Hier bestimmt die Community

Unter dem Titel Mag20 hat der Jungunternehmer Markus Bucheli ein Magazin-Experiment gestartet. Eine Redaktion benötigt er dazu nicht. Das Herzstück seines Projekts ist eine aktive Community, die Beiträge schreibt, bewertet und fürs Heft auswählt.

Letzten Freitag war es erstmals so weit. Neben den bekannten Gratistiteln, denen Pendler an Bahnhöfen begegnen, war ein neues Heft dabei. Ein rund 46-seitiges Magazin mit Artikeln zu Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Wissen. Auf dem Cover gross «Mag20 – Mehr dahinter». Ein Titel, der bereits vieles über das neue Medienprojekt des ehemaligen Wirtschaftsprüfers Markus Bucheli verrät. «20» steht für die Anzahl Artikel im wöchentlich erscheinenden Heft, «Mag» für Magazin. «Mehr dahinter» deutet an, dass hinter Mag20 keine Redaktion, sondern eine ganze Community steht. Denn anders als bei den meisten Printprodukten steuern hier nicht Journalisten, sondern die Nutzer selber den Inhalt bei. Kern des Experiments ist die Plattform Mag20. com. Hier laden die Autoren ihre Beiträge rauf. Gleichzeitig legt die Website den Grundstein fürs Printprodukt, denn auf Mag20.com entscheidet die Community, welche Texte im Mag20 gedruckt werden. Kriterium ist dabei die Anzahl Empfehlungen auf Facebook, Twitter oder Google+, die ein Artikel erntet. In diesem Sinne ist das «Mag» im Titel gleichermassen als eine Anspielung auf «ich mag» oder treffender «I like» zu verstehen.
 
Als Crowdsourcing-Projekt steht und fällt das Magazin-Experiment mit der Community, der Anzahl Autoren und Nutzer, die sich aktiv auf der Plattform betätigen. Zum Start geht es Bucheli in erster Linie denn auch darum, möglichst viele Autoren für sich zu gewinnen. Blogger, Wissenschaftler, Politiker, Studenten, Berufstätige, aber auch Journalisten, die ihre Beiträge auf Mag20.com veröffentlichen. Darüber hinaus erhält Mag20 Artikel von Medienpartnern, die durch ihre Präsenz bei Mag20 eine höhere Reichweite gewinnen – unter anderen Blogwerk, dieperspektive, Journal21, Politnetz, Schweizer Monat, The Brander und Transhelvetica. Um Mag20 bei einem breiten Publikum bekannt zu machen, wird das Printmagazin jeweils freitags an Bahnhöfen verteilt. Ausserdem laufen vorerst bis Ende Jahr Spots beim Medienpartner Radio 105, der die Hörer mit Aussicht auf einen Gutschein des Online-Buchshops Storyworld auf die Website lockt.
 
Finanziert wird das Projekt einerseits über Anzeigen im Printmagazin. Andererseits konnte der Jungunternehmer den Berner Rechtsanwalt Georges Bindschedler, der sich auch als Investor bei der Basler Zeitung BaZ engagiert, von seinem Vorhaben überzeugen. Bis Ende 2013 dürften das Magazin- Experiment gesichert und die Betriebs-, Druck- und Vertriebskosten vorerst gedeckt sein. Eine ungesicherte Einnahmequelle stellen derzeit die Abonnenten dar. Der Grossteil der 50 000 Exemplare grossen Auflage erreicht die Leser über die Verteilungen gratis. Ebenfalls kein Geld kommt herein, wenn sich Nutzer auf der Website ein E-Paper-Abo bestellen. Bezahlen müssen die Leser einzig dafür, wenn sie sich das Printmagazin per Post liefern lassen. Die Gewinnspanne dürfte aber – wenn überhaupt – minimal sein. Nachdem das Post-Abo in einer frühen Projektphase mit 119 Franken angekündigt wurde, ist der Preis für 52 Ausgaben mittlerweile bei 52 Franken angesetzt.
 
Die Sowohl-als-auch-Strategie beim Bezahlmodell sowie weitere Spezifika des Projekts erklärt Bucheli im Interview.
 
Isabel Imper

 


«Wir verlassen uns vollkommen auf den Leser»
Interview mit Markus Bucheli (28), Gründer und Herausgeber von Mag20.
 
WW: Mag20 bietet keine exklusiven Texte, sondern verwertet Beiträge von der Mag20-Website. Weshalb sollte jemand für gratis verfügbare Texte bezahlen?
Markus Bucheli: Ich glaube, es gibt nach wie vor Leute, die das haptische Erlebnis schätzen und gerne etwas auf Papier lesen – ohne diese Hintergrundbeleuchtung. Dafür lohnt es sich, ein Abo zu bestellen. Ein weiterer Vorteil ist, dass sämtliche Artikel im Heft im Gegensatz zur Website lektoriert, schön aufbereitet und mit einer Bildstrecke einer Künstlerin ergänzt sind.
 
Diese Vorteile habe ich allerdings auch, wenn ich das kostenlose EPaper abonniere und ausdrucke …
Absolut. Das ist auch erlaubt. Wer aber den Mehrwert schätzt, das Magazin jede Woche ausgedruckt und schön aufgemacht zu erhalten, dürfte bereit sein, dafür zu bezahlen. Mit dem Post-Abo fahren wir ein klassisches Premium-Modell. Die Anzahl E‑Paper-Abonnenten wird wohl jene der Post-Abonnenten immer übersteigen. Bereits haben wir aber überraschend viele Post-Abos.
 
Wie viele?
Momentan sind es um die 61. Und total sind wir derzeit bei circa 545 Abonnenten – nur wenige Tage nachdem die Website aufgeschaltet wurde. Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt.
 
Welche Zielgruppe wollen Sie mit dem Printprodukt erreichen?
Momentan wird die Mehrheit der Exemplare kostenlos an Bahnhöfen verteilt. Dort erreichen wir aktive Menschen – unter anderem Studenten und Erwerbstätige. Unsere Zielgruppe ist zwischen 18 und 49 Jahre alt. Männer und Frauen sollen je 50 Prozent unserer Leserschaft ausmachen. Wir richten uns an Leute, die es schätzen, etwas Hochwertiges in der Hand zu haben. Mag20 bietet inhaltlich etwas, das ich nicht jeden Tag sehe.
 
Finden die Verteilaktionen nur zur Lancierung statt oder werden sie danach weitergeführt?
Die Verteilungen werden bis auf Weiteres durchgeführt. Alle rund 20 Verteiler sind fix eingestellt – mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist. Der Grund hinter der Aktion ist ein Promotionseffekt. Wir wollen so schnell wie möglich Leute auf die Plattform bringen – und Abonnenten gewinnen.
 
Sie haben also zwei Zielgruppen im Visier: diejenigen, die das Magazin lesen, und jene, die sich aktiv auf der Plattform beteiligen, richtig?
Absolut. Wir orientieren uns an der 90-9-1 Regel von Jakob Nielsen zum Nutzerverhalten auf Websites. Sie besagt, dass 90% der Nutzer lesen und zuschauen, 9% ab und zu interagieren und lediglich 1 % Inhalte beisteuern. In unserem Fall wären es 90%, die das Magazin lesen, 9%, die hin und wieder kommentieren oder über Google+, Twitter oder Facebook etwas empfehlen. Und schliesslich noch die 1%, die Beiträge schreiben. Mit den letzten beiden Gruppen werden wir eine möglichst persönliche und direkte Kommunikation pflegen. Dies ist meines Erachtens für dieses Magazin-Experiment zentral, da Mag20 eine grosse und möglichst hochwertige Community benötigt. 
 
Ansonsten haben Sie ein paar wenige Nutzer, die bestimmen, wie das Heft aussieht …
Genau …
 
Was ist das Ziel: Wie gross soll die Community sein?
Wir haben keine Zahl definiert. Das Ziel ist, so viele Nutzer wie möglich zu gewinnen…
 
Sie haben kein Minimum festgelegt?
Nein, eine Limitierung gibt es nicht. Aufgrund des bereits vorhandenen Interesses – der vielen Beiträge, die verfasst wurden -, bin ich allerdings optimistisch.
 
Mag20 hat keine inhaltliche Ausrichtung. Gibt es Richtlinien, welche Art Beiträge aufgenommen werden?
Inhaltlich verlassen wir uns vollkommen auf den Leser. Was dem Leser gefällt, drucken wir. Eine gewisse Kanalisierung gibt es durch die Rubriken – klassische Zeitungsrubriken wie Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Kultur und Wissen. Diese sind zur Optimierung des Leseverhaltens. So ist der Leser relativ schnell beim Inhalt, der ihn interessiert.
 
Mag20 will sich von Titeln wie 20 Minuten abgrenzen. Vielleicht gefällt den Nutzern aber gerade, was man auch in den Gratisblättern findet. Der Artikel «Das Schnarchen der Männer» zum Beispiel kam auf Mag20.com sehr gut an…
Ich finde den Artikel über Schnarchen interessant. Es ist ein Problem, mit dem wir alle schon mal zu tun hatten. Auch in etablierten Magazinen findet man immer wieder Artikel, über die man schmunzeln kann. Ich denke, es ist wichtig, interessante Beiträge zu haben. Die dürfen aber durchaus unterhalten. Es muss nicht immer der pure Ernst des Lebens sein.
 
Wünschten Sie sich als Herausgeber nicht, den Inhalt mehr mitbestimmen zu können?
Nein. Gerade dies ist der Kern des Experimentes und das Spannende am Konzept. Ich möchte bewusst nicht dreinreden. Wichtig ist mir allerdings, nichts Widerrechtliches zu haben und medienethisch den Vorgaben des Presserates zu entsprechen. Wenn ein Beitrag nicht mit den Autorrichtlinien übereinstimmt – weil er zum Beispiel zu PRlastig ist – ziehen wir den Hebel.

Inwiefern?
Die Artikel bleiben nicht auf Mag20.com. Dafür veröffentlichen wir sie auf Dismag20.wordpress.com – inklusive der Begründung, weshalb sie den Richtlinien widersprechen. Unsere Entscheidungen sind transparent.
 
Zurück zum Magazin: Wenn Mag20 zum grössten Teil gratis verfügbar ist, wird das Heft mehrheitlich über Werbung finanziert?
Die Hoffnung ist, mittelfristig die Abonnentenbasis stärken zu können und damit die Abhängigkeit vom Werbemarkt zu reduzieren. Nur mit Inseraten kommt zu wenig Geld rein. Die Autoren sollen aber für gedruckte Beiträge eine Vergütung erhalten und für ihre Zeit und ihre Unkosten entschädigt werden, weshalb wir sie mit 50% an unserem Jah resgewinn beteiligen. Ich glaube, langfristig ein pures Gratisprodukt anzubieten, ist der Qualität nicht förderlich.
 
Eine gewagte Strategie: Auch die Verlage haben ihre News online zuerst gratis angeboten und hoffen nun auf Geld. Wenn sich der Leser an ein Gratis- Produkt gewöhnt hat, gibt er später Geld dafür aus?
Wir fahren ein anderes Modell als die jetzigen Anbieter. Die Medienunternehmen gaben zu Beginn den gesamten Content frei. Nun krebsen sie ein Stück weit zurück. Sie machen Pay-Walls mit dem Effekt, dass der User nicht bereit ist, für den Mehrwert zu bezahlen, und wenn möglich sogar die Plattform verlässt. Bei Mag20 dagegen ist der Content überall zugänglich. Jene Leute, die den Mehrwert eines physischen Magazins, das haptische Erlebnis wollen, lösen ein Abo. Inhaltlich erhalten sie aber dasselbe.
 
Wenn Sie auf die Haptik setzen, wäre da nicht ein Hochglanzmagazin angezeigt?
Natürlich haben wir uns überlegt, in welche Richtung es gehen soll. Zuerst waren wir beim gewöhnlichen Zeitungspapier. Danach hatten wir die Idee, auf ein Hochglanzmagazin zu gehen. Wir entschieden uns aber dagegen, da es mit dem jetzigen Modell – der kostenlosen Verteilung – nicht finanzierbar gewesen wäre. Mit dem verbesserten Zeitungspapier haben wir einen Mittelweg gewählt. Mir gefällt es gut. Aber wer weiss: Es ist ein Experiment. Und wie bei jedem Experiment kann es ab und zu auch Anpassungen geben.
 
Wo steht Mag20 Ende 2013?
Mein Ziel ist es, mit Mag20 zu mehr Medienvielfalt beizutragen. Das Magazin soll ein Tool sein, damit die Gesellschaft einen Teil der öffentlichen Diskussion mitbestimmen kann. Im Web können die Nutzer das schon heute – zum Beispiel auf Blogs. Mit Mag20 sollen sie auch ausserhalb des Internets dazu die Möglichkeit erhalten. Nach wie vor hat man mit Print eine gute Reichweite.
 
Haben Sie sich betreffend Auflage ein Ziel gesteckt?
Absolut nicht. Das wird sich entwickeln. Für mich ist der Mittelpunkt des Ganzen der Leser. Er kann uns sagen, was er für relevant erachtet – und wir werden laufend optimieren. Ich glaube daran: wenn etwas vom Kern her stimmt und laufend optimiert wird, kommt die Auflage beziehungsweise die Reichweite von alleine.
 
Interview: Isabel Imper

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