Das Geheimnis des Weissen Winds oder Markenbildungs-Paradox

Früher hatten die Häuser keine Nummern, sie trugen Namen, und manche wurden zum Begriff, zur Marke: zur Ruh, zur Eintracht, zur Geduld. Von Karl Lüönd, freier Publizist und Buchautor.

In der Winterthurer Altstadt trägt fast jedes Haus einen solchen Namen. Und auch im benachbarten Zürich entwickeln Hausnamen kommunikative Kraft. Mein erklärter Liebling ist ein Name, der so poetisch ist, dass man ihn kaum zu erfinden wagte: der «Weisse Wind» (womit ein Windspiel gemeint ist, ein schneller Hund.) Wie bei jeder starken Marke verbinden sich mit dem Namen sofort bestimmte Vorstellungen, Eigenschaften, Produktvorteile, Werte.

Was beim Marlboro-Mann der «Duft von Freiheit und Abenteuer» ist und bei Milkas lila Kuh die Natürlichkeit reiner Alpenmilch, ist beim «Weissen Wind» zweierlei: die Bodenständigkeit einer grossen, volkstümlichen Wirtschaft mit enormen Bierkrügen und heimatlichen Spezialitäten in einer Umgebung von Kebab-Läden, Sushi- Bars, Thai- und Libanon-Beizen. Hausspezialitäten sind hier, erstens, Suure Mocke, Hörnli mit Ghacketem und Teufelsnudeln.

Zweitens ist der «Weisse Wind» die Startrampe für freie Bühnenkünstler jeglicher Sorte, eine zürcherische Version von Offoff- Location und nebenbei ein Beispiel privater, unsubventionierter Kulturförderung. Blues Max ist hier gestartet, das Cabaret Rotstift hat sich hier zuhause gefühlt, und derzeit probiert es der Innerschweizer Veri mit seinem ersten abendfüllenden Soloprogramm («ein kabarettistischer Leergang für artgerechte Entsorgung»). Mal sehen, was daraus wird.

Alle dürfen, keiner muss. Die neue Wirtin Susanne Bochsler, Tochter des Besitzers (des Schorsch, der in den 70er-Jahren die legendäre «Blick»-Beiz «zur Au» an der Utobrücke geführt hat), fördert die Künstler mit einfachen Regeln: Tages- oder Wochenmiete, Werbung und Vorverkauf sind Sache des Mieters. Die Schwelle ist niedrig, oft funktioniert es. Gaststätten, egal ob Wirtschaften, Beizen oder edle Restaurants, sind Inbegriffe lokaler Marken: Kronenhalle, Kropf, Della Casa, Galliker, Hasenburg, Bruune Mutz… Und die lokale Markenbildung schreitet voran, zunächst in den genussreichen Nachbarregionen des Beizenwesens.

Beim Bier ist es besonders auffällig: Heimat verkauft sich hier besser (oder jedenfalls lieber) als Konzern, wie das Ueli-Bier beweist, aber auch die Turbinen-Marke, das Stadtguet, das Quöllfrisch und viele andere. Dieter Bachmann hat in einem geradezu mustergültigen Marketing-Case die alte Traditionsmarke der Gottlieber Hüppen vitalisiert (www.gottlieber.ch). Was Elisabeth Wegeli mit einem Waffeleisen angefangen hat, ist heute unterwegs zu einer Erfolgsgeschichte ähnlich derjenigen des – ebenfalls lokal verorteten – Läckerli-Huus. Der Flagship- Store (in Winterthur, beim Bahnhof) steht schon. Intelligente Designer – gehen Sie zum Beispiel auf www.toesstaldesign.ch» – bauen kleine, attraktive und vergleichsweise sauteure Gegenwelten zu den gewaltigen Markenriesen, die ein Vermögen dafür ausgeben, in den Fussgängerzonen der namenlosen chinesischen Millionenstädte ebenso vorzukommen wie an der Bahnhofstrasse, die ja bald nur noch ein Laufsteg des internationalen Markenzirkus ist. Unterdessen holen sich die flinken Kleinen jene Individualisten ab, die nicht mit den gleichen Klamotten herumlaufen wollen wie Millionen andere.

Sympathische Marken können nicht nur Geschichten erzählen, sondern auch Werte vermitteln, Sicherheit zum Beispiel oder Heimatgefühl. Seit Jahren wirbt das Baugeschäft Spleiss in Zürich nicht, wie alle anderen, mit Referenzbauten oder dem Maschinenpark, sondern indem es sich als «Baumeister mit Herz und Verstand» darstellt. Volg feiert in den Agglo-Läden die Rückkehr zur verlorenen Dörflichkeit («Feins vom Dorf»).

Überhaupt die Grossverteiler: Sie fahren längst zweigleisig auf der Bio- und der Regionalspur. «Aus der Region – für die Region» verspricht Migros seit 1999. Coop lässt verlauten, dass man regionale Bio-Produkte sogar mit geringerer Marge anbiete. Und Manor berichtet stolz, dass sie jetzt unter dem Label «Lokal – das Beste aus guter Nachbarschaft» 15 490 zertifizierte Produkte von 545 lokalen Herstellern anbieten. Und auch hier sind die Kleinen auf den Socken. Das Internet ist ihr Treiber. Nachhaltigleben.ch ist eins von vielen Portalen, das den lokalen Marken den Weg in die Welt öffnet und deren Wettbewerbsfähigkeit stärkt.
 

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