«No Ads»

Oliver Brunschwiler baut bei FCB Zürich sein Pensum wie geplant langsam ab. Der Kreative verantwortet in Zukunft fulltime die «Werbung» und Kommunikation bei Freitag. Dazu gehört auch das Lancieren einer neuen Modeund Materialgeschichte.

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Oliver Brunschwiler war früher Profi-Snowboarder und gründete im Jahr 2000 mit Johannes Eisenhut zusammen die Werbeagentur /Department in Zürich. Im Oktober 2014 hat die erfolgreiche Kreativagentur mit FCB Zürich fusioniert. Schon vorher hat Oliver Brunschwiler regelmässig für die Gebrüder Freitag gearbeitet. In Zukunft wird er vollamtlich die Werbung und Kommunikation für das Label Freitag verantworten und ist dort auch Teil der Geschäftsleitung. 

WW: Die Flitterwochen sind vorbei. Wie läuft es im Ehealltag von /Department und FCB Zürich?
Oliver Brunschwiler: Wir sind sehr glücklich. Trotzdem bahnen sich für mich weitere Veränderungen an. Dazu muss ich zuerst etwas abschweifen. Mit der Ausnahme von Brand Identity ist in der Kommunikationsbranche die Kurzlebigkeit eine Gegebenheit. Es braucht immer wieder neue Botschaften und neue Produkte, und trotzdem wiederholt sich das Meiste. Als Kommunikationsdienstleister ist das eine schöne Herausforderung, wenn man die permanente Erneuerung zelebriert. Ich glaube mittlerweile eher an ein langes oder ein zweites Leben von Dingen. Auch sehe ich Ermüdungserscheinungen in der klassischen Beziehung zwischen Agentur und Kunde, denn in den letzten zwanzig Jahren hat ein grosser Wandel stattgefunden. Der Arbeitsdruck ist gestiegen, nicht nur in der Kommunikationsbranche. Die Fachkompetenzen, die talentierte Mitarbeiter mitbringen müssen, um innovativ und motiviert zu bleiben, werden ständig breiter. Gleichzeitig sind auf Kundenseite die Kompetenzen gewachsen, was ich persönlich begrüsse. Man redet auf Augenhöhe, und der Kreativdienstleiter kommt nicht mehr als unantastbarer Zampano, als Überbringer der «big idea» zu einer Präsentation. Wir sind zum Sparring-Partner geworden, bezahlen dafür aber oft mit der Kurzlebigkeit der Ideen.

Und die Ehepartner?
Ich komme gleich darauf. In diesem dynamischen, immer agileren Umfeld hat sich /Department bestens halten können. Noch bis zur Heirat mit FCB konnten wir erstaunliche Erfolge feiern. Dabei haben wir jahrelang komplett ausserhalb der Agenturszene operiert. Nur: Johannes Eisenhut und ich sind zwei kaufmännisch orientierte Kreative, mit Betonung auf «orientiert». Deshalb haben wir jahrelang einen dritten Partner gesucht. Jemand, der uns ma naged. Zudem sind wir an den Punkt gekommen, wo wir sagten: Um die 40 wollen wir etwas Neues machen. Dazu mussten wir uns zwingen, inbesondere wenn es gut läuft. Es ist wie wenn man gut schläft, aber das Bett trotzdem mal umstellen sollte. Ohne Umstellung träumt man keinen neuen Traum. Zum Glück haben wir Cornelia Harder getroffen – für uns mit dem einzigen «Haken», dass sie nicht selbständig, sondern in die Agentur und ins Netzwerk eingebunden war. Aber das Agency Business ist ja ein People Business. Und so gesehen sind Cornelia Harder als Managerin und Dennis Lück als CD die absolut richtigen Partner für uns. Das hat im Juli 2014 zur «Heirat» von /Department und FCB geführt. Erfreulich ist auch, dass die meisten unserer Kunden mitgeheiratet haben. Um diese werden wir uns mit einem reduzierten Pensum weiterhin kümmern. So sind Johannes und ich an dem Punkt, wo wir das Privileg haben, mit 40 «etwas völlig Neues» zu machen. Eisenhut ist in der Immobilien-Entwicklung tätig, ich werde zukünftig fulltime für die Gebrüder Freitag arbeiten.

Ein Fremdgehen in die Anstellung?
Ja, ein solches Verhältnis ist für mich neu, und das konnte ich mir auch nur bei sehr wenigen Firmen vorstellen. Seit 2014 bin Teil der Freitag-Geschäftsleitung und verantwortlich für Kommunikation und Kreation. Johannes Eisenhut und ich waren mit /Department eine der wenigen Agenturen, die immer wieder für Freitag gearbeitet haben. Allerdings weit im Hintergrund, denn Freitag macht keine klassische Werbung und hat auch ohne Zugaben von Agenturen mit Spielwitz und Irritation immer wieder Neues in der Markenkommunikation geschaffen. Auch als Sparring-Partner waren wir seit langem verbandelt. Johannes seit Skim.com, einem anderen Start-up unter der Beteiligung der Gebrüder Freitag im Jahr 1999. Die Idee einer auf Kleidern und Taschen aufgedruckten Mail-Adresse, mit der man über eine anonyme Mailbox untereinander in Kontakt treten konnte, entpuppte sich in jener Zeit als Frühgeburt. Und gleichzeitig war es für uns Beteiligte das erste grosse Learning, dass man New Economy nicht mit Economy verwechseln sollte.

Jetzt diversifiziert Freitag mit Mode. Was ist ihre Motivation, dort selber «in die Hosen zu steigen»?
Ich bin mit meiner Vergangenheit als Profi-Snowboarder und danach als Kreativer und Unternehmer in der Welt herumgekommen. Dabei habe ich Kreative in den verschiedensten Disziplinen kennengelernt. Aber niemand, der so gut ist wie die Gebrüder Freitag in ihrer umfassenden Betrachtung des Ganzen. Es ist eine persönliche Herausforderung, mich in einem Unternehmen zu messen, das sich dem Denken und Handeln in Kreisläufen und somit 100-prozentigen «good goods» verschrieben hat. Aber wenn wir nur mit Mode diversifizieren würden, wäre ich nicht eingestiegen.

Eine Herausforderung ist es, ein neues Produkt «ohne Werbung» zu lancieren. Wie soll das zum Spielen kommen?
Durch die richtige Geschichte. Bei Freitag entsteht alles aus einem Bedürfnis, nicht nur, weil es der Markt so will. Jetzt kann man sagen, Bedürfnisse werden exklusiv Markt dominiert – das Marktbedürfnis, aber das ist nur die halbe Wahrheit. Der Grafiker Daniel und der Deko-Gestalter Markus hatten das Bedürfnis nach einer robusten und etwas individuellen Tasche. So entwickelten sie 1993 zum Eigenbedarf ihre erste Kuriertasche aus rezyklierten Lastwagenplanen, gebrauchten Fahrradschläuchen und Autogurten. Diese Taschen haben auch anderen gefallen, und so hat man mehrere genäht und angefangen zu verkaufen. Die Brüder haben realisiert, dass ihr Produkt selbstredend kommunizieren kann und haben darüber hinaus aus reiner Budgetnot eigene, auffallende Wege gefunden, wie sie ihre Produkte vertickern konnten. Zum Beispiel haben sie Taschen aus Auto-Kofferräumen auf einem Parkdeck verkauft. Das wurde von der Szene wohlwollend aufgenommen, es war mehr eine Installation, der Kaufmoment spielte die Nebenrolle. Mit solchen und mit vielen anderen Guerilla-artigen Aktionen ist eine Art Freitag-Mythos entstanden. Das Beruhigende ist, dass wir noch immer nach den gleichen Mustern Ideen beurteilen. Was öfters dazu führt, dass man den genialsten Einfall einfach kübelt. Eine Erwartungshaltung, die mir sehr behagt, weil ich auch als Unternehmer selten 100-prozentig zufrieden war mit dem Agentur-Output in meiner Rolle als Chefkreativer und Agenturmanager.

Wie kommuniziert Freitag heute?
Heute ist unser wichtigster Kanal die Medienarbeit. In diesem Bereich investieren wir neben dem Online- Kanal die meisten Mittel. Wir lancieren Produkte mit sinnigen Mini-Geschichten, die zum grössten Teil bei unserer internen Kreationsabteilung, in Zusammenarbeit mit Externen, oder sogar mit unserer Innovationsabteilung entstehen. Zur Unterstützung haben wir mehrere PR-Agenturen mandatiert, die von uns zentral geführt werden. Dazu glauben wir an Kooperationen, in der Schweiz zum Beispiel schon mehrmals mit dem Tages-Anzeiger Magazin, Pro Helvetia oder Reportagen.

Internet wird immer wichtiger. Wie will man bei Freitag mit diesem Medium umgehen?
Medienarbeit, die Brüder, Innovationen, Produkte, unsere Geschichten und Events verschmelzen online. Wie überall je länger je mehr. Aber Freitag.ch ist auch ein wichtiger Verkaufskanal. Diesem Kanal widmen wir entsprechend eine erhöhte Aufmerksamkeit. Mit unseren Kollegen aus der Innovationsabteilung entwickeln wir aber auch Formate zum Selbstzweck, gemeinhin auch als Content Marketing bekannt. Ein Buzzword, aber für uns ein hochpotenzieller Kanal, sofern gut orchestriert. Im Sommer schickten wir zum Beispiel zwei Journalisten auf eine Reise unter dem Titel «Grand Tour». Diese hatten eine «carte blanche», um auf unserem Portal über ihre Erlebnisse zu berichten. Die ganze Kampagne hatte keinen anderen Zweck, als unsere Marke von der reinen Produktbotschaft zu lösen und über die Hintertüre wieder bei uns zu landen. Ein anderer zentraler Kanal ist der POS, dort suchen wir ständig nach innovativen Ideen und bleibenden Bildern, um unseren Geschichten, die hinter Produkten stehen, ein Gefäss zu geben.

Ein Kultobjekt bewirbt sich selber.
Genau. Man muss die richtige Story darum herum lancieren und mit Fingerspitzengefühl auf den ers ten Blick Irrelevantes relevant machen. Zum Beispiel, indem man Bestehendes völlig normbefreit rekontextualisiert.

Wie gross präsentiert sich der Markt für das Label Freitag?
Unser Kernmarkt ist Europa, allen voran Schweiz, Deutschland und Italien. Auch Österreich wächst. Frankreich hat viel Potenzial, insbesondere mit FAbric. In England gehen wir neu rein. Asien boomt. Die unikate Idee ist in Asien erst angekommen, dort haben wir noch zig unreife Märkte, auf die wir den Fokus legen könnten. In Japan gibt es Freitag bereits seit 15 Jahren, in Tokio betreiben wir zwei F-Stores an den heisstesten Ecken der Stadt.

Wo werden die Taschen produziert?
Wir kaufen die Lastwagenblachen in ganz Europa. An unserem Hauptsitz in Oerlikon wird das Material zerlegt, gewaschen und geschnitten. Danach gehen die Planen in verschiedene Nähereien. Die weitesten sind 1500 Kilometer entfernt. Dann kommen die genähten Taschen zurück ins Lager, werden kontrolliert und von Zürich aus distribuiert.

Jetzt sind zu den Taschen auch Kleider gekommen. Wird Freitag ein richtiges Modelabel?
F-abric ist eine Materialgeschichte, ein geschlossener Kreislauf. Anfangs wollten wir unsere Fabrikarbeiter mit einer Arbeitskleidung ausrüsten und suchten nach einem Produkt, das unsere Bedürfnisse erfüllt. Es sollte keine weitgereiste Baumwolle sein und auch kein Gewebe mit Polyester-Zusatz, so wie er in beinahe allen anderen Stoffen enthalten ist. Also mussten wir zuerst ein neues Material entwickeln. Damit ist ein fünfjähriger Prozess losgegangen. FAbric Workpants sind zum Beispiel aus einem einzigartigen Broken Twill gefertigt, einem Gewebe aus Leinen und Hanf. Ein F-Abric-Teil ist 100 Prozent rezyklierbar. Nur die Hosenknöpfe sind aus Metall. Ein nettes, kleines Feature, auf welchem man seine eigenen Initialen einprägen kann, völlig zeitlos – die Patek Philippe der Hosenknöpfe, wenn man so will. Neben den Hosen gibt es auch Oberleibchen und Workdresses für Frauen. Und ein Concept Bag, der beide Kreisläufe mit Blachen und F-Abric verbindet. Im Frühling werden wir das Sortiment erweitern. Aber wir haben nicht die Absicht, ein Modeunternehmen zu werden und nur Kleider zu verkaufen. Wir werden weiterhin Taschen machen und weiter diversifizieren, vielleicht aus FAbric, vielleicht mit anderen Materialen. Und mit anderen Produkten. Wir sind primär eine Taschenmanufaktur und werden das auch bleiben.

Wie wird jetzt der Bereich Textil vermarktet?
Die Brüder sind die Entdecker, sie erzählen die Geschichte anhand einer Reise auf der Suche nach dem vollendeten Kreislauf. Der Kern der Geschichte: Wir denken und handeln in Kreisläufen. Etwas wird gepflanzt, man macht etwas daraus und dann geht es wieder zurück in die Erde. Cradle to cradle.

Wie lancierten Sie diese Materialgeschichte?
Die Reise der Brüder bildet den Kern. Wir haben eine Art Documentary der Reise gemacht und dazu eine umfassende Publikation inklusiv Produktpräsentation kreiert. Dazu wurden Teile des Pakets auf Freitag. ch gespiegelt. Am POS haben wir sowohl den Film als auch das Material mit einer Prise Ironie inszeniert. Im Vorfeld haben wir über 40 internationale Medienschaffende eingeladen. In der Folge haben Medien aus aller Welt über uns berichtet. Publikationen wie Le Figaro, Falter, La Repubblica, Enorm, Swiss Magazine oder Form. Ziel war es, zuerst die Geschichte zu erzählen, also wieso machen wir das? Erst zwei Monate später haben wir die Kollektion als «Erntedankfest» lanciert, weil Ende Oktober Flachsernte in der Normandie ist.

Wie erfolgreich präsentiert sich nun diese Earned Media?
Die Story wird in den Medien stark multipliziert, deshalb wollten wir die internationalen Blogs und Printmedien zuerst. Die werden dann referenziert von anderen. Natürlich haben wir die Hoffnung, dass die Geschichte mit dem neuen Material auch das Kerngeschäft mit den Taschen befruchtet.

Wie vielen Menschen bietet das Unternehmen heute eine Arbeitsmöglichkeit?
Bei uns sind global rund 160 Leute beschäftigt, die meisten davon in der Schweiz.

Wieso kommen Ideen aus dem Garten von Freitag so gut an?
Die Brüder haben sich einen gewissen Kredit mit dem kompromisslosen Aufbau der Marke erarbeitet, mit diesem Kredit müssen wir vorsichtig haushalten. Wer die Entstehungsgeschichte kennt und durch unsere Brille schaut, gibt uns den Kredit und öffnet seine Türen. Egal ob neue Händler, Medien, kollaborative Partner, andere innovative Firmen, Museen oder sogar Botschaften. Wenn wir mit innovativen Ideen nachstossen, haben wir gewonnen.Die Textilindustrie ist eine der grössten Industrien auf der Welt. Wenn wir als KMU aus Oerlikon mit revolutionären Neuerungen, oder anders gesagt mit einer rekontextualisierten und zeitgeistigen Idee wie FAbric kommen, dann werden die Leute hellhörig. Die Balance zwischen kommerzieller Realität, Ansprüchen und unseren Prinzipien bleibt aber auch bei uns die grosse Herausforderungen und ist nur lebbar, weil wir ein attraktiver Arbeitgeber sind, den Leuten Sorgen tragen und entsprechend Talente anziehen.

Ist Sponsoring ein Thema?
Wir machen kein bezahltes Sponsoring, nein. Aber wir verschenken ab und an eine Tasche. Auch an Journalisten.

Interview: Andreas Panzeri

In Kürze

Die Brüder Daniel und Markus Freitag haben 1993 «für den Eigenbedarf» ihre ersten Taschen aus rezyklierten Lastwagenblachen genäht. Daraus ist inzwischen ein Kultlabel geworden mit Fans und Verkaufskanälen rund um den Globus. Seit Herbst 2014 ist Freitag auch im Mode-Business aktiv mit der Line-Extension F-abric Workpants. Diese sind zum Beispiel aus einem Broken Twill gefertigt, einem Gewebe aus Leinen und Hanf, das Freitag eigens für ihre Kleider entwickelt hat. Der Stoff ist vollständig kompostierbar

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Daniel und Markus Freitag posieren für eine Fotoreise durch ihre Werkstätten, zum Beispiel eine Weberei in Italien. Der Flachs für das neue Gewebe wird in der Normandie angepflanzt und verarbeitet.

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Insgesamt arbeiten 160 Leute für das Unternehmen Freitag. Die meisten davon in der Schweiz. Die Transportwege für das Material sind höchstens 2500 Kilometer. Das Foto zeigt Näherinnen im polnischen Stettin.
 

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