Pusula: Mit dem Kompass auf Kurs

Turgut Karaboyun, Chefredaktor, und Mine Bardakci, Redaktorin, erklären im Gespräch mit Werbewoche-Chefredaktor Pierre C. Meier das Konzept einer neuen Zeitung, die in vier Sprachen mit Informationen über die Schweiz vor allem die Integration fördern will.

Unbenannt-13_5

WW: Wie kam es zur Idee von Pusula?
Turgut Karaboyun: Die ursprüngliche Idee einer Zeitung für die türkische Bevölkerung der Schweiz ist von mir. Seit 2007 erscheinen wir monatlich in einer Auflage von 20 000 Exemplaren, die kostenlos an unsere Abonnenten verschickt werden.  
 
Wenn man Ihr Programm «Unser oberstes Ziel ist die Integrationsförderung und das Näherbringen des Heimatlandes Schweiz. Wir wollen die türkische Bevölkerung informieren (…) über Themen wie Recht Ordnung, Gesundheit, Ausbildung und die Schweizer Geschichte sowie Staatskunde und Politik» liest, tönt das sehr «amtlich». Glauben Sie, dass das Bedürfnis bei der Leserschaft da ist für solche Informationen.
TK: Da bin ich mir 100% sicher. Die ausländische Bevölkerung in der Schweiz kennt die aktuellen Themen und Diskussionen, was Gesetz und Politik betrifft in der Schweiz nicht so gut. Sie können im Normalfall zu wenig Deutsch, um eine Schweizer Zeitung zu lesen. Nehmen Sie zum Beispiel meine Landsleute, die Türken. Seit 15 Jahren lebe ich in der Schweiz. In den ersten 3 Jahren habe ich gemerkt, dass meine Landsleute die Schweiz fast nicht kennen. Wenn es Fragen zu aktuellen Problemen gibt, dann fragt ein türkischer Mann seinen Kollegen. Was der sagt, ist dann richtig. So läuft es immer. Darum habe ich gedacht, es wäre nicht schlecht, eine Zeitung in türkischer Sprache zu haben, die die Leute über Schweizer Themen informiert. Wir haben dann sehr rasch mit Fachleuten und Fachjournalisten zusammengearbeitet. Wir wollten die Schweiz der hier ansässigen türkischen Bevölkerung näherbringen. Die Informationen, die wir ihnen liefern, sind für sie sehr wichtig.
 
Wer ist der typische Leser von Pusula?
TK: 85% unserer Leser sind zwischen 14 und 39 Jahre alt. 39% sind in der Altersklasse 14 bis 29 Jahre zu finden. Die Leser zwischen 14 und 29 Jahren haben tendenziell ein grösseres Interesse an deutschsprachigen Nachrichten oder sie lesen sogar Schweizer Zeitungen. Einfach deshalb, weil sie die deutsche Sprache besser beherrschen als ihre Eltern. In Zukunft möchten wir deshalb einen grösseren Anteil an deutschen Artikeln in der Zeitung haben. Im Moment haben wir nur sehr kurze Zusammenfassungen, die ursprünglich einen anderen Zweck hatten.
 
Welchen?
TK: Anfänglich wurden uns immer die gleichen Fragen gestellt: Wer steht hinter der Zeitung? Ist es eine Moschee oder sogar eine politische Organisation? Wenn wir mit Schweizer Werbeagenturen oder Kunden Kontakt aufnahmen, hiess es immer: «Die Zeitung sieht gut aus, aber wer ist im Hintergrund? » Die Leute dachten immer, Pusula sei eine politische Zeitung, weil sie ja den Inhalt nicht lesen konnten. Ich habe dann zusammen mit der Redaktion nach einer Lösung gesucht. So kam es zu diesen kurzen Zusammenfassungen auf Deutsch. Seitdem kommen diese Fragen nicht mehr auf. Die Kunden haben gemerkt, dass wir weder politisch noch religiös gefärbt sind, wir sind neutral. Das ist für uns sehr wichtig. In der türkischen Gesellschaft gibt es sehr unterschiedliche religiöse oder politische Haltungen. Für uns war also immer klar, dass wir von unserer Haltung her in der Mitte bleiben müssen. Gewissermassen als Nebeneffekt haben wir dann festgestellt, dass die jungen Türken diese deutschen Zusammenfassungen lesen und schätzen.
 
Wie wollten Sie Pusula weiterentwickeln?
Mit der Zeit merkte ich, dass wir als Pusula sehr klein für den Schweizer Markt sind. Ich habe mir gedacht, wenn wir eine Zeitung für verschiedene ausländische Gruppen in der Schweiz machen könnten, würden wir den Schweizer Markt besser abdecken und hätten dann auch mehr Wirkung. Seit drei Jahren möchte ich das realisieren. Ab diesem Jahr haben wir einen neuen Investor. Jetzt können wir das machen. In zwei Monaten starten wir.
 
Sie haben jetzt einen neuen Eigentümer?
TK: Bis 2013 war ich Geschäftsführer in meiner eigenen Firma. Anfang Jahr hat sich die Santander Estate AG als Investor an unserer Firma beteiligt. Ich bin jetzt Chefredaktor bei dieser Firma und CEO der Mediensparte.
 
Die Santander Estate AG ist doch ein Unternehmen mit Beteiligungen an Sportlerlizenzen im Bereich Fussball?
TK: Ja das ist richtig. Die Santander Estate AG ist eine Investmentfirma. Sie fanden die Idee super, eine viersprachige Wochenzeitung für ethnische Gruppen zu machen. Sie meinten, sie könnten dieses Projekt realisieren.
Mine Bardakci: … und investieren somit jetzt auch im Medienbereich.
 
Wem gehört die Santander Estate AG?
TK: Die Santander Estate AG ist eine Beteiligungsgesellschaft und besteht aus mehreren Aktionären. Die Führung besteht aus Murad Emmioglu und Bahadir Candan.
 
Ab September wird also alles anders. Was heisst das für das Konzept?
TK: Die Zeitschrift erscheint neu wöchentlich im Tabloid-Format in vier verschiedenen Sprachen: Türkisch, Albanisch, Serbisch und Portugiesisch. Die Gesamtauflage beträgt insgesamt 100 000 Exemplare, 25 000 pro Sprache.
 
Wie erfolgt die Verteilung der Zeitung?
TK: Die Zeitschrift wird weiterhin kostenlos sein und persönlich adressiert per Post verschickt werden.
 
Woher haben Sie die Adressen?
TK: Wir kaufen Adressen und wir haben sehr gute Kontakte mit Vereinen und verschiedenen Stiftungen, die uns ihre Adressen zur Verfügung stellen.
 
Wie wird die Zeitung heissen?
TK: Pusula heisst auf Deutsch Kompass. Ursprünglich wollten wir den Namen für alle Ausgaben verwenden. Davon sind wir aber abgekommen und haben uns entschieden, den Namen zu übersetzen: Kompas für die serbische Ausgabe, Busull für die albanische und Bussola für die portugiesische.
 
Werden die Themen der einzelnen Ausgaben unterschiedlich sein?
TK: Wir möchten jede Woche einen Umfang von 32 Seiten fahren. Die ersten 20 Seiten werden von unserer zentralen Fachredaktion gemacht. Diese Nachrichten möchten wir in die anderen Sprachen übersetzen. Da geht es um die Schweiz, da sind die Themen für alle Ausländer-Gruppen die gleichen. Die restlichen zwölf Seiten werden von den Journalisten der einzelnen Sprachausgaben gemacht und in den Themen der jeweiligen Nationalität angepasst.
 
In der jetzigen türkischen Ausgabe sind die Themen voll auf die Schweiz bezogen. Kann man eine Zeitung für eine Ausländergruppe in der Schweiz machen und das Heimatland gewissermassen ausblenden?
TK: Im Moment haben wir uns im Sinne der Integration auf die Schweiz fokussiert. Das hatte für uns die erste Priorität. Wenn wir damit Erfolg haben, schauen wir, wie wir unser Projekt verbreitern können. Eine Möglichkeit ist die Auswahl der Nachrichten. Auch Informationen aus der Heimat sollen dann stattfinden. Aber etwas gibt es zu bedenken. Für jede dieser Ausländer-Gruppen gibt es schon verschiedene Zeitungen und Zeitschriften. Ob die wirklich eine Konkurrenz sind für uns, weiss ich noch nicht. Im Bereich Schweizer Nachrichten sicher nicht, bei den Nachrichten aus dem Heimatland sicher schon.
 
Die Zeitung wird viersprachig erscheinen. Wo wird übersetzt?
TK: Die portugiesische Übersetzung erfolgt in Portugal und Brasilien, Albanisch und Serbisch passieren in der Türkei.
 
Gibt es für die einzelnen Sprachen jeweils einen verantwortlichen Redaktor?
TK: Im Moment haben wir Kontakte mit verschiedenen Journalisten. Bis August müssen wir uns entschieden haben, wer für welche Sprache der verantwortliche Redaktor wird.
 
Je nach Ausländer-Gruppe gibt es wahrscheinlich unterschiedliche Informationsbedürfnisse. Werden sich vielleicht in Zukunft die vier Ausgaben auch im «Schweizer Teil» stärker unterscheiden?
MB: Wir beginnen jetzt mal mit Übersetzungen eines gemeinsamen Teils. Wir sind sehr offen für Rückmeldungen unserer Leser und auch der verantwortlichen Redaktoren. Wenn es ein Bedürfnis gibt, dass zum Beispiel der portugiesische Teil der Leserschaft an anderen Nachrichten über das Leben in der Schweiz interessiert ist, werden wir mit freien Journalisten über diese aktuellen Dinge berichten können. Es ist klar, wir müssen uns den Bedürfnissen der einzelnen ethnischen Gruppen anpassen. Mit der Zeit wird sich das einspielen.
TK: Die ersten sechs Monate sind für uns sehr wichtig. Wir sind gespannt, aber auch angewiesen auf die Rückmeldungen unserer Leserschaft.
 
 
Gibt es eine Zusammenarbeit mit den verschiedenen Integrationsstellen des Bundes oder der Gemeinden?
TK: In Zukunft müssen wir unbedingt mit den Integrationsämtern zusammenarbeiten, denn wir wollen unseren Lesern die besten Informationen und Nachrichten über die Schweiz geben.
 
Wurde das bis heute nicht gemacht?
TK: Heute haben wir bei der monatlichen türkischsprachigen Zeitung mit der Integrationsförderung Zürich zusammengearbeitet. Bei der geplanten wöchentlichen viersprachigen Zeitung sind die Bedürfnisse ganz anders. Die Zusammenarbeit sollte mit dem Bundesamt für Migration erfolgen. Wir müssen mit denen Kontakt aufnehmen. Bis jetzt ist das aber noch nicht geschehen.
 
Wo wird die Zeitung gedruckt?
TK: Seit drei Jahren arbeiten wir erfolgreich mit Ringier in Adligenswil zusammen. Das wird weiterhin so bleiben.
 
Wann starten Sie?
TK: Am 2. September werden wir im Briefkasten sein.
 
Wie viele Leute werden hier arbeiten?
TK: Diese Büros haben wir ganz neu gemietet. Platz hat es genug. Geplant sind 25– 30 Festangestellte.
 
Die Zielgruppen, die Sie ansprechen wollen, sind für die Werbung interessant. Wie sind die Reaktionen vom Werbemarkt?
TK: Im Moment haben wir sehr viele Kontakte mit Schweizer Kunden sowie Werbe- und Mediaagenturen. Es läuft sehr gut und wir erhalten viele sehr positive Rückmeldungen für unser Projekt.
 
Was kommt als Nächstes? Wie wichtig ist der Online-Bereich?
MB: Unsere neue Website ist in der Entwicklungsphase.
TK: Bis vor drei Monaten hatten wir ein richtiges Nachrichtenportal, in der jetzigen Umbauphase bieten wir nur die Zeitung als E‑Paper an. In Zukunft wird es wieder eine übliche News-Site einer Zeitung sein.
MB: Es wird eine Seite geben mit Nachrichten und redaktionellen Inhalten in verschiedenen Sprachen sowie unterschiedlichen Werbemöglichkeiten. Wenn die Site dann steht, werden wir auch auf den Social Media, d.h. Facebook und Twitter, aktiv werden. Für eine jüngere Zielgruppe gehört das einfach dazu.
 
Was ist noch geplant in Zukunft?
TK: Wenn wir mit der Zeitung erfolgreich sind, dann starten wir Fernsehen und Radio mit dem gleichen Konzept. Ich bin ja ursprünglich Radio-Journalist. Eine Ausweitung des Konzeptes interessiert mich also sehr. Am Anfang werden wir über das Internet empfangbar sein. Wenn wir erfolgreich sind, kriegen wir vielleicht mal eine Radiofrequenz (lacht). Geplant sind aber auch weitere Print- Ausgaben in anderen Sprachen. Wir denken hier an Tamilisch, evtl. auch an Englisch und Italienisch. Wir haben also noch sehr viel vor.
 
Planen Sie eine Einführungswerbung?
TK: Momentan geplant ist Plakatwerbung. Vielleicht in einer späteren Phase dann noch Radiowerbung.
 
Interview & Foto: Pierre C. Meier

Unbenannt-14_4
Die Titelbilder der vier Ausgaben: Türkisch, Albanisch, Portugiesisch und Albanisch.

Ein Artikel aus der aktuellen Printausgabe der Werbewoche.
 

Weitere Artikel zum Thema