Werbung wird Kunst

Das Landesmuseum in Zürich zeigt die Ausstellung «Gut zum Druck. Kunst und Werbung bei Wolfensberger». Die Objekte stammen aus dem Bestand der Druckerei J. E. Wolfensberger. Kurator Felix Graf erklärt die Hintergründe dieser Schenkung.  

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WW: Wie ist es zur Ausstellung «Gut zum Druck: Kunst und Werbung» gekommen?

Felix Graf: Auslöser für die Ausstellung war eine Schenkung der Familie Wolfensberger an das Schweizerische Nationalmuseum. Die Schenkung vermittelt hat uns die Swiss Graphic Design Foundation. Ein Vorstandsmitglied dieser Foundation ist Ruedi Külling, der frühere CD und Mitinhaber von Advico. Er hat als Designer zum Beispiel Cementit gestaltet, das berühmte Plakat für Bic-Kugelschreiber sowie die Sinalco-Kampagne und vieles mehr. Ruedi Külling hat in seiner Epoche viel in der Offset- Druckerei bei Wolfensberger drucken lassen. Daraus hat sich eine familiäre Beziehung und Freundschaft entwickelt. Külling ist im Wolfsberg sogar als «Samichlaus » aufgetreten bei den kleinen Wölfen Benni und Thomi. Das haben die beiden Urenkel des Firmengründers und heutigen Geschäftsführer der Druckereien in Zürich und Birmensdorf erst beim Interview erfahren, das ich mit ihnen und Ruedi Külling zusammen machte für die Begleitpublikation zur Ausstellung. Nun, bei all diesen «Erbteilungen » im Hause Wolfensberger – da waren über die Generationen hinweg viele Kinder – sind immer wieder Originalgrafiken und Bilder in andere Hände geraten. Schliesslich hat die Familie auch ihren Wolfsberg verkauft, um mit dem neuen Kapital die Druckereien an einem geeigneteren Standort weiterführen zu können. Als Benni und Thomi Wolfensberger realisierten, dass immer weniger der Dokumente aus der Geschichte der Druckerei übrig blieben, hatten die beiden die Idee: Es wäre gut, wenn eine dafür geeignete Institution den wertvollen Bestand übernehmen könnte.
 
Wie gross ist diese Sammlung Wolfensberger?
Dieser Bestand ist immer noch relativ gross, rund 400 Blätter jeder Art, Reklame-Märkli, Plakate, Broschüren, Bücher, Archivalien, Verträge, ganz tolle historische Fotografien. Zum Beispiel ein Foto des Lithographen Oscar Haag, der gerade Hodlers Tell auf den Stein überträgt. Damit wollte Wolfensberger 1938 das Landi-Plakat machen. Aber die Jury hat abgelehnt, und so hat Alois Carigiet schliesslich das Landi-Plakat gestaltet. Es wurde aber auch bei Wolfensberger gedruckt. Das Foto mit dem seitenverkehrten Tell auf dem Stein kannte die Hodler-Forschung zum Beispiel noch nicht. Und in dieser Qualität ist noch viel mehr Material in der Schenkung vorhanden.
 
Was haben Sie für die Ausstellung übernommen?
Ich habe mal alles inventarisiert und mich dabei mit Ruedi Külling beraten. Er hatte dann die Idee, daraus eine Ausstellung zu machen. Und weil ich Kurator bin für Druckgrafik und mediengeschichtlich sehr interessiert, hat mich das natürlich sofort interessiert. Dann konnte ich auch unseren Direktor Andreas Spillmann für das Projekt begeistern. Eine Druckerei mit einer über 100 Jahre alten Geschichte, die heute immer noch im Geschäft ist, das muss uns eine Ausstellung wert sein.
 
Nach welchem Konzept stellen Sie aus?
Eine erste Ideenskizze ist zusammen mit der Swiss Graphic Design Foundation entstanden. Deren Präsident, Christian Jaquet, Vorstandsmitglied Ruedi Külling und ich haben das Konzept grob entworfen, dann habe ich übernommen. Ich bin nicht nur Kurator für Druckgrafik, sondern auch Kulturhistoriker. Politische Geschichte und Mediengeschichte interessieren mich, gleichermassen Mentalitätsgeschichte und natürlich Kunstgeschichte. Aus dieser Optik heraus haben wir die Ausstellung aufgebaut, und so hat auch der Künstler Otto Dix, der im Wolfsberg ausstellte und druckte, ein grosses Gewicht bekommen – und auch General Wille ist mit einem Foto präsent. Wir sind das historische Museum der Schweiz und weniger spezialisiert als andere. Wir gehen sozusagen aufs Ganze. Das Konzept ist somit eine Zeitreise durch Bilderwelten aus Werbung und Kunst, die mehrheitlich auf der Steindruck-Schnellpresse mit Baujahr 1905 in der grafischen Anstalt J. E. Wolfensberger gedruckt wurden. Historisch passieren wir auch den Moment, wo der Steindruck durch den Offsetdruck abgelöst wurde.
 
Wie haben Sie die vielen Anekdoten eingebaut?
Das kommt bei den Führungen zum Spielen. Das kann man nicht alles auf Tafeln schreiben. Wir haben aber eine Begleitpublikation in Form von Essays produziert. Wo wir wirklich Neuland betreten haben und eigene Forschungsergebnisse vorlegen können, wollen wir diese in der Weihnachtsnummer der Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte publizieren, unserer Hauszeitschrift. Und ich würde ganz gerne am Tag der Finissage die ganze Ausstellung integral ins Netz stellen, als erste elektronische Ausstellung des Landesmuseums. Aber natürlich nicht parallel zur Ausstellung, sondern nach der Ausstellung. Damit man sie dann von der ganzen Welt aus anschauen kann. Wir haben das noch nie gemacht. Ich bin begeistert von dieser Idee, weil wir damit das Thema erweitern könnten. Wenn wir neue Objekte bekommen, können wir die Ausstellung im Netz ergänzen. Wir können auch einen Link machen auf unseren elektronischen Objektkatalog. Das wäre dann etwas zwischen elektronischem Ausstellungskatalog und Teilbestandeskatalog, also eigentlich eine neue Gattung von Museumspublikation.
 
Es gibt die ZB, die Plakatsammlung des Kunstgewerbemuseums und die Plakate im Landesmuseum. Wir sind eigentlich die Kompetenzen verteilt?
Da gibt es gar keine Rollenverteilung. Das Museum für Gestaltung hat eine Plakatsammlung und sammelt Plakate. In der Sammlung finden sich gegen 300 000 Plakate. Wir haben ungefähr 400 Plakate im Weltformat in der Sammlung, die wir jetzt zusammen mit der Swiss Grafic Design Foundation weiter ausbauen bis auf vielleicht 1200. Bei uns ist es ein expositorisches Sammeln. Also nicht auf Vollständigkeit bedacht zum Beispiel nach Grafiker, Produkt oder Jahrzehnt, sondern im Hinblick auf unsere Ausstellungen.
 
Nach welchen Kriterien sammelt das Landesmuseum Plakate?
Unser Sammeln dient der Ergänzung unserer dreidimensionalen Bestände. Es ist wichtig, dass wir zu Objekten, die wir ausstellen, die eventuell vorhandene Werbung und ein Plakat zeigen können. Die Schweizer Gebrauchsgrafik des 20. Jahrhunderts geniesst einen internationalen Ruf, das gehört zu unserem kulturellen Erbe. Ich meine: Wir müssen für jedes Jahrzehnt etwa zwei gute Tourismus-Plakate haben. Und wir wollen das Original zeigen, den Zeitzeugen, der den Geist der Zeit atmet, der ins Papier eingedrungen ist. Ein Kriterium ist auch das Schwellenprodukt. Wenn etwas Wichtiges das erste Mal seriell produziert wird: der erste Schnallenskischuh Henke, das erste Sonnenschutzmittel Hamol, der erste Billig-Kugelschreiber Bic, das erste Natel oder Snowboard – solche Dinge sammeln wir aus dem Bereich Alltag, Konsum, Industriegesellschaft, Freizeitgesellschaft. Und wenn es dazu Werbedrucksachen gibt, unter anderem Plakate, dann nehmen wir die natürlich als Ergänzung.
 
Wann wird eine Werbegrafik zur Kunst?
Ich würde sagen: In dem Moment, wo eine gute Werbedrucksache als Wandschmuck taugt, wenn sie aufgehängt wird, wenn der Funktionswandel stattfindet und funktioniert. Das lässt sich ja nicht programmieren. Das passiert einfach. Und dann ist die Werbegrafik mit grösster Wahrscheinlichkeit auch gute Kunst. Ein Beispiel ist auch das Landi-Bild von Hans Erni. Es zeigt 100 Meter lang und 4 Meter hoch auf mehr als 140 Tafeln die Schweiz als Ferienland der Völker. Wir haben das Objekt vor Jahren aus einem Schuppen übernehmen können. Dieses Wandbild ist Kunst, Selbstdarstellung der Schweiz und politische Werbung im Sinne von Selbstbestärkung im Jahr 1939. Unsere Hodler-Fresken sind natürlich auch politische Werbung. Dann haben wir Ölbilder von grossen Künstlern in der Ausstellung von Otto Dix, von Adolf Dietrich, Cuno Amiet. Diese haben nicht eigentlich Werbegrafik gemacht, aber sie schufen Plakate für ihre Ausstellungen. Diese haben die Künstler dann selber bei Wolfensberger auf den Stein übertragen. Diese «Werbeplakate» sind nummeriert und signiert und haben einen Handelswert.
 
Interview: Andreas Panzeri

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Vom Steindruck zum Offset

Hintergründe zur soeben eröffneten Ausstellung «Gut zum Druck. Kunst und Werbung bei Wolfensberger» im Zürcher Landesmuseum.
 
Die Ausstellung «Gut zum Druck» im Landesmuseum spiegelt eine Zeitreise durch die Bilderwelten aus Werbung und Kunst. Alle erstmals in einer solchen Komplexität gezeigten Exponate sind bei J. E. Wolfensberger gedruckt worden. Im Jahre 1902 ist das Unternehmen von Johann Edwin Wolfensberger (1873–1944) in Zürich gegründet worden. Der Patron setzte im grafischen Gewerbe neue Massstäbe und gab der modernen Schweizer Kunst eine frische Plattform. 1911 zügelte der gelernte Steindrucker in einen imposanten Jugendstilbau an der Bederstrasse 109 in Zürich und vereinte dort Geschäfts- und Wohnräume, Druckerei, Steindruckatelier und Kunstgalerie unter einem Dach. In- und ausländische Künstler, unter ihnen Ferdinand Hodler, Cuno Amiet und Oskar Kokoschka, entwerfen die Plakate zu ihren Ausstellungen im Wolfsberg gleich selber direkt auf den Stein. Otto Baumberger, Emil Cardinaux und Burkhard Mangold und andere Pioniere der Schweizer Werbegrafik gehören zu den Mitarbeitern der erste Stunde. 1956 beginnt Wolfensberger mit dem Offsetdruck. 1985 wird ein Teil der Produktion in ein neu dazugekauftes Haus in Birmensdorf verlagert. Dieser zweite Standort wird sukzessive ausgebaut, bis schliesslich 2006 die Firma komplett nach Birmensdorf verlagert wird. Hier bietet das Unternehmen heute sämtliche Dienstleistungen der «schwarzen Kunst» bis zum Digitaldruck. Nur der Steindruck findet ein neues Domizil an der Eglistrasse in Zürich West. Noch heute wird dieses Kunsthandwerk vom Familienunternehmen Wolfensberger gepflegt. Ihre Steindruckerei geniesst dabei einen hervorragenden Ruf unter den nur noch 30 Anbietern, die heute weltweit nach wie vor aktiv sind. Das Pflegen dieser Tradition wird von Thomi Wolfensberger geleitet. Benni Wolfensberger ist verantwortlich für die Offsetdruckerei in Birmensdorf. Die beiden Brüder sind Urenkel des Firmengründers.

 
Alles, was Rang und Namen hat

Der Zwölffarbendruck mit den Lithosteinen und Zustandsdrucken dient als wichtigstes Exponat der Ausstellung im Landesmuseum. Während der bei Wolfensberger bis in die 1950er-Jahre dauernden Ära des Steindrucks zählte das Unternehmen rund 30 Mitarbeiter. Dazu zählten Grafiker, Handlithografen, Andrucker, Maschinenmeister sowie zahlreiche Hilfsdrucker und Steinschleifer. Die Grenze zwischen Reproduktionsgrafik und Künstlerlithografie ist im «Wolfsberg» während der ersten Jahrzehnte fliessend. Der im gleichen Gebäude an der Bederstrasse untergebrachte «Kunstsalon» gilt als die erste private Schweizer Galerie für moderne Kunst. Bis in die 1920er-Jahre fanden hier jährlich zwölf Ausstellungen statt – mit eigenem Plakat und Broschüre. Im ersten 1927 gedruckten Verkaufskatalog der Firma werden sowohl Künstlerlithografien wie Kunstreproduktionen angeboten. Auch davon finden sich einmalige Dokumentationen und Fotos in der Ausstellung «Gut zum Druck». Später haben berühmte Künstler wie Otto Dix, Hans Sturzenegger oder Cuno Amiet ihren Galeristen porträtiert. Die Werbung in eigener Sache galt als die wichtigste «Visitenkarte » des Unternehmens.
 
Andreas Panzeri.

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