Aufgespiesst: Ignorier! Mich! Nicht!

Werbewoche-RedaktorinAnne-Friederike Heinrich über Ignoranz und Leidensfähigkeit.

Wer Kinder hat, weiss, was Ignoranzfähigkeit ist. Ein sperriges Wort für eine lästige Sache: Man sagt etwas, und es ist, als wäre man gar nicht da. Da rein, da raus. Diese Eigenschaft ist derzeit besonders bei unserem knapp Dreijährigen ausgeprägt. Tatort Esstisch: «Bitte iss anständig» – und der Joghurt klatscht aus dem weit geöffneten Mund auf die Sonntagshose, garniert mit einem frechen Grinsen. Oder Tatort Spielplatz: «Warte, nicht so schnell den Abhang hinunteeeeeeeeeeer …!» – und schon ist er weg und Mutti hustet in der zurückbleibenden Staubwolke. Was für ein Glück habe ich doch mit unserem erst sieben Monate alten Sohn! Er interessiert sich zwar auch nicht für meine Wünsche und antwortet höchstens «glglglglgl», aber wenigstens kann er noch nicht vor mir davonlaufen.

Was in frühester Kindheit beginnt, zieht sich offenbar später weiter: Kinder, die von ihren Eltern auf dem Handy angerufen werden, stellen oft einfach auf Durchzug und nehmen die Anrufe nicht an. Rückruf? Wie geht das?

Ehrlich: Ich wäre früher wahrscheinlich auch nicht rangegangen, wenn meine Eltern angerufen hätten. Aber ich hatte zum Glück als Kind noch kein Handy. Genau wie unsere Eltern waren wir damals nicht immer erreichbar. Und damit war vor 35 Jahren nicht nur Erwachsensein, sondern auch Kindsein ein wenig einfacher und unbeschwerter. Stellen Sie sich das mal vor: Man hat beim Versteckspiel gerade das perfekte Versteck gefunden, hält den Atem an, damit man nicht entlarvt wird – und dann ruft Mami an. Toll! Oder noch schlimmer: Man liegt dem tollsten Jungen der Klasse in den Armen – und Papa will wissen, was man gerade macht. Desaster!

Unterschätze nie deine Mutter

Heute aber hat man einfach auf Empfang zu sein. Auch als Zwerg. Auch als Teenager. Auch wenn man es gar nicht will. Das fand auch die Mutter von Bradley Standifirds. Genervt davon, dass ihr Zögling weder auf Anrufe noch auf SMS reagierte, programmierte sie kurzerhand eine Android-App, die Kinder definitiv dazu bringt, ranzugehen oder schnell zurückzurufen, wenn Mama oder Papa nach ihnen verlangen. Denn «Ignore no more» sperrt nach kurzer Zeit das Handy, wenn Anrufe oder SMS ignoriert werden. Spiele, SMS verschicken, surfen, telefonieren – nichts geht dann mehr. Nur der Notruf und von den Eltern ausgewählte Kontakte funktionieren noch. Und das Passwort zum Entsperren des Handys haben natürlich die Altvorderen. Echt fies. Und echt wirksam.

Crash, boom, bang

Ich könnte mir noch mehr praktische Anwendungen für eine solchen App vorstellen: Zum Beispiel, wenn man als Journi versucht, einen bestimmten Gesprächspartner zu erreichen. Und der geht immer nicht ran. Oder wenn man vergeblich auf eine Antwort des Ehemanns im Ausgang wartet. Und auch die umgekehrte Richtung fehlt noch: Wenn der Chef am freien Tag schon viermal angerufen hat, wenn der Ex einen nicht in Ruhe lässt, eine Freundin nicht kapiert, dass man nicht mehr ihre Freundin ist, oder der Versicherungsheini hartnäckig an den Nerven sägt. Wäre doch toll, wenn man mit einer kleinen Implosion auf Knopfdruck das anrufende Handy oder Telefon einfach sprengen könnte. Oder aber: Wir sind ab sofort nicht mehr immer erreichbar, werden nicht für jeden Killefitz bemüht und gehen dafür wieder ran, wenn das Telefon wegen etwas wirklich Wichtigem klingelt. Denken Sie mal drüber nach. 

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