Radios vor dem Breitbandzeitalter

Schweizer Sender lassen sich von der Euphorie über die beschleunigende Datenübermittlung nicht blenden

Schweizer Sender lassen sich von der Euphorie über die beschleunigende Datenübermittlung nicht blendenVon Clemens HörlerSchlechte Internetverbindungen und eine unsichere Rechtslage beim Streaming: Die Ausgangssituation für die Radios im Web war sicher nicht optimal. Doch nun wird vom Breitbandzeitalter geträumt, aber nur ein bisschen.
Die Websites Schweizer Radiostationen (www.cx.unibe.ch/imw /liradio-ch.htm) gehören sicher nicht zu den Internetwundern. Das ist auch keine Überraschung: Die gegenwärtige Infrastruktur der Internetuser erlaubte den Radiosendern lange nicht, ihre grösste Stärke auszuspielen. Und die liegt logischerweise nicht bei Texten und Bildern, sondern im Audiobereich.
Inzwischen verfügt jedoch ein beachtlicher Teil der Internetbenützer über genügend gute Verbindungen und die entsprechende Hard- und Software, um Radio übers Web zu hören. Dem haben die meisten Schweizer Radiostationen Rechnung getragen: Livestreaming übers Web gehört mittlerweile zum Standardangebot.
Trotzdem: Der Anteil jener, die übers Internet mithören, ist im Vergleich zu den übrigen Zuhörerinnen und Zuhörern immer noch verschwindend klein. Vor allem zu Hause macht es wenig Sinn, Radio übers Web zu hören, wenn das On- und Offlineangebot dasselbe ist und neben dem PC die Stereoanlage steht. «Es sind vor allem Leute am Arbeitsplatz und Stammhörer, die sich ausserhalb des Sendegebiets aufhalten, die unser Webradio nutzen», erklärt André Moesch, Redaktionsleiter von Radio Basilisk in Basel.
Für die Hörer im Sendegebiet ist der grösste Teil des vorhandenen Webangebots in erster Linie als Begleit- und Sekundärmedium zum Radio zu verstehen. Hörerinnen und Hörer finden hier einen alternativen Kanal zur Programmzeitschrift oder zum Telefon (zum Beispiel um sich an Wunschkonzerten zu beteiligen). Nur wenige Radiostationen nutzen die Eigenheiten des Internets aus, zum Beispiel durch Audioarchive, E-Commerce-Angebote oder gar personalisierbare Programme.
Einige Sender wie Radio Basilisk, Radio 32, Radio Zürisee, Radio Aktuell oder auch Radio DRS haben bereits Archive eingerichtet. Diese bieten einen klaren Mehrwert zum Programm über den Äther. Denn wer in der Livesendung etwas verpasst hat, kann im Web die betreffende Sendung doch noch hören.
Einige Radios bieten diesen Service nur für eigene Produktionen an, denn die Speicherung von Musik ist rechtlich noch nicht geregelt. Die wenigen Radiostationen, die auch im Web Musik zum Hören anbieten, handeln
in einer rechtlichen Grauzone. Gespräche mit der Schweizerischen Gesellschaft für die Rechte der Urheber musikalischer Werke (www.suisa.ch) sind derzeit aber im Gange.
Personalisierung steckt noch in den Kinderschuhen
Noch weniger verbreitet als Audioarchive sind in der Schweiz Personalisierungsmöglichkeiten. Erste Ansätze findet man bei Radio DRS. Besucherinnen und Besucher können eine eigene Startseite einrichten und die Auswahl von Radiobeiträgen der fünf DRS-Sender sowie Nachrichten und Onlinediskussionen nach persönlichen Vorlieben gestalten.
Mein.drs.ch bietet allerdings keine richtige Erlebniswelt wie viele amerikanische Webradios und ist noch nicht optimal umgesetzt. «Wir befinden uns auf der ersten Stufe der Personalisierung», räumt auch Charles Liebherr, Leiter von drs.online, ein.
Ob personalisierbare Radios je eine Killeranwendung werden, ist umstritten: «Der Interaktivität sind immer Grenzen gesetzt, da die Leute faul sind», meint etwa Giuseppe Scaglione, Delegierter des Verwaltungsrates von Radio 105. Es sei ja auch eine der Stärken des Radios, dass es überrasche und nicht vorprogrammiert werden müsse, ist Scaglione überzeugt. Für viele Privatradios lohnt sich ein solches Angebot auch aus anderen Gründen nicht. Denn als einzelne Sender haben sie zu wenige Eigenproduktionen, als dass eine Personalisierung sinnvoll wäre.
Websüppchen wird noch auf Sparflamme gekocht
Radios halten sich mit ihren Webauftritten also lieber noch etwas zurück. Scaglione: «Wir wollen auf keinen Fall Unmengen von Geld im Web verlochen, und die Konkurrenz will das offensichtlich auch nicht.» Für Scaglione, der immer noch um eine UKW-Frequenz für Radio 105 kämpft, ist das Web jedenfalls noch kein gangbares Mittel, sich mit gleich langen Spiessen wie die Konkurrenz zu bewaffnen, schon gar kein Ersatz für UKW.
Auch Peter Scheurer, Geschäftsführer von Radio 32, das eines der breitesten Webangebote unter den Schweizer Radiostationen betreibt, möchte die Kosten für den Webauftritt möglichst tief halten: «Mit einem ausgeklügelten Content Management System schaffen wir es, unsere Website mit 40 Stellenprozent à jour zu halten.»
Das Internet wird für die meisten Radiostationen wohl erst dann ein richtiges Thema, wenn die Zahl der Breitbandanschlüsse deutlich zugenommen hat. Dann könnten die Radiobetreiber auch zu gefragten Contentlieferanten für Portale werden, die bisher vor allem textbasiert waren. Als Abnehmer kommen vielleicht auch schon bald mobile Portale in Frage. Denn warum sollte man nicht auch übers Handy Musik hören? Wie dem auch sei: Eine goldene Nase lässt sich wohl auch mit diesem Geschäft nicht verdienen.
Auf den eigenen Websites eröffnen sich den Radios bei wachsenden Besucherzahlen zusätzliche Einnahmequellen zur Werbung, zum Beispiel mit
E-Commerce. Erste zaghafte Versuche mit dem Onlineverkauf von Fanartikeln laufen auf zahlreichen Radiosites. Einen ansehnlichen Onlineshop betreibt Radio DRS: Im Radio-Kiosk findet man unter anderem Hörbücher, Kleidungsstücke, Videos, Bücher und Musikangebote. Freilich, die im Shop aufbereiteten Inhaltsangaben zu den einzelnen Musik-CDs könnten dürftiger nicht ausfallen.
Gerade im Musikbereich wären Radiostationen aber in der Lage, viele ihrer Onlinehörer zu Spontankäufen zu bewegen. Die Besucher von www.radioaktuell.ch können bereits jetzt von einem solchen Angebot Gebrauch machen und mit ein paar Klicks die CD mit dem gerade gespielten Lied bestellen. Dafür kooperiert Radio Aktuell mit dem Onlineshop CeDe.ch. Auch andere Anbieter wie Radio 32 planen bereits ein stärkeres Engagement im
E-Commerce. Scheurer: «Das ist schliesslich auch für die Musikindustrie interessant.»
Damit sich solche Geschäfte auch für die Radiostationen lohnen, müssten die Webangebote stärker als bisher genutzt werden. Bis dahin ist die Spontanbestellung via SMS eine Alternative zum E-Commerce über die Website. 13 Privatradios machen denn auch beim letztes Jahr angelaufenen M-Commerce-Projekt MobileSound mit. MobileSound ermöglicht Radiohörern, sich per SMS nach dem Titel eines gespielten Musikstücks zu erkundigen und dieses zu bestellen. Gemäss Peter Scheurer wickelt Radio 32 über MobileSound etwa 100 Abfragen pro Tag ab. Die Bestellquote liegt bei etwa acht Prozent.
Internetstereoanlage

Um das Webradio bedienungsfreundlicher zu machen, entwickeln diverse Firmen Stereoanlagen, die wie Hi-Fi-Anlagen bedient werden, aber direkt ans Internet angeschlossen werden. Entsprechende Geräte von HP und Compaq sollen in einigen Monaten auf den Markt kommen.

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