Der Mörder ist immer der Kunde

Können die Techniken eines Criminal Profilers auch zum Aufspüren des unbekannten Kunden führen? Die Corporate-Branding-Agentur Heads ist bereits dabei, das Vorgehen der Kriminaltechnologie für das «Überführen » der Kunden zu nutzen.

Eine Unternehmensmarke lässt sich – ähnlich wie Menschen – anhand charakteristischer Eigenschaften und Merkmale am besten erfassen. «Brand Profiler» nennt sich das Strategieinstrument, nach welchem die Zürcher Agentur Heads Corporate Branding ihre «Spurensicherung» bei der Suche nach dem wahren Markenkern betreibt. Dazu machen sich die Marketingspezialisten die Denkhaltung und Methoden der Kriminalpsychologen zunutze. Um die wahre Persönlichkeit einer Marke zu erfassen, befragt Heads nicht nur interne und externe «Zeugen am unternehmerischen Tatort», sondern ergründet auch Verhaltensmotive aller Bezugsgruppen. «Diese werden auf die rationale und emotionale Relevanz im Marktumfeld geprüft», wie Heads-Geschäftsführer Ralph Hermann erklärt.

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Lernen vom Profi

Im Rahmen der Fachreihe Perikom Good Practice an der Hochschule für Wirtschaft Zürich hat Heads letzte Woche ihre Ideen rund um Brand Profiling einem interessierten Publikum vorgestellt. Der Titel des gut besuchten Events: «Markenführung wird zum Krimi.» Dabei hat der europaweit führende Kriminalpsychologe Thomas Müller aus Wien Einblick in sein Denken gegeben. Der Fallanalytiker mit FBIProfiler- Ausbildung konnte tatsächlich den Verdacht erhärten, dass Marken und Kunden bei einer entsprechenden Denkhaltung mit kriminalistischem Profiling viel gemeinsam haben.

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«Es ist nicht entscheidend, was jemand sagt, sondern was er tut», war eine der Kernaussagen von Müller. In der Werbung würde naturgemäss vieles schöner dargestellt, als es in Wirklichkeit ist. «Aber eines Tages kommt die Wahrheit auf den Tisch.» Müller weiss aus seinem Job: «Wenn jemand eine Entscheidung trifft, die für ihn wichtig ist, dann lügt er in diesem Moment nicht.» Entsprechend wird auch ein Kauf am POS aus der Sicht des Kunden kaum entscheidend auf Argumentationen aus einem Lügengebilde aufbauen.

Das Geheimnis des Kunden

Weil alle Menschen verschiedene Bedürfnisse haben, wenn sie sich für etwas entscheiden, gilt es im Weiteren, ein echtes Bedürfnisse für ein Produkt noch vor dem Werben richtig definieren zu können. «Als Profiler kenne ich einen Täter gar nicht. Ich kann nur sein Verhalten analysieren und schauen, wo er welche Entscheidungen fällt», meinte Müller und zog den Vergleich, dass ein für den Anbieter noch unbekannter Kunde genau so erforscht werden kann, wie ein Profiler den Charakter und die Absichten eines noch unbekannten Mörders immer enger einkreisen muss.

Sowohl für Mörder wie Kunden gilt dabei: Menschliches Verhalten ist bedürfnisorientiert. Das bedeutet für ein profiliertes Marketing: Ich muss unbedingt die jeweiligen Bedürfnisse meiner Kunden rekonstruieren können. Und zwar bei jedem Schritt ihrer «Tat» – vom Lesen der ersten Printanzeigen über den Weg zum «Tatort» bis zum «Zuschlagen » am POS.

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Thomas Müller ist einer breiten Öffentlichkeit durch seine spektakulären Analysen von Serienkillern bekannt. Er wirkte zuerst als uniformierter Polizist in Innsbruck. Nebenbei studierte Müller Psychologie. 1993 begann er im Innenministerium in Österreich den Kriminalpsychologischen Dienst aufzubauen. Mit seiner Weiterbildung beim FBI ist er heute ein gefragter Dozent in aller Welt zum Thema Profiling sowie erfolgreicher Buchautor.

Das Profil der Marke

Im umgekehrten Fall, also für die Profilierung einer Marke, rät der Profiler, dass eine Firma in jedem Fall auch den Weg zurück an die Wurzeln noch einmal gehen soll. «Was war die Ursache, dass es dieses Produkt überhaupt je einmal gegeben hat?» Ist dieses ursprüngliche Bedürfnis erkannt, kann es an heutige Zeiten angepasst und mit einem Rebranding entsprechend neu beworben werden.

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Und wenn der Kunde sich anschickt, den «Tatort» zu verlassen, ohne etwas gekauft zu haben? Hier könnte sich auch der «Colombo» im Marketingchef noch einmal umdrehen und fragen: «Was kann ein unzufriedener Kunde über meine Firma und ihre Produkte aussagen?» Das Verhalten von allen Beteiligten kann gemäss Profiler als eine zusätzliche Informationsquelle gesehen werden. «Auch das Verhalten von abgewiesenen Kunden.»

Begleitend zu den Berufseinsichten von Thomas Müller zeigte Heads anhand von Praxisbeispielen, wie die Agentur bereits Vorgehensweisen der Kriminalpsychologen nutzt, um an verblüffende Erkenntnisse über die Einzigartigkeit einer Markenpersönlichkeit zu gelangen. Branding als Spurensuche. Für Heads deuten «alle Zeichen» darauf hin, dass wir in der Markenführung «vor einem gewichtigen Paradigmenwechsel stehen». Nicht mehr die Konsumenten sollen sich in unsere Marken verlieben, sondern die Marken sollen ihre Konsumenten lieben. «Schluss mit Lovebrands?», heisst dabei die ketzerische Frage. Marken werden somit als «Beziehungsangebote » verstanden. Die Marken werden vermenschlicht und die Interaktion von Mensch und Marke Grundprinzipien menschlicher Beziehungen gleichgesetzt. Und wo es Beziehungen gibt, gibt es auch Beziehungsprobleme – womit wir dann wieder bei der Aufklärungsarbeit des «Criminal Profilers» gelandet wären.

Andreas Panzeri
 

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