Die Schweizer wollens wissen

Cannes Lions 2006 Bei den Eidgenossen herrscht Zuversicht. Am Kreativwettbewerb von Cannes stehen heuer gut ein Viertel mehr Arbeiten aus der Schweiz im Rennen als im Vorjahr.

Cannes Lions 2006 Bei den Eidgenossen
herrscht Zuversicht. Am Kreativwettbewerb von Cannes stehen heuer gut
ein Viertel mehr Arbeiten aus der Schweiz im Rennen als im Vorjahr.Die Organisatoren des 53. Internationalen
Werbefestivals Cannes Lions hatten alle Hände voll zu tun. Insgesamt
24862 Einreichungen aus 81 Ländern wurden zur Bewertung an die Côte
d’Azur geschickt. Das sind 12,5 Prozent mehr Eingänge als letztes Jahr.
Die Steigerung sei unter anderem auf die neue Kategorie Promo Lions
zurückzuführen. Selbst die hohe Zuwachsrate ist nichts im Vergleich zum
Optimismus, den die Schweizer Werber mit ihrem überdurchschnittlichen
Teilnahmezuwachs (rund 25 Prozent) ausstrahlen.

Ob sich das eifrige Bestücken des Wettbewerbs auch entsprechend positiv
in der Medaillenbilanz niederschlagen wird, ist indessen fraglich. So
wird es etwa die in der Schweiz überaus beliebte Beck&
Bondi-Spotserie für den Kunden Swisscom schwer haben, vor einer
intenationalen Jury zu bestehen. Zum einen geht der Schweizer Wortwitz
durch die Übersetzung ins Englische verloren, zum anderen lebt die von
der Agentur Contexta entwickelte Kampagne durch ihren Soap-Charakter.
Und bei 4860 Filmeinreichungen dürfte den Juroren die Geduld fehlen,
sich auf die Eigenheiten dieser Werbeserie einzustellen. Im
Printbereich gilt die Suva- Anzeige von Ruf Lanz als grosser Favorit.
Zugegeben, das im eigenen Land hoch dekorierte Sujet erfüllt alle
wichtigen Kreationskriterien: Es ist plakativ, leicht verständlich und
kommuniziert eine klare Botschaft, nämlich, dass das Tragen von
Fahrradhelmen bei Unfällen einen wichtigen Schutz bietet. Dennoch muss
hier angemerkt werden, dass dieses Motiv sechs Jahre zu spät dran ist,
weil es eine Referenz an den damals sehr erfolgreichen Horrorschocker
«Scream» darstellt.

Brasilianischer Stil schon out?
Generell mangelt es unter den Schweizer Einsendungen an echten
Innovationen. Die handwerklich gut gemachten Spots und Anzeigen bieten
nichts, was es noch nicht gab. Im Printbereich haben sich die Agenturen
einmal mehr bemüht, den viel zitierten «brasilianischen» Stil zu
kopieren – sprich: lustige Bildwitze zu kreieren. Nur wird es immer
schwieriger in Cannes, mit dieser Art von Arbeit zu punkten, von denen
sich inzwischen sogar die Brasilianer selbst distanzieren: «Der
visuelle Witz ist nicht mehr das A und O. Wir müssen inzwischen sehr
viel konzeptioneller denken», sagt Werbe-Guru Marcello Serpa,
Kreativchef der hochdekorierten Agentur Almap BBDO in São Paulo. Er ist
der Ansicht: «In dem Moment, wo Trends als solche erkannt werden, ist
es vorbei damit.» Und tatsächlich macht es den Anschein, dass die
Juroren bei internationalen Kreativwettbewerben übersättigt sind von
solchen Beiträgen.

Stattdessen votieren sie für Kampagnen, die neuartige Wege aufzeigen,
mit dem Verbraucher in Kontakt zu treten. So kommt es nicht von
ungefähr, dass den jüngeren Kategorien Direct, Cyber, Promo, Media und
Titanium Lions ein immer grösseres Augenmerk zuteil wird. Da ergeht es
den Juroren ähnlich wie den Verbrauchern in der «realen» Welt. Sie
überblättern die Anzeigen, nehmen Plakate kaum noch wahr und zappen in
den Werbepausen weg – wer heute an den Verbraucher herankommen will,
muss ihn involvieren, überraschen und zur Interaktion auffordern. Dies
geschieht am ehesten im Internet, am Point of Sale, in der
Direktansprache oder mittels neuer, ungewöhnlicher Wege, die in Cannes
bei den Media und Titanium Lions honoriert werden. Idealerweise sind
diese Kanäle dann noch auf kreative Weise mit den klassischen Medien
vernetzt. Genau das ist es, worauf nicht nur die Schweizer, sondern
alle Werber rund um den Globus ihre kreative Energie lenken sollten.
Noch hat die Königsdisziplin Film ihren Glamourfaktor nicht verloren.
Aber bei der grossen Abschlussgala müssen sich die einst alleinigen
Stars der Cannes Lions bereits die Bühne mit den Titanium-Gewinnern
teilen. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Signal an die gesamte
Branche.

Bärbel Unckrich ist Redaktorin bei Horizont Deutschland.

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