnahmequelle werden. Aber alles erst der Reihe nach.

Was haben sie als nächstes in der Pipeline?
Bis Ende Jahr werden 3'000 Coop-Kassen in den grossen Schweizer Städten mit Twint Beacon ausgerüstet. Bis Ende Februar wird Coop dann das ganze Filialnetz ausgerüstet haben. Auch sind wir daran, erste Automaten für unser Bezahlsystem auszurüsten. Das wird etwas bewegen. Schon bald werden wir neue Features lancieren, die über reine Zahlungsfunktionen hinausgehen. Bereits heute kann die Coop Supercard im App hinterlegt werden, um bei jedem Einkauf automatisch Superpunkte zu sammeln. Weitere Optionen wie das Couponing folgen 2016. Die App ist dann auch ein digitales Portemonnaie für Kundenkarten, Coupons, Shoppingtipps und digitale Stempelkarten. Wir arbeiten auch bereits an «Fastlanes» in Läden, denn wir sind überzeugt, dass schon bald die Twint-Zahler im Check-out viel schneller sein werden als die Bar- und Karten-Zahler.

Die P2P-Funktion für Geldtransfers unter Bekannten werden wir im November ebenfalls einführen. Sie hat bei uns aber zweite Priorität. An der Ladenkasse oder in einem Restaurant bezahlen Sie jeden Tag. Dort ist der Markt, dort sind die Transaktionen. Der Geldaustausch unter Freunden ist ein «nice to have», welches unser Mutterhaus Postfinance übrigens schon zu Zeiten einführten, als wir noch mit einem Ericsson Handy SMS schrieben und keine Smartphones kannten.

In Ihrem TV-Spot sagen sie, Twint sei nur eine App. Bewusstes Understatement?
Unsere Kommunikation ist genau darauf ausgerichtet. Keine Versprechungen machen, sondern Beweise liefern. Wir starten unsere Kampagne erst jetzt, wo wir unter anderem dank über 50 kleinen Händlern und vor allem auch dank der Kooperation mit Coop an der Ladenkasse und im Internet präsent sind. Wie Pilze werden in den nächsten Wochen die Twint Beacons an immer mehr Orten aus dem Boden schiessen bzw. auf der Ladentheke stehen. Dies zeigt: Twint ist da, Twint ist greifbar und funktioniert. Am Ende ist es jedoch tatsächlich nur eine App, aber sie wird unser Verhalten verändern und unser Leben vereinfachen. Das sage ich hier und das sagen wir in unserem Spot, weil es einfach stimmt. Das macht uns glaubwürdig. Machen Sie den Selbsttest. Schon bald werden Sie aus Gewohnheit das Portemonnaie zuhause vergessen und nur mit dem Smartphone in die Stadt gehen. Mir ist dies jedenfalls schon passiert.

https://www.youtube.com/watch?v=CThFbTMudEw

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Michael Hügli war bis Sommer 2014 verantwortlich für die Strategische Steuerung von Postfinance. Seither ist er CMO bei Twint. 2014 wurde Twint mit dem Ziel gegründet, ein digitales Portemonnaie für die Schweiz zu entwickeln. Das Unternehmen ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Postfinance.

Über Twint

Twint wurde 2014 mit dem Ziel gegründet, ein digitales Portemonnaie für die Schweiz zu entwickeln. Das Unternehmen ist eine hundertprozentige Tochtergesellschaft von Postfinance. Mit Twint kann per Smartphone an Ladenkassen, in Online- und App-Shops, an Automaten und zwischen Freunden (P2P) bezahlt werden. Über die App fliessen keine sensiblen Daten und Geld wird nur über ein geschütztes Backend transferiert. Twint ist aber mehr als eine reine Bezahl-App und bietet auch Insider-Tipps zu Shopping, Ausgang und Essen. Treuekarten und in Kürze auch digitale Coupons werden automatisch berücksichtigt. Die Möglichkeit, Twint als Online-Tool für eigene mobile Marketingkampagnen zu nutzen, und die tiefen Transaktionskosten sind laut Mitteilung wiederum für Händler attraktiv. Die App ist kostenlos. Der Nutzer benötigt weder Kredit- noch Debitkarten. Die App funktioniert unabhängig von Telekomanbietern und ist auf iPhones (ab 4S und iOS 7) und Smartphones mit Android (ab Version 4.3) einsetzbar. Eine Registrierung via Mobiltelefon-Nummer genügt, um Prepaid-Guthaben aufzuladen und mit der ersten Zahlung zu starten.

Interview: Thomas Häusermann
 

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