Charlies schwierige Rückkehr

Die neuen Hefte von «Charlie Hebdo» bleiben in den Kiosken liegen. Frankreichs Kulturbetrieb stellt sich auf die neuen Bedrohungen ein. Die Rückkehr zur Normalität fällt schwer. Von Jürg Altwegg

Der Titel einer Theateraufführung wurde abgeändert, weil das Wort Jude als zu provokativ empfunden wurde. Das Gastspiel einer Westschweizer Truppe in Paris konnte nicht stattfinden: aus Angst vor den Islamisten. Aus einer Ausstellung musste sich eine muslimische Künstlerin auf Druck des Gemeindepräsidenten zurückziehen: ihre Installation mit Frauenschuhen auf Gebetsteppichen sei gefährlich. Auf Twitter verkündete Ende Februar Stéphane Grimaldi, der Direktor des Weltkriegsmemorials von Caen, den Verzicht auf die Durchführung der «Rencontres internationales du dessin de presse».
 
In den vergangenen Jahren hatten jeweils zwanzig bis vierzig Zeichner, Illustratoren, Karikaturisten an diesem Treffen teilgenommen, das in Partnerschaft mit der Vereinigung «Cartooning for Peace» durchgeführt wird. Nach den Anschlägen von Kopenhagen hatten sich mehrere der eingeladenen Teilnehmer aus Frankreich und dem Ausland ziemlich besorgt bei Grimaldi gemeldet. Es wäre unverantwortlich, begründete dieser seine Absage, die Schüler und Besucher, die Gäste und die Angestellten des Memorials in Gefahr zu bringen. Das Internet-Portal mit der Ankündigung wurde mehr- mals von Piraten, die sich als tunesische Islamisten ausgaben, gehackt.
 
Eine Auflage von mehr als sieben Millionen hatte die Ausgabe nach den Attentaten erreicht. Zuvor verkaufte «Charlie Hebdo» jede Woche 22 000 Exemplare, im November hatte die Redaktion die Leser zu Spenden aufgerufen. 2,5 Millionen Hefte wurden für das Comeback Ende Februar ausgeliefert, 200 000 an Neu-Abonnenten geschickt. Inzwischen ist die Nachfrage fast in den gleichen Dimensionen rückläufig.
 
Für Riss, der den erschossenen Charb als Herausgeber ersetzen muss, war es schwer, neue Karikaturisten zu gewinnen. Die Gattung hat unter der Pressekrise gelitten und wird von den Tageszeitungen kaum mehr gepflegt. «Sie fragten, ob sie an den Redaktionskonferenzen teilnehmen müssten oder unter einem Pseudonym veröffentlichen dürfen», fasst Riss seine Erfahrungen zusammen: «Alle, dies uns beschwören, unbedingt weiterzumachen, lassen uns an der Front ziemlich allein.»
 
Die neuen Ausgaben sind erstaunlich gut. Noch allerdings hat die «unverantwortliche Redaktion», wie sie sich im Impressum bezeichnet, nicht zu ihrer alten Lust an der Provokation zurückgefunden. Riss vergleicht die Situation seines Blatts in einem Editorial mit dem Stier in der Arena: Er wird angefeuert und bejubelt – bis er tot zusammenbricht. Bedrohlicher als die internen Auseinandersetzungen um die inhaltliche Ausrichtung ist der neu aufgeflammte Streit um das Geld. 2008 hatte eine Solidaritätsausgabe mit Mohammed-Karikaturen eine Million eingespielt, die beiden Direktoren (je 300 000 Euro) verteilten sie praktisch unter sich und zwei weiteren Aktionären, die chronisch unterbezahlten Redaktoren erfuhren davon aus «Le Monde».
 
Mehr als zehn Millionen flossen in den vergangenen Wochen in die Kasse. «Sie sind ein Albtraum, sie können uns töten», fürchtet Patrick Pelloux, der eine Kolumne schreibt: «Sie wecken Begehrlichkeiten. » Noch ist die neue Verteilung der Aktien nicht erfolgt. Pelloux und die Mehrheit der Mitarbeiter möchten eine Genossenschaft gründen. Wie kein anderer hat Pelloux gegen den Verzicht auf das Karikaturisten- Treffen in Caen protestiert – mit Erfolg: Es soll im Oktober doch wieder stattfinden.  
 
Jürg Altwegg ist Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Genf.
 

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