Das Quoten-Debakel

Das Trauerspiel um die Fernsehnutzungsdaten geht weiter. Auf Geheiss des Verwaltungsrates darf Mediapulse vor dem Vorliegen des neuen Expertenberichts (anfangs April) keine Zahlen veröffentlichen. Diese gehen nur an Sender und Vermarkter. Die Werbewoche wollte wissen, wie die Media-Agenturen mit der Situation umgehen.

WW: Was meinen Sie ganz generell zum Debakel?

Brigitte Gubser, CEO ZenithOptimedia: Die ganze Situation ist höchst unerfreulich. Das Schlimme ist, dass es nicht so weit hätte kommen müssen. Bei solchen Grossprojekten kann schnell etwas schief gehen oder länger dauern als geplant, und wir halten es für sehr fahrlässig, dass kein Notfallplan existierte. Ein Parallelbetrieb des alten Panels wäre für eine Übergangszeit eine saubere Option gewesen, um in Ruhe die «Kinderkrankheiten» des neuen Systems zu beseitigen.

Axel Beckmann, CEO MediaCom: Jetzt sollten sich alle mal wieder beruhigen. Zum Thema ist ja wirklich alles gesagt – auch von Personen, die sich sonst (aus gutem Grund) nie äussern. Die Publicadata sowie die externen Prüfer müssen jetzt in Ruhe ihren Job machen können, damit es nicht zu weiteren Verzögerungen kommt. Das Wichtigste ist, dass wir Ende März valide Daten haben, die von allen akzeptiert werden.

Manfred Strobl, CEO OmnicomMediaGroup: Die erneut verzögerte Datenfreigabe ist für uns ein Desaster. Wir gehen davon aus, dass bis zur Freigabe Ende März/Anfang April ca. 450 bis 500 Millionen Franken TV-Werbedruck (Brutto) unkontrolliert im Markt platziert werden. Unsere Kunden haben mit ihren TV-Kampagnen anspruchsvolle Ziele. Ohne Kontrolle der Leistungswerte können wir nicht prüfen, ob die Ziele erreicht werden. Wir sind gespannt darauf, wie sich die Mediapulse zu diesem Thema äussern wird, wer die Verantwortung trägt und welche Konsequenzen daraus gezogen werden.

Monica Jäggi, Konnex: Dass die Einführung eines neuen TV-Messsystems nicht ohne Probleme vonstatten gehen würde, war absehbar. Dass die Probleme allerdings derart grosse Ausmasse annehmen, ist – gelinde ausgedrückt – überraschend und nicht nachvollziehbar. Für Kantar hatte man sich entschieden, weil das Unternehmen auch über Erfahrung in komplexen und kleinteiligen TV-Märkten verfügt. Da wäre doch davon auszugehen, dass die Firma ein Panel so aufbauen kann, dass diese Kleinteiligkeit auch abgebildet werden kann. Ganz zu schweigen von den technischen Problemen der richtigen Zuordnung der akustischen Messwerte. Es ist ja schliesslich nicht erst seit heute bekannt, dass es z. B. mehrere Sender gibt, welche dasselbe Programm übertragen. Dass nun einzelne Sender die neuen Erhebungen auch noch anzweifeln, weil sie grössere Abweichungen zu den letztjährigen Daten feststellen, dient wenig dazu, das Vertrauen in die neuen Zahlen zu stärken. Auf Grund des ganzen Debakels wäre es sicher mehr als sinnvoll gewesen, das bestehende Telecontrol- System im Sinne eines Parallel-Betriebes weiter laufen zu lassen. Aber im Nachhinein ist man ja bekanntlich immer schlauer. Wenn das neue Messsystem von Anfang an funktioniert hätte, hätte es in diesem Fall plötzlich zwei Währungen gegeben. Auch das hätte zu grossen Diskussionen und Unsicherheiten geführt.

Urs Schwander, Head of Electronic Media Mindshare: Die erste Verzögerung war für uns eigentlich absehbar und daher nicht überraschend. Die einzigen, welche an eine problemlose Einführung des neuen Panels geglaubt haben, waren wohl nur die Leute von Mediapulse. Die weiteren Verzögerungen waren dann unangenehm. Aus unserer Sicht ist jedoch der eingeschlagene Weg von Mediapulse richtig. Wichtig ist, dass alle TV-Marktteilnehmer diese neue Währung akzeptieren und hinter ihr stehen können.

Was heisst das für die TV-Planung Ihrer Agentur?

Brigitte Gubser: Im Augenblick sind uns die Hände gebunden, aber sobald die Daten veröffentlicht werden, kommen sehr strenge Wochen auf uns zu. Wir müssen in Windeseile sämtliche Ex-Post-Analysen aufbereiten, die seit Januar pendent sind, und die Leistungswerte mit den Planwerten abgleichen. Dann müssen wir umgehend über allfällige Leistungskompensationen mit den Vermarktern sprechen. Ausserdem ist voraussichtlich eine Anpassung zahlreicher bereits freigegebener Prebookings für die zweite Jahreshälfte 2013 erforderlich. Das bedeutet einen erheblichen Mehraufwand für uns, und man muss die berechtigte Frage stellen, wer diesen bezahlen will!

Axel Beckmann: Die TV-Planung ist davon im Moment nicht allzu sehr betroffen, da MediaCom die Planung sowieso mit eigenen Prognosedaten erstellt. Natürlich würden wir diese dann gerne mit den Actuals abgleichen, aber das geht jetzt leider nicht. Das ist für einen überschaubaren Zeitraum kein grosses Drama, aber länger als Ende März sollte es dann doch nicht dauern.

Manfred Strobl: Unsere Geschäftsprozesse sind dadurch massiv beeinträchtigt. Unsere Kunden verbinden mit der Datenfreigabe die Forderung nach schnellstmöglicher Lieferung der Leistungswerte. Die Ballung der Auswertungsarbeit auf einen so geringen Zeitraum (nach Datenfreigabe) bedeutet für uns massive Mehrarbeit.

Monica Jäggi: Planung und Einkauf der Kampagnen des ersten Halbjahres erfolgten noch nach dem gewohnten «Muster». Auf Grund der fehlenden Zuschauerdaten fehlt uns jedoch jegliche Handhabe, um die Kampagnenentwicklung zu überprüfen und allfällige Korrekturen einzuleiten. Im Moment verringert sich dadurch der Aufwand in der Kampagnenbetreuung. Sobald die TV-Daten zur Verfügung stehen, wird der Aufwand natürlich massiv ansteigen. Denn innert kürzester Frist werden nicht nur die Kampagnen des ersten Quartals 2013 analysiert werden müssen, es müssen auch generelle Marktanalysen erstellt werden, um Optimierungen der laufenden Kampagnen vorzunehmen, aber auch, um die Planung für das zweite Halbjahr 2013 vorzubereiten.

Urs Schwander: Wir planen mit den Infos, die wir haben, im Blindflug und hoffen auf eine sichere und punktgenaue Ladung. Denn uns fehlt das Navigationssystem, ein für uns wichtiges Arbeitsinstrument während der Kampagnenlaufzeit. Die Kampagnen- Optimierungen können wir nur sehr begrenzt vornehmen. Was eigentlich nicht akzeptabel ist. Wer möchte schon in einem Flugzeug ohne Navigation mitfliegen? Problematisch wird es, wenn es Verzögerungen für das zweite Halbjahr gibt. Geplant ist der Datenversand an die Agenturen am 8. April. Wenn alles optimal läuft, also kurz nach der Veröffentlichung der Zahlen 2013.

Wie reagieren Ihre Kunden?

Brigitte Gubser: Der ganze Markt ist sehr verunsichert. Leider haben weder wir noch unsere Kunden effektive Druckmittel in der Hand, um die Publikation der Daten zu erzwingen. Wir machen aber Druck direkt bei Mediapulse, denn es spricht nichts gegen eine sofortige Veröffentlichung – andere Zahlen wird es so oder so nicht geben.

Axel Beckmann: Sehr unterschiedlich. Wir haben da die ganze Bandbreite von sehr entspannt bis sehr erregt.

Manfred Strobl: Unsere Kunden reagieren zu Recht mit völligem Unverständnis und prüfen individuell mit ihren Rechtsabteilungen, welche Möglichkeiten ihnen zur Verfügung stehen.

Monica Jäggi: Natürlich freut sich keiner unserer Kunden darüber, dass wir die TV-Kampagnen zur Zeit sozusagen im Blindflug planen und begleiten. Sie sehen die ganze Sache jedoch recht pragmatisch. Sie – wie auch wir – sind der Überzeugung, dass die Kampagnen wirken und die Erreichung der Marketing- und Kommunikationsziele unterstützen, auch wenn zur Zeit nicht eruiert werden kann, wie hoch die Medialeistung der Kampagnen ist.

Urs Schwander: Die Reaktion der Kunden im Vorfeld der Umstellung war heftiger als die auf die aktuelle Entwicklung. Die Kunden und wir bemängelten im letzten Jahr den fehlenden Doppelbetrieb. Nicht nur wegen der Sicherstellung der Zahlen, sondern als Hilfe, um die neue Währung besser verstehen zu können.

Behalten Sie resp. Ihre Kunden sich rechtliche Schritte vor?

Brigitte Gubser: Das lassen wir im Moment offen und werden das zu gegebenem Zeitpunkt entscheiden.

Axel Beckmann: Halten wir im Moment für unnötig. Die Leistung der Sender wird ja erbracht, auch wenn sie im Moment nicht ausgewertet werden kann. Es wird Leistungsgewinner und -verlierer geben. Im Falle von Mehrleistung ist diese für unsere Kunden gratis, im Falle von Unterlieferung haben alle Vermarkter Leistungsgarantien gegeben, so dass die Kunden gut abgesichert sind.

Manfred Strobl: Es gibt Kunden, die derzeit rechtliche Schritte prüfen. Nach unserer Ansicht ist es eine Unterlassung, die Daten – deren Erhebungsmethodik und grundsätzlicher Richtigkeit wohl nicht mehr bestritten wird – nicht den Agenturen der Kunden zur Verfügung zu stellen.

Monica Jäggi: Zur Zeit ist diesbezüglich nichts geplant.

Urs Schwander: Nein.

Umfrage: Pierre C. Meier

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