Die Underdogs der Medienwelt (II)

Die Medienbranche besteht nicht nur aus CEOs, Verlags-Managern, Chefredaktoren, Redaktoren und Journalisten. Von all den anderen soll hier die Rede sein. Von Karl Lüönd ist freier Publizist und Buchautor

Wahrscheinlich wird nie ein Buch draus, aber eine kleine, gegen den Strich gebürstete Serie in der Werbewoche darf’s schon werden: mein Überblick über die Unterhunde und Grottenolme der Medienwelt, jene Menschen, die zwar unentbehrlich sind, die aber schlechter behandelt und bezahlt werden, als sie es verdienen. Ältere Leserinnen erinnern sich an die Zeitungsverträger, welche die staatseigene Post nach wie vor lausig bezahlt und denen bis jetzt auch die Gewerkschaft bei Weitem nicht zu einem anständigen Mindestlohn hat verhelfen können.

Lasst uns heute von einem anderen Schattengewächs reden, von dem nur selten die Rede ist: dem Übersetzer. Unter ihnen gibt es stille Stars. Einen kenne ich, der sitzt in einem gemütlichen Haus am Hallwilersee und übersetzt Gebrauchstexte und Sachbücher – nicht einfach Deutsch-Englisch; er kann vielmehr umschalten zwischen englischem, amerikanischem und globalisiertem Englisch, er beherrscht die Business-Codes vieler Branchen und muss nicht zurückfragen, wenn im deutschen Text von «Landsgemeinde» oder «Alpaufzug» die Rede ist. Jeder Autor ist bei einem solchen Übersetzer in guten Händen. Bezahlt wird er – denn es handelt sich um Aufträge aus dem Corporate-Publishing-Bereich – anständig, aber nicht sensationell: etwa 3 Franken pro Zeile, das macht etwa 90 Franken für eine Manuskriptseite, Googeln, Recherchieren, Rückfragen und ungezählte Änderungen inbegriffen.

Von solchen Ansätzen können literarische Übersetzer nur träumen. Einen kenne ich, der war früher Kulturredaktor beim Tagi mit einer grossen und unheilbaren Liebe zur hispanischen Welt und deren Literatur. Vor bald dreissig Jahren beschloss er, seine Neigung zum Beruf zu machen. Seither ist Peter Schwaar, so heisst er, in der deutschsprachigen Verlagswelt die Top-Adresse für Übertragungen aus dem Spanischen. Er hat etwa ein Dutzend Bücher des grossartigen Eduardo Mendoza übersetzt, darunter mit La cuidad de los prodigios («Die Stadt der Wunder») ein grandioses und zugleich unterhaltsames Meisterwerk, so etwas wie eine sinnenfreudige Barcelona-Version von James Joyce’s Ulysses. Diese Übersetzung war Schwaars Durchbruch; seither vertrauen ihm spanische Literaturgrössen wie Carlos Ruiz Zafon, Tomas Eloy Mártinez und andere ihre Werke an. Über fünfzig Bücher hat Schwaar übersetzt, die Stadt Zürich und die Spanische Botschaft in Deutschland haben ihn mit Ehrenpreisen ausgezeichnet.

Schwaar lebt in seiner Sprachwelt, in Gràcia, dem schönsten Quartier von Barcelona, und übersetzt mit der Disziplin eines alten Soldaten. Sein absolutes Musikgehör für die vom Autor mit dem Mittel der Sprache erzeugte Melodie und für die Stimmung der Szenerie, seine perfekten Sprachkenntnisse, seine Sorgfalt und unnachgiebige Detailtreue vergelten die deutschsprachigen Literaturverlage mit den grossen Namen derzeit mit 18 bis 22 Euro pro Manuskriptseite. Jede Putzfrau würde den daraus resultierenden Stundenlohn empört zurückweisen. Manche Rumänen und Bulgaren werden aber mit 2 bis 3 Euro pro Seite abgespeist.

Nur mit Müh’ und Not haben die Übersetzer in den letzten Jahren durchgesetzt, dass auch sie an den Einspielergebnissen beteiligt werden, d.h. eine bescheidene, auflagenabhängige Tantieme und einen Anteil an den Nebenrechtserlösen erhalten. Im Übrigen werden Übersetzer nach wie vor behandelt wie die stummen Diener an den Eingängen der Herrschaftshäuser, diese geschnitzten Mohren, die als Schirmständer oder Hutablagen dienen: praktisch zwar, unentbehrlich vielleicht, aber am Ende des Tages dann doch nicht wirkliche Hausgenossen.

Übersetzer sind Brückenbauer zwischen den Kulturen, Scouts in fremden Welten, Reiseführer im Neuland. Beispiele der Wertschätzung für diese Kultur- und Medienarbeiter sind selten. Umso bemerkenswerter ist das Übersetzerhaus in Wernetshausen (Zürcher Oberland), das seit 2005 Übersetzern aus allen erdenklichen Sprachgebieten günstige Arbeitsmöglichkeiten und einen idealen Wohnplatz anbietet (www.looren.net). Das Haus hat dem Verleger Albert Züst gehört; seine Nachkommen haben es dem guten kulturellen Zweck zur Verfügung gestellt, ohne ins Rampenlicht zu treten. Hier sind inzwischen viele Werke entstanden, Ideen und Kontakte ausgetauscht worden, ohne das eitle Gekreische des Medienbetriebs. Dank dieses Hauses und seiner Benützer ist zum Beispiel der grossartige Text «De Goalie bin ig» von Pedro Lenz ins Glaswegian übersetzt worden, den schottischen Dialekt der Stadt Glasgow. Ob so etwas wichtig ist, ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass so etwas möglich ist.
 

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