Am Puls der Jugend

Effektives Marketing setzt Kenntnis der Zielgruppe voraus. Geht es um Jugendmarketing, fehlt Unternehmen oft das Wissen und die Nähe zu den Jugendlichen. Beides fanden sie beim «brandBoost». Plus: Fabio Emch ist Spezialist für Jugend- und Studentenmarketing. Im Gespräch erklärt er, wie Firmen Jugendliche richtig ansprechen und weshalb eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihnen unabdingbar ist.

Viele Unternehmen wollen Jugendliche gezielt ansprechen. Denn die kaufkräftigen jungen Leute sind sowohl die Kunden von heute als auch jene von morgen. Einziges Problem: Die Kommunikation ist alles andere als einfach. Versuchen Erwachsene cool rüberzukommen, finden das Jugendliche zumeist peinlich. Mit «voll krass», «crazy» oder «easy» tut man sich keinen Gefallen. Kommt hinzu, dass Jugendliche Marketingbotschaften schnell durchschauen und diesen ablehnend gegenüberstehen, sobald sie ihnen als unglaubwürdig erscheinen.

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An Feingefühl mangelt es den Firmen nicht zuletzt aufgrund der Distanz zu den Jugendlichen. «Um zu wissen, wie die Jungen ticken, genügt es nicht, Zeitschriften zu lesen, sich umzuhören oder auf den Social-Media-Plattformen präsent zu sein», sagt Fabio Emch von der auf Jugend- und Studentenmarketing spezialisierten Agentur Jim & Jim. «Man muss sich sehr intensiv mit den jungen Leuten befassen.» Jim & Jim setzt dazu auf quantitative und qualitative Marktforschung. Neben repräsentativen Umfragen bietet die Agentur sogenannte Brand-Sessions an. Bei diesen können sich Unternehmen mit den Jugendlichen direkt austauschen und ihre Produkte und Dienstleistungen, ihre Werbung und Kommunikation durch junge Leute analysieren lassen.

Vier solcher Sessions fanden am 21. Februar am «brandBoost» in Zürich statt. Die Gelegenheit ergriffen, ihr Angebot direkt von den Jugendlichen bewerten zu lassen, hat unter anderen die im Dezember lancierte Gratisinserateplattform Ricardolino. ch, der kleine Bruder von Ricardo.ch. Insbesondere war die Onlineplattform daran interessiert, mehr über das Nutzungsverhalten der Jugendlichen herausfinden, wie Oliver Schibli, Managing Director von Ricardolino.ch, erklärt: «Die Digital Natives ticken punkto Mediennutzung anders.»

Ricardolino.ch unter der Lupe

Mit Notebook oder Tablet bewaffnet, warten die 25 Jugendlichen auf ihren Einsatz bei der Brandanalyse. Noch wissen sie nicht, welches Unternehmen hinter der Session steht. Denn Ricardolino.ch will die Jugendlichen zuerst allgemein zum Thema Kleinanzeigen befragen. Verkaufst oder kaufst du online gebrauchte Dinge? Welche Plattformen nutzt du dazu? Erst danach wird das Geheimnis um den Kunden gelüftet und die Jugendlichen in zwei weiteren Fragebögen nach ihrer Meinung zu Ricardolino. ch befragt. Hast du schon von Ricardolino.ch gehört? Woher? Hast du die Plattform bereits genutzt? Sind dir die Werbespots bekannt? Gefallen sie dir?

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Der eigentliche Kern der Brand Session folgt jedoch nach der Befragung, als die Debatte eröffnet wird. In Runden von fünf bis sieben Personen diskutieren die Jugendlichen zusammen mit einem Mitarbeiter von Jim & Jim. Wie ist das Handling? Was könnte verbessert werden? Welche Features fehlen? An dieser Stelle schalten sich auch die Vertreter von Ricardolino.ch, die sich bislang zurückgehalten haben, in die Diskussion ein. Schibli und sein Team stellen weitere Fragen, haken nach. Wie hast du das gemeint? Weshalb ist euch eine App wichtig? Vorschläge haben die Jungen mehr als genug. Selbst als die Session offiziell zu Ende ist, wird noch die eine oder andere Anmerkung platziert, löchern die Jugendlichen Schibli mit Fragen. Hat es das schon? Und was ist mit…? Ganz zur Freude von Ricardolino. ch: «Die Session hat uns in einigen Bereichen die Augen geöffnet und uns wertvolle Inputs geliefert», so Schibli. «Wir haben ein Gespür dafür erhalten, was die Jugendlichen von Ricardolino.ch und unserer Werbekampagne halten. Und wie sie generell zum Thema Gratis-Kleinanzeigen stehen.» Nun fehlt noch die Auswertung der Session beziehungsweise der Fragebogen. Bis die Ergebnisse schwarz auf weiss vorliegen, muss sich Ricardolino. ch allerdings noch einige Tage gedulden.

Isabel Imper

http://www.youtube.com/watch?v=evsExzxv9sw

http://www.youtube.com/watch?v=Ovplw7i3rD8

In Kürze
 

«Der brandBoost» (ehemals Trendtag) ist einer der drei Teilveranstaltungen des Schweizer Forums für Jugendmarketing und Jugendkultur Boost, das am 21. Februar in Zürich stattfand. Neben der Brandanalyse erwartete Marketingverantwortliche am Nachmittag eine Vortragsreihe, in der sie Einblick in Trendforschung, Marketingpraxis und die Lebenswelten heutiger Jugendlicher erhielten. Zu den Referenten gehörten unter anderen Kris Hoet von der belgischen Agentur Duval Guillaume Modem sowie Alexander Mazzara von Joiz. Am Abend folgte schliesslich der «talent- Boost», bei dem Jugendliche und Studenten ihr Talent Unternehmen präsentierten – in den Kategorien Multimedia & IT, Kunst & Gestaltung, Wissenschaft & Technik sowie Unterhaltung. Initiatoren und Veranstalter des Forums sind die auf Jugend- und Studentenmarketing spezialisierte Agentur Jim & Jim und die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Chur.

 


Jung und cool – das genügt nicht
 
Fabio Emch ist Spezialist für Jugend- und Studentenmarketing. Im Gespräch erklärt er, wie Firmen Jugendliche richtig ansprechen und weshalb eine vertiefte Auseinandersetzung mit ihnen unabdingbar ist.

Fabio-Emch
 
WW: Beim Jugendmarketing können Unternehmen vieles falsch machen. Welches ist der grösste Fettnapf, in den man treten kann?
Einfach gesagt: Anbiederung. Wenn Unternehmen einen auf jung machen, aufgesetzt cool sein wollen. Das goutieren die Jungen nicht. Sie realisieren sofort, wenn etwas nicht echt ist.
 
Können Sie ein Beispiel nennen?
Zumeist sieht man Anbiederung bei Branchen, die weit weg sind von den Lebenswelten junger Leute. Wenn sich Banken oder Versicherungen an Junge richten, ist die Gefahr gross, dass das Marketing anbiedernd wirkt. Auch die aktuelle Bio-Werbung eines Detailhändlers mit Rappern geht meinem Gefühl nach in diese Richtung. Unsere Studien zeigen, dass Bio nicht ein derart grosses Thema ist für junge Leute. Wobei man hier sagen muss: Wahrscheinlich wollte die Firma genau über diesen leicht ironischen Content Aufmerksamkeit generieren.
 
Wie vermeiden Unternehmen Anbiederung? Oder anders gefragt: Wie kommunizieren sie richtig?
Das ist je nach Brand und Branche unterschiedlich. Es gibt kein Patentrezept. Grundsätzlich gilt: Zu sagen «wir sind jung und cool» genügt nicht. Man muss in die Lebenswelt der Jugendlichen eintauchen und herausfinden, welche Angebote für sie spannend sind. Was sind die exakten Bedürfnisse? Ein Unternehmen muss den Jungen einen echten Vorteil bieten. Nehmen wir eine Versicherung: Erwachsene sind bei der Wahl ihres Versicherungsmodells sicherheitsorientiert, Junge dagegen eher aufs Sparen und auf Profit aus. Das Marketing muss spezifisch auf dieses Bedürfnis ausgerichtet sein.
 
Wie findet Jim & Jim heraus, wofür sich Jugendliche interessieren?
Zum einen schöpfen wir als spezialisierte Agentur aus einem grossen Erfahrungsfundus. Zum anderen suchen wir den Kontakt mit den Jungen. Wenn wir eine Kampagne konzipieren, fragen wir Jugendliche, was sie davon halten. Zudem bieten wir Brand Sessions an, wie sie am Boost stattfanden. Der direkte Austausch mit den Jugendlichen bringt Unternehmen enorm viel.
 
Inwiefern?
Die Kunden können direkt mit den Jungen ein Gespräch führen und bei Bedarf nachhaken. Die Jugendliche wiederum teilen mit, was sie sich von einem Brand erhoffen. Beim TCS Cooldown Club ging es zum Beispiel um die Attraktivität von Angeboten. Dabei kam heraus, dass sich die Jungen einen Mehrwert wünschen, der im Auto- beziehungsweise Mobilitätsbereich liegt. Sie wollen nicht günstiger ins Kino, weil sie beim TCS sind, sondern von günstigen Pneus oder einer verbilligten Vignette profitieren.
 
Wie wichtig sind Markenbotschafter, um einen Brand bei Jugendlichen zu positionieren?
Der Einsatz von Brand Ambassadors funktioniert erwiesenermassen gut. Erfolgreiche Beispiele aus der Jugend- und Lifestyle-Szene sind Michael Jordan (Nike Air Jordan), Kelly Slater (Quicksilver) oder Iouri Podladtchikov (Quicksilver). Anders sieht es aus, wenn über ein Seeding in der Szene gearbeitet wird. Dies funktioniert nicht für jeden Brand und nicht systematisch.
 
Wann funktioniert es – und wann nicht?
Es gibt die hippen Brands, die aus dem Untergrund kommen und plötzlich in sind, ohne dass man genau weiss, weshalb. Momentan zum Beispiel das Modelabel Revolution. Solche Brands haben zumeist Markenbotschafter aus der Szene, die auf Blogs auftauchen, in 20 Minuten Friday abgelichtet werden. Als grosser Brand ist dieses System jedoch schwierig zu nutzen. Eine Versicherung kann sich nicht einfach einen solchen Markenbotschafter angeln. Das wäre unglaubwürdig. Sowohl aus Sicht des Markenbotschafters als auch aus Sicht des Brands.
 
Macht es für etablierte Brands Sinn, Jugendliche gezielt mit einer neuen Marke anzusprechen?
Sofern die neue Marke mit der Unternehmensstrategie übereinstimmt, absolut. Mode- und Sportbrands lancieren regelmässig neue Labels, die sich an die Jungen anlehnen. Aber auch die Kantonalbanken, die mit der «STUcard» gemeinsam unter einem neuen Namen auftreten oder die Mobiliar- Versicherung mit «MobiJeunes». Die Idee ist, die Jungen mit Einsteiger-Labels zu gewinnen, mit denen sie sich besser identifizieren können. Ziel muss dabei sein, über effizientes Community-Marketing diese Kundschaft an den «alten Brand» heranzuführen.
 
Wir reden immer von DEN Jugendlichen. Tatsächlich handelt es sich nicht um eine einheitliche Zielgruppe. Stimmt es, dass sich Jugendliche über Musik, Mode und Sport unterscheiden lassen?
Ja. Insbesondere die Musik nimmt in der Lebenswelt der Jugendlichen einen grossen Stellenwert ein und bietet dadurch ein grosses Emotionalisierungspotenzial für Brands. Orange arbeitet zum Beispiel mit dem Musik-Streaming-Dienst Spotify zusammen und bietet Jungen die Möglichkeit, von ihrem Smartphone aus auf ihre Musik zuzugreifen. Oder auch Festivals sind eine ideale Positionierungsplattform. Die Herausforderung ist: Wo ist der «Brand Overkill»? Wie tritt man als Marke auf?
 
Muss Jugendmarketing über Werbekampagnen hinausgehen? Oder anders gefragt: Muss man den Jugendlichen eine Dienstleistung bieten?
Ich denke, es geht in diese Richtung. Jugendliche achten bei ihren Kaufentscheidungen stark auf Rabatte und Spezialangebote. Wie kann ich profitieren? Wo erhalte ich etwas günstig? Sie sind mit den Tricks vertraut, wie sie sparen können.
 
Sind Jugendliche Schnäppchenjäger?
Grundsätzlich ja. Oft auch zwangsläufig. Der Preis hat gemäss unseren Studien einen überdurchschnittlichen Einfluss auf die Kaufentscheidungen der jungen Leute. Aber: Wenn ein Produkt besonders in ist, kaufen sie es sich – egal wie viel es kostet. Wenn in der Schule das neue iPhone angesagt ist, holen sie es sich.
 
Stichwort Digital Natives: Welche Implikationen hat die Mediennutzung der Jugendlichen auf das Marketing?
Durch Internet, Blogs und Social Media sind Jugendliche heute sehr gut über Angebote und die neuesten Trends auf dem Laufenden. Selbst wenn sie in einem abgelegenen Bergdorf wohnen. Mit 13 Jahren, wenn sie das erste Bankkonto eröffnen, entscheiden noch ihre Eltern. Relativ bald kehrt es sich aber um. Dann fragen die Eltern ihre Kinder, ob sie einen Mac oder einen HP Computer kaufen sollen. Jugendmarketing ist dadurch sehr anspruchsvoll. Man muss wissen, auf welchen Kanälen sich die Jungen informieren, wovon sie beeinflusst werden. Sonst ist man schnell weg vom Fenster.
 
Würden Sie Jugendliche generell als offen gegenüber Werbung bezeichnen?
Wir haben es schon angesprochen: Jugendliche sind keine homogene Zielgruppe. Die Marktforschung (Sigma-Studie, Sinus) segmentiert in Milieus: Die konsumorientierten Hedonisten sind sehr offen gegenüber Werbung. Die Konservativen werden von Werbung beeinflusst, geben es allerdings nicht zu. Die Progressiven dagegen sind eher kritisch eingestellt … Grundsätzlich würde ich sagen: Wenn etwas cool daherkommt – und wenn das Angebot für die Jungen passt, sind Jugendliche offen für Werbung.
 
Jugendmarketing wird noch nicht allzu lange professionell betrieben. Wie würden Sie den Status quo beschreiben?
Europaweit gibt es grosse Unterschiede. In England oder Deutschland ist professionalisiertes Jugendmarketing bereits ein riesiges Thema. Es gibt spezialisierte Agenturen und Medien, die Jugendliche separat angehen und sich intensiv damit beschäftigen, wie die Jungen sozial eingebettet sind, was sie beschäftigt. In der Schweiz ist der Gedanke, dass man sich vertieft in die Jungen einfühlen muss, um sie anzusprechen, noch nicht so verbreitet. Zurzeit beginnt man, sich aktiver mit dem Thema zu befassen.
 
Woran zeigt sich dies?
Seit kurzem gibt es Jugendmedien wie Joiz, die sich klar über Junge positionieren. VW hat spezifische Angebote, die auf Junge zwischen 18- und 28 Jahren ausgerichtet sind. Ebenso der TCS mit dem Cooldown Club. Junge gezielt anzusprechen ist wichtig. Studien zeigen, dass die Bindung an ein Produkt, an einen Brand zwischen dem 15. und dem 20. Lebensjahr passiert. In diesem Alter beginnt man, sich mit Marken auseinanderzusetzen (Generation Netzwerk 2011).
 
Wie wird sich das Jugendmarketing Ihrer Ansicht nach weiterentwickeln?
Ich denke, es wird noch mehr Experten geben, die sich speziell mit Jugendlichen beschäftigen. Schon heute gibt es bei Banken, Versicherungen oder Telco- Firmen Jugendverantwortliche und junge Kundenberater, die sich um Jugendliche kümmern. Die Spezialisierung wird weiter zunehmen. Kürzlich hat mir ein CEO einer grossen Agentur gesagt, dass die Messbarkeit von Kampagnen an Relevanz gewinnt. Die Zielgruppe genau zu kennen wird somit ein wichtigeres Kriterium bei Kampagnen.
 
Das mediale Interesse gilt derzeit insbesondere der Generation Ü-50 oder Ü-60 …
Dass Ältere und Senioren momentan ein grosses Thema sind, zeigt: Eine spezifische Ansprache und eine intensive Auseinandersetzung mit der Zielgruppe ist wichtig. Man muss wissen, wie die Zielgruppe tickt. Diese Fokussierung wird meiner Meinung nach weiter zunehmen.
 
Interview: Isabel Imper

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