Wohlklang ist der Marke Seele

Weshalb Marken ohne akustische Identität nur halbe Persönlichkeiten sind

Weshalb Marken ohne akustische Identität nur halbe Persönlichkeiten sindVon Ernst WeberSinge, was du nicht sagen kannst: Das Markenmelos oder die Markenakustik vermittelt die Grundbefindlichkeit einer Marke durch akustische Reize. Die Schweizer Werbung hat das Einflusspotenzial, das ihr die auditive Komponente eröffnet, zwar erkannt, doch ist sie weit davon entfernt, eine virtuose Meisterin dieser unterschätzten Disziplin zu sein.
Auditive Zeichen schmeicheln nicht wie die Werbefotografie dem Auge, nicht wie der geschriebene Werbetext dem Verstand, sondern sie erzeugen und formen das Gefühl, das der Konsument einer Marke entgegenbringt. Musik und Ton sind genauso etablierte Werkzeuge der Werbung wie das geschriebene Wort, das stehende und das bewegte Bild: Über 90 Prozent der Fernseh- und Kinofilme enthalten Musik; Radiowerbung kann nur über das Gehör wahrgenommen werden; und auch in der Warteschlaufe am Telefon, auf dem Internet und am POS wird der akustische Reiz eingesetzt.
«Musik hat von allen Medien die vielfältigste, nachhaltigste und tiefgreifendste Gefühlswirkung. Sie wird daher von der Werbeindustrie als wichtiges emotionales Kommunikationsmittel angesehen…», umschreibt der Berliner Komponist Klaus Wüsthoff die Rolle des Tons in der Werbung.
In der Musik tanzen die
Leidenschaften mit sich selbst
In der Natur des Tones, des natürlichen wie des künstlich erzeugten, liegt es, dass er zu 100 Prozent aus Kommunikationskraft besteht. Töne sind an sich mitteilsam, sie wollen gehört und gedeutet werden: Das Quietschen von Reifen etwa verbinden wir reflexartig mit einer Gefahr. Geräusche, die wir nicht identifizieren können, wecken unsere Neugier oder beunruhigen uns.
Unabhängig vom Inhalt einer Aussage schliessen wir vom Klang einer Stimme auf die seelische Verfassung einer sprechenden Person. Eine Komposition gibt uns nicht allein Aufschluss über das harmonische Bedürfnis, das den Komponisten geleitet hat. Wir sind, ohne eine Verstandesleistung zu erbringen, in der Lage, die kommunikative Energie einer Melodie emotional zu dechiffrieren: Das Klangbild eines Musikstücks versetzt den Hörer in einen anderen Gefühlszustand.
Die Sprache der Musik ist allgemein verständlich. «In der Musik», sagt Nietzsche, «tanzen die Leidenschaften mit sich selbst.» Sie ist Weltsprache schlechthin, die in tausend Klangfarben mit allen Hautfarben kommunizieren kann und die sich weder von sprachlichen, geistigen noch religiösen Grenzen in ihrer Wirksamkeit eindämmen lässt. Die Musik überfliegt den höchsten Geist und geht tiefer als die innigste Kontemplation.
Die auditive Komponente
spielt nur die dritte Geige
Dass die Kommunikation diese starke Wirkung des Auditiven nutzt, versteht sich von alleine. Hingegen wundert es doch sehr, dass sie als Königsmedium zur Evokation und zum Transport von Emotionen zum minderwertigen Untertan von Wort und Bild degradiert wird. Der Einsatz von Musik, von Gesang, des gesprochenen Wortes, von Tönen und Geräuschen wird in der Regel weitgehendst dem Zufall überlassen, indem für die Entwicklung einer Werbefilmmusik häufig nicht genügend Zeit und Geld zur Verfügung gestellt wird.
Billy Wirz etwa, Inhaber des Crazy Tunes Soundstudios, ist es gewohnt, dass die Musik erst am Schluss des ganzen Prozesses in Auftrag gegeben wird. «Eine Woche Zeit zu haben, ist schon eine halbe Ewigkeit. Meistens bleiben zwei, drei Tage», sagt der Soundmaster aus Stäfa.
Der im Vergleich zum geschriebenen Wort und zum Bild oft wenig reflektierte Einsatz des Auditiven wird durch verschiedene Umstände begünstigt: Der ADC zum Beispiel zeichnet zwar jährlich wegweisende Werbung aus, unterlässt es aber, die Werbefilmmusik explizit in die Beurteilung mit einzubeziehen.
Beim Budget für die Musik wird oft am falschen Ort gespart
Die von ihm angestrebte Förderung kreativer Umsetzungen erstreckt sich somit nur über den rationalen und visuellen Bereich. Strategen, CDs, Texter, ADs und Grafiker verwenden ihr ganzes Wissen, Können und eine Menge Arbeit auf das verbale und visuelle Herausschälen eines Kommunikationskerns, doch wird ihnen kaum einmal jemand zur Seite gestellt, der durch eine entsprechende Ausbildung in gleichem Masse zur auditiven Darstellung dieses Kerns befähigt ist.
Das hat wohl damit zu tun, dass Musik ein Thema ist, in dem sich praktisch jeder ein wenig, aber fast niemand richtig auskennt. Ausserdem kann man über Klänge nicht wie über technische Details diskutieren. Musik ist weniger fassbar als ein Bildschnitt. Entweder sie gefällt oder sie missfällt.
Vernachlässigt wird die akustische Komponente der Kommunikation bereits in der Ausbildung. In den Lehrplänen der Kommunikationsfach-, der Kreativschulen und Schulen für Gestaltung taucht das Thema Sound Design lediglich am Rande auf. Ferner wird die untergeordnete Rolle, die die Markenakustik spielt, dadurch evident, dass es zwar zahlreiche grafische Verbände gibt, aber keine Interessengemeinschaften etwa zur Förderung des Bewusstseins von der Kommunikationssoundgestaltung oder zur Gleichstellung des Tons in der Kommunikation.
Auch die Werbemittelforschung, die sich erst seit Mitte der Siebzigerjahre intensiv mit der Musik auseinander setzt, bietet keine Hilfe an. Relativ wenige empirische Studien erbringen widersprüchliche Resultate. Zwar stellten etwa Haley, Richardson und Baldwin 1984 fest, dass eine Einstellungsänderung beim Rezipienten durch die Musik offenbar entscheidend davon abhängt, ob sie die Botschaft inhaltlich und formal unterstützt; zwar wiesen Aakar und Bruzzone 1985 nach, dass Werbung weniger störend empfunden wird, wenn sie sich an vertraute Musik anlehnt. Alpert und Alpert gelangten 1986 und 1989 zum Schluss, dass fröhliche Musik zwar glücklichere Stimmungen erzeugt, traurige aber höhere Kaufintentionen. Andere Erhebungen belegen indessen das Gegenteil. «Nicht selten wird einfach ein ‹Müsigli› unterlegt, das etwa einem Auftraggeber persönlich gut gefällt, auch wenn der Tune nicht unbedingt die richtige Applikation für die Thematik des Spots darstellt», sagt Renzo Selmi, Inhaber des gleichnamigen Zürcher Tonstudios.
Hinzu kommt, dass das für die Komposition eines Tunes berechnete Budget für gewöhnlich zwischen bescheidenen 2500 und 7500 Franken variiert. Beträge dieser Grössenordnung reichen nicht aus, um einen Track zu arrangieren, zu orchestrieren und ihn mit guten Musikern einzuspielen. Deshalb werden viele Musiken im Studio elektronisch auf dem Synthesizer hergestellt oder auf konventionellem Weg: mit ein wenig Bass, Klavier, Gitarre und Schlagzeug.
Erst die Einschaltungen im Fernsehen sind die Butter aufs Brot. Knapp drei Prozent des Streubudgets beträgt das Honorar, das dem Urheber einer Werbefilmmusik durch die Suisa ausgerichtet wird. Insider wissen: Durch die Kontrolle der Suisa hat die Musik den Glanz eines interessanten Frankenpostens verloren, durch den die Agentur oder der Filmproduzent früher durch so genannte Buyouts ein paar zusätzliche Prozente in die eigenen Taschen füllen konnte. Veranschlagte man heute bei einem Filmbudget von 400000 Franken die Musik mit 50000 Franken, würden alle abwinken. Lieber verpflichtete man für dieses Geld einen weiteren Kameramann, besetzte die Rollen mit teureren Schauspielern und beauftragte die Cateringfirma, auf dem Set Luxussandwiches zu servieren.
Das Markenmelos müsste Teil der Corporate Identity sein
Nur in seltenen Ausnahmefällen findet man die auditive Komponente der Kommunikation im Sinne eines konstanten Markenprädikates strategisch in die Kommunikation integriert. Dabei erhellt sich die Notwendigkeit einer Gleichstellung der drei Komponenten bereits an einigen vom Marketing angewandten, der anthropologischen Terminologie entlehnten Begriffen wie etwa die Nennungen von Markenpersönlichkeit oder Produkteidentität.
Füglich kann von einer Markenpersönlichkeit oder Markenidentität nämlich nur dann gesprochen werden, wenn man zuvor eine Markenseele annimmt, in der die Wesenszüge einer Marke prädisponiert sind. Die Markenseele ist die Quelle, aus der sich Marken-Ich wie Produkteidentität erst konstituieren. Anders ausgedrückt: Das Wort repräsentiert den Markenesprit, Bild und Layout den Markenkörper, das Auditive aber die Seele einer Marke: ihre emotionale Identität.
Nur schlechtes Musikgehör für akustische Corporate Identitys
Wenn Musik aus der Kommunikation auch nicht wegzudenken ist, kann nicht übersehen werden, dass das Bewusstsein für markenimmanente und gesamtunternehmerische Klangkulturen wenig ausgeprägt ist. Ganz anders als etwa in den USA, wo der Sound Designer oft bereits in der Konzeptionsphase beigezogen wird.
Es kommt praktisch nie vor, dass parallel zum Corporate Design eine akustische Corporate Identity (ACI) oder ein Corporate Sound Design entwickelt wird. Während sich etwa die Gestaltung der Kommunikation grosser Unternehmen visuell oft an ein Gestaltungsmanual zu halten hat, existiert im auditiven Bereich nur ausnahmsweise ein Äquivalent.
Bezüglich der akustisch-klanglichen Präsenz klimpert die Schweizer Kommunikation erst ein wenig auf der Klaviatur der akustischen Identität herum. Erst wenige Spezialisten bemühen sich um eine basale akustische Determination des Wertes einer Marke, um ein verbindliches unternehmensidentisches akustisches Idiom.
Einer mehrgliedrigen Kommunikation, die einen gesamtharmonischen Zusammenhang aufweist, begegnet man nur ausnahmsweise. Kaum ein Unternehmen bläst der auditiven Komponente mit strategischer Konsequenz so richtig den Werbemarsch.
«Im akustischen Bereich sind wir heute dort, wo das Corporate Design in den Sechzigerjahren stand: nämlich am Anfang», meint Peter Weiss, Inhaber
der Basler Agentur Corporate Sound.
Am ehesten stellt man in der Werbung mancher Einzelmarken eine Tendenz zum Melos fest. Néscafe etwa gab sich von Anfang der Achtzigerjahre bis 1998 mit dem südamerikanischen Volkslied «La Collegiala» eine stimmige musikalische Identität, die reich an geschmackvoller Romantik war. Das Lied vollbrachte mehr als einen Herkunftsnachweis. Es hatte Erde unter den Noten, weckte die Wehmut des Geniessers, der bei jedem Schluck Kaffee, den er trank, über den Rand der Tasse hinweg unbewusst die sozialen Gegensätze betrachtete, die um dieses Produkt herrschen.
1999 vererbte der holländische Musiker Ilja Gort dieses Markenmelos an einen neuen Tune, der in der Kinowerbung bis heute die Markenseele ausdrückt. In einem neueren TV-Produktespot ist das Melos allerdings weit gehend flüchtig. Es lebt lediglich in einem Jingle weiter, der am Anfang und Schluss des Filmes erklingt. An Stelle des Melos besingt eine jüngere, frischere Musik den Charakter des Produkts.
Bei Orange kann man zwar nicht von einer ACI sprechen, doch der Mobilfunkanbieter setzt seine Musik konsequent in Harmonie mit den Werten ein, die die Marke repräsentiert. «Alle wollen einen Ohrwurm», sagen Billy Wirz wie Renzo Selmi unisono. Doch der windet sich oft aus der Markenverantwortung heraus.
Im Hinblick auf das Markenmelos sind musikalische Logos und akustische Signete wie etwa die von Migros und Swisscom nur dann relevant, wenn sie den Markenkern im Rahmen einer akustischen Identität in wenigen Tönen zusammenfassen, so wie auf der rationalen Ebene der Slogan den Grundgedanken einer Kommunikation eingängig formuliert und auf der visuellen Ebene das Key Visual ein primäres kommunikatives Moment festhält.
Signethafte akustische Zeichen werden weniger emotional, sondern vielmehr durch den Verstand wahrgenommen. Das trifft auch bei unauslöschlichen Jingles zu, zum Beispiel «Meister Proper putzt so sauber, dass man sich drin spiegeln kann», und bei illustrativen musikalischen Umsetzungen wie etwa einer theatralischen Inszenierung von Ravels «Bolero» in einem aktuellen Spot der Alkoholprävention.
Auf den Tonspuren der
Markenemotionen
Unter Corporate Sound versteht Peter Weiss «den intelligenten und dynamischen Soundtrack eines Unternehmens», der sich nicht lediglich auf das nahe Liegende, nämlich TV- und Radiospots und das Telefon, beschränkt, sondern sämtliche Möglichkeiten bedenkt, in denen eine Firma im Rahmen einer Gesamtstrategie auditiv auftritt.
Zur Instandstellung einer akustischen Identität analysiert der Basler Violinist und ehemalige Tontechniker von Radio DRS 2 Werte und Wesen eines Unternehmens, prüft, ob eventuell eine bereits etablierte Klangkultur oder bestehende Klangmuster übernommen werden können, und formuliert, wenn dies nicht der Fall ist, eine Differenzierungsstrategie.
Eine akustische Identität besteht für den Basler Sound Designer nicht «aus einer Musik, die man überall hineinstopft», sondern setzt sich aus akustischen Mustern zusammen, die wie typografische Erkennungsmerkmale oder Farbcodes in der visuellen Welt angewendet werden. Sie ist das Gegenteil einer gesamtkonzeptionslosen Ansammlung auditiver Ereignisse.
Mit Theodor W. Adorno gesagt, besteht die akustische Identität aus einer «harmonischen Perspektive, die alle melodischen Ereignisse in sich hineinzieht. Die dynamische Konzeption der Tonalität als ganzer verleiht dem Akkord» – der auditiven Massnahmen – «sein spezifisches Gewicht.» Der akustische Markeneinfall sollte eine «psychologische Kategorie» sein, «Sache der Inspiration», nicht «ein Moment eines dialektischen Prozesses, der in der musikalischen Form sich ereignet».
Durch die akustische Identität offenbart die Marke ihr Wesen
Ein von Weiss für Coop neu konzipiertes akustisches Logo etwa repräsentiert nach eigenen Angaben den Hauptwert Lebensfreude sowie ferner die Nebenwerte Frische, Gesundheit, Convenience und Dynamik. Die Kommunikation dieser Nebenwerte habe ein transparentes Soundbild verlangt, und durchsichtig klängen etwa
das Vibrafon, das Fender Rhodes Piano sowie Glockentöne.
Der Hauptwert Lebensfreude aber sei durch den Musikstil des Jazz und durch eine vierteilige minimalistische Melodie umgesetzt, die in ihrer fast kecken Art an Miles Davis erinnere. Diese funktioniere als ganz kurzes akustisches Logo ebenso wie als längeres Thema. Der Bigband- Musikstil, den Coop zuvor eingesetzt hatte, sei insofern übernommen worden, als man beim Jazz geblieben sei. Von dieser Grobidentity existiere keine Pop-, Rock- oder Reggaeversion, sagt der Basler Sounddesigner. Als weiteres Identityelement nennt er eine Basslinie, die so markant sei, dass sie mit der Zeit autonom gespielt werden könne.
«Obwohl wir im Jazz bleiben, können wir ein grosses Feld bewandern, indem wir mit New-Jazz-, London-Jazz-, Soft-Jazz- und vielleicht sogar einmal mit einer modernen Bigband-Jazz-interpretation arbeiten», meint Peter Weiss.
Das Verhältnis der hiesigen Kommunikation zum Ton ist durch eine Beliebigkeit gekennzeichnet, die ihrer werblichen Bedeutung zuwiderläuft und mit der Häufigkeit in Dissonanz tritt, mit der die Kommunikation das Medium Ton nutzt. Dass das Akustische die dritte Geige spielt oder gar in den Orchestergraben fällt, hat letztlich auch damit zu tun, dass die Schweizer ihrer Mentalität nach nicht sonderlich ausgeprägte Gefühlsmenschen sind.
Möglicherweise vermöchte eine jährliche Prämierung der besten Schweizer Werbefilmmusiken eine Wendung des Notenblattes zu Gunsten einer vertieften Aufmerksamkeit zu bewirken, die die Kommunikation dem Markenmelos entgegenbringt.
Oder mit Friedrich Nietzsche gesagt: «Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum.»

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