Disput um Bewegtbild-Werbung in der Stadt

Die Stadt Zürich startet 2016 mit dem Einsatz von 20 Leuchtdrehsäulen und zehn 72-Zoll-LCD-Screens im ­öffentlichen Grund. In Zukunft könnten weitere Bewegtbild-Anlagen folgen. Die Ankündigung der Stadt entfacht neues Feuer im alten Nutzungskonflikt um den öffentlichen Raum.

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Gute Werbung ist kreativ, unterhaltsam und relevant – so (oder so ähnlich) lautet das Credo von vielen Werbetreibenden. Abseits der Branche wird das, was die Plakatwände ziert, aber nicht unbedingt so wahrgenommen. «Viele Plakate sind ästhetisch wenig ansprechend und transportieren dümmliche Botschaften – eine neue Shampoo-Formel ist keine Innovation», findet zum Beispiel Christian Hänggi, Co-Präsident der IG Plakat Raum Gesellschaft (PRG). Wenn der Stadtzürcher von seiner Wohnung im Kreis 3 zur Tramhaltestelle geht, ärgert er sich über die 17 Plakate, die seinen Blick kreuzen. Er wünscht sich einen massiven Abbau der aktuell rund 8000 Plakatstellen in der Stadt Zürich. Erst recht will er keine leuchtenden Bewegtbilder auf den Strassen und Plätzen der Stadt sehen. In einer kürzlich veröffentlichten Mitteilung spricht die IG PRG diesbezüglich von einem «Tabubruch» des Stadtrats. Hänggi ist überzeugt, dass der Verein mit dieser Ansicht nicht allein dasteht. Vor Kurzem hat die IG PRG eine Petition eingereicht, welche vom Stadtrat fordert, komplett auf digitale Werbescreens und Leuchtdrehsäulen zu verzichten.

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Bewegtbild mehrheitlich positiv bewertet

«Werbung stört per se fast alle», ist offenbar auch für Matthias Wyssmann, Leiter Kommunikation des Hochbaudepartements der Stadt Zürich, klar. Er rela­tiviert jedoch: «Die meisten Menschen machen eine Güterabwägung – sie wägen ab, ob der Nutzen die Belästigung rechtfertigt.» Gemeinsam mit den beiden grössten Aussenwerbefirmen APG|SGA und Clear Channel führte die Stadt während zwei Jahren einen Testversuch mit zwei LCD-Screens und fünf Leuchtdrehsäulen durch. Mittels zwei Strassen­umfragen (einer Umfrage zu den LCD-Screens und einer Umfrage zu den Leuchtdrehsäulen) wurde daraufhin die Akzeptanz der neuen Werbeformen ermittelt.

Die Umfragen zeigen: 88 Prozent der befragten Passanten finden, dass Aussen­werbung für die Stadt Zürich eine willkommene Einnahmequelle sei. Auch die Bewertung der Bewegtbild-Werbung fällt überwiegend positiv aus. Nur 21 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Screens die Menschen zu stark ablenken. 61 Prozent ziehen Spots und Kurzfilme gar den klassischen, statischen Plakaten vor. Auffallend ist, dass vor allem jüngere Zielgruppen die neuen Werbe­formen bevorzugen. Damit zeigt sich ein ähnlicher Beliebtheitstrend hin zu Video-Content wie im Netz. Auf der Basis dieser Strassenumfragen entschied sich der Stadtrat nun für die Einführung der neuen Anlagen. Sie werden an bereits bestehenden Plakatstandorten analoge Plakate ersetzen. Seit dem 3. Juni 2015 läuft die Ausschreibung für den erstmaligen Betrieb.

Kritische Zahlen zur Aussenwerbung

Christian Hänggi hat seine Abwägung gründlich gemacht und zieht ein anderes Fazit als die Stadt. Im Rahmen seiner Dissertation hat er Aussenwerbung aus einer ethisch-philosophischen Perspektive untersucht und 2007 die IG Plakat Raum Gesellschaft gegründet. Dies als Reaktion darauf, dass die Stadt Zürich im Rahmen der Neuausschreibung von 2006 die rund 2000 Plakatstellen im öffentlichen Grund (die übrigen Plakatstellen befinden sich auf Privatgrund) um 15 Prozent aufstockte. Gegen einen erneuten Ausbau der Aussenwerbung führt er drei Zahlen ins Feld:

1. Die städtischen Einnahmen durch Aussenwerbung sind nicht besonders hoch. Die Verwaltung generiert jährlich rund 2,6 Millionen Franken durch Aussenwerbung – das sind gerade einmal 0,03 Prozent der städtischen Ausgaben bzw. 6,50 Franken pro Bürger. Über diese Zahlen sind die Passanten, welche die Stadt befragen liess, nicht informiert worden.

2. Im internationalen Vergleich weist die Schweiz bereits eine überdurchschnittlich hohe Plakatdichte auf. Die Anzahl Plakatflächen pro 1000 Einwohner fällt beispielsweise doppelt so hoch aus wie in Deutschland oder fünfmal so hoch wie in Italien.

3. Die beiden Studien der Stadt vermitteln eine Idee, wie die Bevölkerung generell zum Thema Aussenwerbung steht: So stimmten beachtliche 49 Prozent der Befragten der Aussage zu: «In Zürich hat es zu viel Werbung im öffentlichen Raum.» Und das sage noch nichts über die übrigen 51 Prozent aus, betont Hänggi: Es bedeute nicht, dass 51 Prozent finden, es gebe zu wenig Werbung im öffentlichen Raum. ­Leider, kritisiert Hänggi nicht zu Unrecht, stelle die Studie aber wenig grundsätzliche Fragen wie diese.

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Einer der beiden LCD-Screens, die während zweier Jahre probe­weise in Zürich betrieben wurden. 2016 werden nun 10 solche Screens installiert. Gut möglich, dass weitere folgen werden.

Befürwortung durch Stadtrat

«Im Vergleich zum städtischen Budget von 8,5 Milliarden Franken sind die Einnahmen durch Aussenwerbung nicht enorm. Aber das lässt sich von sehr vielen Einnahmequellen sagen. Man muss sich vielmehr fragen, was mit 2,6 Millionen Franken alles finanziert werden kann», hält Wyssmann entgegen. Ausserdem generiere die VBZ, ebenfalls ein städtischer Betrieb, durch Aussenwerbung ein Mehr­faches dieser Einnahmen. Letztlich sei die Haltung der Politik eindeutig: «Die Entscheidung liegt beim Stadtrat und sein Verdikt ist klar: Er unterstützt die Einführung der LCD-Screens und Leuchtdrehsäulen.» Auch der Gemeinderat habe sich jüngst deutlich für die Aussenwerbung inklusive LCD-Screens ausgesprochen. Die Bewegtbild-Werbung vergleicht Wyssmann mit der Lärmbelastung: Ein gewisses Ausmass an Störung werde vom Staat toleriert, selbst wenn die eingeräumten Rechte nur für bestimmte Interessengruppen relevant seien. «Das Bewusstsein für den Schutz des öffentlichen Raums ist vorhanden bei der Stadt Zürich», betont Wyssmann. Die Möglichkeiten würden nicht zugunsten des Gewerbes ausgereizt.

Bezüglich Plakatdichte könne man Zürich nicht mit einer ausländischen Grossstadt vergleichen, findet Beat Holenstein, GL-Mitglied der Allgemeinen Plakatgesellschaft APG|SGA und Leiter Partner & Product Management. «In der Schweiz kommen vor allem kleinflächige Plakate zum Einsatz. Am häufigsten wird die Grösse F4 (das sogenannte Weltformat von 1,15 m2) verwendet. Diese Stellen können in der Stadt Zürich ab 45 Franken für eine Woche gebucht werden. Sie sind auch für Kultur, lokales Gewerbe oder politische Plakatierung erschwinglich.» Zudem nutze die Stadt die F4-Flächen für das Anbringen ihrer eigenen Plakate. Man erbringe als Teil des Vertrags mit der Stadt Zürich also auch Natural- und Serviceleistungen für die Öffentlichkeit. Dasselbe gilt für die neuen digitalen Screens: «Wir stellen bei Bedarf einzelne Sequenzen für Partner wie die Stadt zur Verfügung. Im digitalen Zeitalter sollte eine Verwaltung über die Möglichkeit ver­fügen, beispielsweise Vermisst-Anzeigen schnell und breitenwirksam kommunizieren zu können.»

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Die digitalen Screens sind für die Plakatgesellschaften ein Wachstumsmarkt. Der städtische Entscheid rief daher verständlicherweise die IG PRG auf den Plan, die gegen einen Ausbau der Aussenwerbung ist.

Screens an guten Standorten äusserst lukrativ

Von den neuen Bewegtbild-Anlagen erhofft sich die Stadt in erster Linie Mehreinnahmen: Mindestens 1,23 Millionen Franken pro Jahr sollen es laut ­Ausschreibung sein (bei Investitionskosten von 1,15 Millionen). In der Debatte sei es nicht vorrangig um ästhetische Argumente gegangen, sondern um die Nachfrage nach neuen Formaten, so Wyssmann. Der Vorteil liege bei den Plakatgesellschaften bzw. ihren Kunden, die im Gegenzug höhere Ge­bühren wie für klassische Plakatstellen entrichten.

Die digitalen Anlagen werden an bereits bestehenden, stark frequentierten Standorten installiert. Grossen Mehrwert generiert dort das neue, auffällige Bewegtbild-Format. «Es ist ein Quantensprung, dass wir jetzt digitale Screens anbieten können», unterstreicht Holenstein. Im Hauptbahnhof Zürich beispielsweise betreibt die APG|SGA bereits so­genannte E-Panels. Holenstein spricht von einer «echten Alternative zu anderen Bewegtbild-Medien, die aufgrund des veränderten Mediennutzungsverhaltens an Bedeutung verlieren». Bei der APG|SGA ist man überzeugt, dass sich Budgets von anderen Medien in Richtung digitale Aussenwerbung ver­lagern werden. Die neuen Bewegtbild-Werbeträger erlauben ausserdem eine Mehrfachnutzung. Der Kunde sei bereit, an den Top-Standorten den Platz zu teilen und im Verhältnis mehr auszugeben als für ein statisches Plakat, so Holenstein. Im Bahnhof operiert die APG|SGA derzeit mit 60-Sekunden-Loops à sechs Spots, ähnlich würden die neuen ­Anlagen betrieben werden.

Ein weiterer Vorteil gegenüber dem analogen ­Plakat sei, dass man Angebote für Kunden feiner gestalten und spezifischer auf Mobilitäts­zielgruppen ausrichten könne. Auf den E-Boards am Hauptbahnhof bietet die APG|SGA bereits verschiedene Zeitfenster an: Morgens Werbung fürs Gipfeli, über Mittag fürs Sandwich, am Abend für das Feierabendbier. Auch Tagesbuchungen sind möglich. «Das ist sicher die Zukunft dieses Mediums.»

Die Digitalisierung finde jedoch nur an absoluten Top-Standorten statt, wo die Frequenz sehr hoch ist und damit auch eine Mehrfachnutzung Sinn mache. Das analoge Plakat wird laut Holenstein nicht aussterben – zumindest nicht in den nächsten 30–40 Jahren. Die analogen Umsätze würden derzeit nicht zurückgehen.

«Qualität vor Quantität» lautet die Devise der Plakatgesellschaften sowie des städtischen Gesamtkonzepts. Auch die neuen digitalen Anlagen an den Topstandorten entsprechen diesem Grundsatz. Holen­stein spricht bei den E-Panels von einem Wachstumsmarkt – ohne dass die Standorte massiv ausgebaut werden. «Nicht die Menge macht es aus, sondern die Platzierung von Werbeträgern an den besten Standorten», betont Holenstein.

Dass man bei der APG|SGA von einem Wachstumsmarkt spricht, macht aber auch deutlich, wieso der städtische Entscheid die IG PRG auf den Plan rief. Verständlich, dass Hänggi angesichts der Einführung der neuen An­lagen von einem Ausbau der Aussenwerbung spricht.

Bedrängt Aussenwerbung nun TV?

Bei der IG PRG dürften auch bezüglich einer Budgetverlagerung in Richtung Aussenwerbung die Alarmglocken schrillen: Wenn Hänggi Werbung etwas abgewinnen kann, dann dass sie redaktionelle Inhalte finanziert. «Je höher die Werbeeinnahmen der Medienunternehmen, umso mehr Mittel stehen zur Verfügung, um qualitativ hochwertigen Journalismus zu betreiben», so Hänggi. Die Werbung sollte sich auf TV, Zeitungen und Radio konzentrieren statt nichtige städtische Einnahmen zu generieren, findet er. Sie sollte nur dort erlaubt sein, wo die Gesell­schaft tatsächlich davon profitiert. Der öffent­liche Raum hingegen sei da, um Botschaften zu ­zeigen, die das Zusammenleben thematisieren. Das beinhaltet für Hänggi unter anderem Veranstaltungsplakate, öffent­liche Mitteilungen, politische Werbung. «Es ist immer heikel, über Inhalte zu ­reden. Aber man kann die Grenze intuitiv ziehen zwischen öffentlichen und kommerziellen Interessen.»

Simone Isliker

Plakatierung im überblick

Lange Zeit wurde in der Stadt Zürich (sowie notabene auch im Rest der Schweiz) ohne planerisches Gesamtkonzept plakatiert. Erst 1992 wurde das erste städtische Gesamtkonzept GK 92 ins Leben gerufen. Es harmonisierte unter anderem die Trägertypen und Plakatgrössen – und sah bewusst weniger, dafür besser platzierte Plakatstellen vor. Dadurch wurden fast auf einen Schlag 30 Prozent der Plakatstellen abgebaut und zugleich die städtischen Einnahmen verdoppelt. 2006 wurde das GK 92 durch das Plakatierungs- und Megaposterkonzept PK 06 abgelöst. Das PK 06 reagierte auf die städtebaulichen Entwicklungen der letzten Jahre. Es berücksichtigte ausserdem die technischen Entwicklungen im Plakatierungswesen und definierte entsprechende Richtlinien. Das war auch dringend nötig: Um mit den bestehenden Stellen beste Renditen zu erzielen, hatten die Plakatgesellschaften laufend nach neuen Möglichkeiten gesucht, mittels technologischer Innovationen die Flächen zu erweitern beziehungsweise die Wirksamkeit zu erhöhen.

Rund 8000 Plakatstellen hat es in Zürich, davon befindet sich allerdings nur etwa ein Viertel auf öffentlichem Grund. Die Anzahl dieser Plakatstellen auf öffentlichem Grund schwankt seit 1992 stets etwas: 2006 wurde sie um 15 Prozent erhöht (was der Auslöser war für die Gründung der IG Plakat Raum Gesellschaft), bei der letzten Ausschreibung 2013 dann wieder um 10 Prozent reduziert. Die mengen­mässig umfangreicheren Plakate auf Privatgrund (die ebenfalls vom öffentlichen Grund aus sichtbar sind) bringen der Stadt fast keine Einnahmen. Für diese bewilligungspflichtigen Plakatstellen auf Privatgrund entrichtet man nur eine einmalige Gebühr.

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Ein Artikel aus der aktuellen Printausgabe der Werbewoche

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