Vive la France!

«Cherchez la femme»: In Frankreich bleibt das Privatleben der Mächtigen der Schlüssel zum Verständnis der Politik. Von Jürg Altwegg, Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in Genf

Mitten im Sommerloch, das Festival von Avignon war gerade zu Ende gegangen, befasste sich «Le Monde» mit der schlechten Bilanz der französischen Kulturministerin Aurélie Filippetti. Die Qualitätszeitung tat es auf eher perfide Art: Sie beschrieb die Ministerin als politischen Wendehals, der sich von einer Grünen zur Roten gemausert habe. Mit Ségolène Royal und Dominique Strauss-Kahn habe sie es gehalten. Und nach dessen Verhaftung in New York zum Genossen François Hollande gewechselt. «Um sich jetzt Arnaud Montebourg in die Arme zu werfen.» Dass das sehr wörtlich gemeint war, hat kein Durchschnittsleser des «Monde» ahnen können.

Ein paar Wochen später trat Minister Montebourg aus der Regierung zurück, aus ideologischen Gründen. Mit ihm nahm völlig überraschend Filippetti ihren Hut. Sie hatte noch im Frühling bei der Regierungsumbildung ebenso hartnäckig wie erfolgreich um ihr Portefeuille gekämpft und die Sparpolitik in der Kultur verteidigt. Jetzt war alles plötzlich ganz anders: Hollande hatte seine und ihre Ideale verraten, und das schrieb sie in einem offenen Brief in «Le Monde». Nur Insider konnten sich einen Reim auf ihr Verhalten machen.

Vage erinnerten wir uns der anzüglichen Anspielung im seriösen Weltblatt. Die Wahrheit über den enigmatischen Rücktritt verkündete schliesslich die Illustrierte «Paris Match» drei Wochen später: Filippetti und Montebourg sind ein Liebespaar. Als letzte Partnerin hatte Montebourg zuvor die prominente TV-Journalistin Audrey Pulvar der Öffentlichkeit präsentiert. Und die Kulturministerin vor einem Jahr in einem Anflug von Machtmissbrauch beim Verleger Antoine Gallimard versucht, den Schlüsselund Ehebruchroman «Moments d’un couple» der Schauspielerin Nelly Alard zu verbieten. Alard schrieb aus der Perspektive der betrogenen Gattin. Gallimard hatte zuvor bereits Filippettis Roman über die gleiche Affäre – aus der Sicht der Geliebten – veröffentlicht.

Nur dank den Sexaffären von Dominique Strauss- Kahn konnte François Hollande Staatspräsident werden. Alles sollte besser und der Inzest von Medienfrauen und Machtmännern beendet worden. Mit seiner Freundin Valérie Trierweiler zog Hollande ins Elysée. Im Januar berichtete das Klatschmagazin «Closer» von Hollandes Liaison mit der Schauspielerin Julie Gayet. Trierweiler rächte sich mit einem Buch, es ist der Bestseller des Jahres.

Frankreich schützt die Privatsphäre wie kein anderes Land – es hagelt Prozesse und Verurteilungen. Das ist gut und hat viele negative Folgen, die Debatten darüber laufen seit DSK. Über sein Verhalten waren alle Journalisten informiert. Nur dem gemeinen Volk der Leser wurde nichts gesagt. Die Zeitungen gelobten seither weniger Zurückhaltung.

Die Dialektik von Qualitätspresse und Klatschmagazinen – wie im Fall Filippetti – wird weiter praktiziert. Aber die Medien sind weniger zurückhaltend. Der Nachrichtensender France Info hat eine People-Rubrik eingerichtet und berichtete – natürlich aus zweiter Hand – über die neue Frau an der Seite von Pierre Moscovici. Sie ist dreissig Jahre jünger und war im Ministerium seine Angestellte. Vor Jahresfrist präsentierte Moscovici eine Studentin als Geliebte. Im berühmten Pariser Café de Flors liess sich er sich dieser Tage beim Turteln fotografieren. Auch Politiker haben Anrecht auf ein Privatleben – durchaus nach ihren Vorstellungen – und seinen Schutz. Dass aber der von Hollande designierte, von den Deutschen wegen der französischen Defizitwirtschaft abgelehnte EU-Kommissar praktisch gleichzeitig beim offensichtlich unvorbereiteten Hearing vor dem Europa-Parlament versagte, ist in diesem Zusammenhang nicht ganz unbedeutend. Es macht zumindest einen schlechten Eindruck.

Auch um Hollande muss man sich nur politische Sorgen machen. «Closer» meldet gerade, dass seine Affäre weiter blüht: Praktisch jeden Abend kommt Julie Gayet ins Elysée. Im Übrigen führen die gefährlichen Liebschaften der Politiker auch gar nicht nur zur Rücktritten. Manchmal ermöglichen sie ein überraschendes Comeback. Und Familienzusammenführungen.

Trierweilers Vertreibung aus dem Elysée hat die Rückkehr von Ségolène Royal, der Mutter von Hollandes vier Kindern, die ihn nicht mehr sehen wollten, in die Regierung ermöglicht.
 

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