Moderatorin der Medienethik

Im September 2013 hat der Stiftungsrat der Stiftung Schweizer Presserat Ursina Wey als neue Geschäftsführerin und Nachfolgerin von Martin Künzi gewählt. Zu diesem Zeitpunkt hatte Wey gerade fünf Jahre in Togo verbracht.

Seit dem 1. Januar 2014 ist Ursina Wey die neue Geschäftsführerin des Presserats. Nach dem Rechtsstudium an den Universitäten Freiburg und Bern sowie dem Erwerb des Bernischen Anwaltspatents arbeitete Wey unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Bakom und als stellvertretende Leiterin des Rechtsdienstes der SRG. Danach war Ursina Wey für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) zuerst als Beraterin für Demokratieförderung, danach für Good Governance und Dezentralisierung in Togo tätig. Nach fünf Jahren in Togo bekam sie eine Zusage für ihre Bewerbung als Geschäftsführerin des Schweizer Presserats.

Sein eigenes System infrage stellen

«Mich einsetzen zu können, ist für mich bereits ein altes Thema», kommentiert Ursina Wey ihren Einsatz in Togo eher pragmatisch. Zu diesem ihrem langjährigen Wunsch und Antrieb, sich einzusetzen, gehören für sie generelle Fragen der Gerechtigkeit, der Fairness und der Menschenrechte. «Deshalb habe ich an der Universität Genf ein Diplom für Menschenrechte mit einer Abschlussarbeit über die Mohammed-Karikaturen erworben», bemerkt sie nebenbei. Dieses helfe ihr nun auch bei ihrer Arbeit im Presserat, was etwa das Thema Medienfreiheit anbelange. Nur wollte Ursina Wey die Relevanz dieser Theorien gerne auch vor Ort erfahren – die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit gab ihr diese Möglichkeit; als Beraterin für Demokratieförderung in Togo. «Das war eine extrem wertvolle Erfahrung», so Wey rückblickend. Zum einen waren diese fünf Jahre in Togo für sie eine ganz neue Form des Auslandsaufenthalts, nicht zu vergleichen mit einer mehrwöchigen Reise, bei der das Eintauchen in eine neue Kultur viel oberflächlicher bleibe. Fünf Jahre in einem komplett anderen Kulturkreis zu leben, habe ihr eigenes Koordinatensystem neu justiert, erzählt Wey. «Man muss sein persönliches System permanent infrage stellen. Je nach Kontext verändert sich die Selbstwahrnehmung, die eigene Reaktion und das Verständnis vom Gegenüber. Klar vorgefertigte Ideen, wie etwas sein sollte, werden immer wieder auf den Prüfstand gestellt», führt sie aus. Ein solches Erlebnis bedeute aber auch, sich selber infrage stellen zu müssen, sich selber zu hinterfragen. «Eine permanente Erweiterung des eigenen Horizonts tut gut», fasst Wey schmunzelnd zusammen. Das Eintauchen in einen anderen Kulturkreis bedeute ausserdem auch, immer tiefer und detaillierter zu suchen. Doch letztendlich bleibe eine andere Kultur immer eine fremde Kultur. Und doch könne man in fünf Jahren natürlich ein Verständnis entwickeln, das sehr bereichernd sei. Diese Chance zu haben, in eine fremde Kultur einzutauchen und eine andere Kultur so gut wie möglich kennenzulernen, sieht sie als Privileg. «Das verändert einen Menschen. Diese Erfahrung erforderte von mir grosse Beweglichkeit », erzählt Wey. Dies sei ein weiterer Grundzug ihres Lebens, Bewegung sei ihr sehr wichtig, in jeder Hinsicht. «Ich brauche neue Herausforderungen, vermeide Routine. Das heisst auch, sich immer wieder auf neue Situationen einstellen zu können», sagt sie. So ist für Ursina Wey kein Tag wie der andere, stets sucht sie neue Lösungen und andere Wege – stets pflichtbewusst und genau, aber auch mit einer natürlich ansteckenden Fröhlichkeit. Bei ihr läuft kein Tag so ab, wie sie sich das am Morgen vorgestellt hat. «Das erhält mich aber auch lebendig und gibt mir eine gewisse Gelassenheit», fügt sie an. So sucht sie die Herausforderung auch bewusst in jedem Tag – sie ist ein Teil ihres Lebenselixiers. Ihre Erfahrung in Afrika war gleichzeitig geprägt vom «Ausbrechen aus dem Schweizer Karriereschema », sagt sie. Viele ihrer Freunde hätten Mühe bekundet, diesen Entscheid zu verstehen. Sie befürchteten, dass sie nur schwer wieder einen Einstieg in die Schweizer Berufswelt finden könnte. «Ich hingegen erfüllte mir damit einen Herzenswunsch und erachtete es als Privileg, etwas bewirken zu können », erklärt sie. Fünf Jahre hat sie in Togo gelebt und mit der Dorfbevölkerung zusammengearbeitet. Die Medien waren auch in Afrika im Fokus von Ursina Wey. Sie habe in jedem ihrer Projekte versucht, Lokalradios mit einzubeziehen, erzählt sie. So habe man etwa Frauen direkt gelehrt, mit dem Medium Radio umzugehen und Sendungen zu gestalten – natürlich vor dem Hintergrund, diese Fähigkeiten dann auch für die eigenen Aufklärungsprojekte fruchtbar machen zu können. «Auf diese Weise konnten wir beispielsweise breit darüber informieren, dass man einem Kind einen Geburtsschein ausstellen lassen muss, damit es später einen Pass beantragen oder eine Universität besuchen kann», erzählt Wey. Übers Radio habe man also primär wichtige Informationen und Hinweise verbreiten können. «Das Radio ist in Togo das wichtigste Medium, das auch in den abgelegenen Dörfern gehört wird und damit auch die grösste Aufmerksamkeit erzielt », so Wey. Daher sei der Einbezug des Lokalradios ein wichtiger Aspekt in ihrer Arbeit gewesen. Der Level sei natürlich nicht vergleichbar mit einem Radiostudio in der Schweiz. So können Journalisten in Togo nicht von ihrem Job leben, sind meistens nicht einmal bezahlt. Aber es funktioniere auch so, führt sie aus. Das habe sie immer wieder von Neuem fasziniert. «Grundsätzlich denke ich, darf man sich aber nicht überschätzen, wenn es darum geht, etwas bewirken zu können», fügt sie pragmatisch an. Gleichzeitig habe ihr diese Erfahrung aber auch gezeigt, dass ein funktionierendes Medienwesen auf hohem Niveau, welches auch Diskussionen mit einer grossen Meinungsvielfalt zulasse, eine unabdingbare Voraussetzung für eine demokratische Gesellschaft sei.

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Gerechtigkeit im Blut

Ein Highlight ihrer aktuellen Tätigkeit als Geschäftsführerin des Presserats sind für Ursina Wey die Kammersitzungen. Denn hier findet der Diskurs am Tisch statt. Dabei vertiefe man sich in einen Fall, so Wey. «Es werden Argumente entwickelt und gleichzeitig hinterfragt. Hier erlebt man intensiv die zentrale Aufgabe des Presserats, den Diskurs über medienethische Fragen zu führen», erzählt sie. Dabei sei es immer wieder interessant, das Echo der Besucher zu hören. Meist seien Besucher erstaunt, wie offen diskutiert werde und wie exakt jedes Argument abgewogen werde. «Am Schluss muss die Kammer einen Entscheid fällen – Konsens wird angestrebt. In Ausnahmefällen kommt es zu einem Mehrheitsentscheid», führt Wey aus. Eher selten komme es zu Abstimmungen, bei denen ein Mitglied des Presserats überhaupt nicht einverstanden sei mit den Entscheidungen. «Der Presserat lebt die Vielfalt von unterschiedlichen Persönlichkeiten mit verschiedenen Hintergründen», erklärt Wey das Zustandekommen divergenter Ansichten. Unterschiedliche Lebenswege und Berufshintergründe führten dazu, dass die einzelnen Meinungen sich teilweise erst in langen Diskussionen annähern würden. «Doch gerade das ist extrem spannend», führt sie begeistert aus. «Teilweise tauchen ganz unkonventionelle und unerwartete Gedanken auf, die man aus der eigenen Warte übersehen hätte.» Diese Feinanalyse medienethischer Fragestellungen fasziniere sie immer wieder von Neuem. «Dazu gehört auch die Fähigkeit, sich in das Thema, die Personen und die Intentionen hineinversetzen zu können», betont Wey. Denn schliesslich müsse auch die Begründung eines Presserat-Entscheids überzeugend sein. «Das setzt voraus, dass in einer Stellungnahme das Vorgehen nachvollziehbar dargestellt wird, Argumentationen fundiert entwickelt und mit einer genauen Sprache verständlich vermittelt werden». Dahinter verbirgt sich aber nicht nur die Faszination für intellektuelle Diskussionen und die Liebe fürs Detail, sondern auch grosse Empathie und generell die Freude an der Arbeit. «Das Streben nach Gerechtigkeit und Transparenz, Menschenrechte, Offenheit und Entwicklung sind die Leitmotive meines persönlichen und beruflichen Lebensweges. Dazu gehört ein ausgeprägter Sinn für Fairness.» So zeigen sich bei Ursina Wey diese Präferenzen bereits in ihren Kindheitsberufswünschen. Sie stellte sich vor, Ärztin in Afrika zu werden oder Dirigentin – weil es keine weiblichen Dirigenten gab. Gleichzeitig hat Ursina Wey jedoch viele verschieden gelagerte Interessen und bezeichnet sich deswegen als Generalistin. «Das Jus-Studium hat meinen Erwartungen schlussendlich am besten entsprochen», ist Wey überzeugt. Dieser Entscheid habe ihr ein erfüllendes Berufsleben ermöglicht.

Ein Schwarm mit vielen Perspektiven

Bei den Kammersitzungen des Presserats ist Ursina Wey als Geschäfts- und Protokollführerin anwesend mit beratender Stimme – auch wenn sie ihre Meinung klar vertritt. Gleichzeitig bringt sie offen ihre eigenen Überlegungen oder Ambivalenzen mit einem komplizierten Fall ein. Denn die Diskussionen des Presserats sind teilweise sehr komplex. Meist werden sie dafür umso mehr mit Engagement betrieben. Jedes Argument wird angehört, jede Meinung kommt zum Tragen – das juristische Verständnis genauso wie die persönliche Einschätzung, das Leseverständnis genauso wie der redaktionelle Auftrag, semantische Details genauso wie journalistisches Handwerk, die Meinung der Beschwerdeführenden genauso wie die Richtlinien des Schweizer Presserats. In dieser Meinungs- und Interessenvielfalt behält Wey den Überblick. Ihre Zusammenfassungen der Presserat-Entscheidungen bestechen durch sachliche und leicht verständliche Prägnanz. Ähnlich wie ihre Tätigkeit sieht es auch in ihrem Büro aus – der Raum scheint Weys Persönlichkeit zu widerspiegeln. Akten, wohin man sieht. Auf dem Schreibtisch liegen aufgeschlagene Bücher und Kopien der aktuellen Fälle, weitere findet man auf dem Klavier hinter ihrem Schreibtisch – ein Hinweis auf ihre Leidenschaft für Musik. Auf einem zweiten Schreibtisch sind ebenfalls Kopien ausgelegt. Andere wiederum breitet Wey gerne auf ihrem Sofa aus. Dieses hat sie geerbt und neu beziehen lassen – es gibt dem Raum seinen Charme. Darüber hängt ein Bild aus der Serie «Transparenz» einer befreundeten Malerin. «Die Thematik passt zu mir, speziell auch zu der Tätigkeit des Presserats», kommentiert Wey. Transparenz sei ihr wichtig, schliesslich bestehe die Arbeit der Medien aus Öffentlichkeitsarbeit; diese sollte also auch transparent und gut öffentlich zugänglich sein. Die Ernsthaftigkeit der Thematik spiegelt sich in ihrem Blick, den sie aber sogleichmit einem ehrlichen Lächeln durchbricht. Trotz der Papierberge weiss Wey genau, wo sie welche Unterlagen abgelegt hat. Sie springt auf, sammelt einige Unterlagen zusammen, geht dabei mehrmals durch den Raum. Ursina Wey ist immer in Bewegung, sie sitzt nicht gerne still. So sehe ihr Leben tatsächlich aus, bestätigt sie: «Ich möchte lernen, mich fasziniert das Neue, ich brauche Herausforderung. » In Routine zu versinken, wäre nichts für sie. Und tatsächlich: Alltag gibt es für Ursina Wey nicht, immer kommt etwas dazwischen, gibt es Unvorhergesehenes. Den Tag zu meistern, mit all seiner Unvorhersehbarkeit, braucht Mut, Spontaneität und Gelassenheit – in Togo waren Wey diese Eigenschaften eine grosse Hilfe. Auch wenn ihr Wunsch «etwas zu bewirken» bei der Entscheidung im Vordergrund stand, für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) als Beraterin für Demokratieförderung nach Togo zu gehen.
Ursina Maurer

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Nach dem Rechtsstudium an den Universitäten Bern und Freiburg und dem Erwerb des Bernischen Anwaltspatents war Ursina Wey unter anderem als wissenschaftliche Mitarbeiterin für das Bakom und als stellvertretende Leiterin des Rechtsdienstes der SRG tätig. Nach fünf Jahren in Togo, erst als Beraterin für Demokratieförderung, danach für Good Governance und Dezentralisierung, kehrte sie nach Bern zurück, als Geschäftsführerin des Schweizer Presserats.
 

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