Hat das Gratis-Web ausgedient?

Mit Premium-Services und -Inhalten starten T-Online & Co. einen erneuten Angriff auf die privaten Geldbeutel

Mit Premium-Services und -Inhalten starten T-Online & Co. einen erneuten Angriff auf die privaten GeldbeutelVon Clemens HörlerNich nur das Beispiel Yahoo zeigt: Den wenigsten Internetunternehmen ist es gelungen, ihre Webauftritte nur mit Werbung zu finanzieren. Deshalb wird wieder vermehrt über Finanzierungsmodelle diskutiert, bei denen auch die Privatnutzer für gewisse Angebote bezahlen sollen.
Jahrelang haben die Websitebetreiber ihre Besucher mit kostenlosen Angeboten verwöhnt. So gelang es ihnen, schnell den Kundenstamm zu vergrössern, wodurch sie sich das Wohlwollen der Investoren und der Werbebranche erhofften. Wohl wurde der Internetboom in den industrialisierten Ländern erst in dieser Form möglich, die Websitebetreiber bauten sich aber durch die Gratisangebote einen Käfig.
Darin wuchsen sie zwar äusserst schnell, doch nun können sie trotz krisenbedingter Abmagerungskur nicht mehr einfach so zwischen den Stäben hindurchschlüpfen. Gefahr droht vor allem von der Werbefront: In den USA prophezeit Forrester Research fürs laufende Jahr etwa dreimal geringere Wachstumsraten der Onlinewerbung als im Jahr 2000, nämlich «nur» noch 25 Prozent.
Neue Geschäftsideen für die Investoren
Nicht zuletzt, um die Investoren zu beruhigen, müssen deshalb neue Geschäftsideen her: der Einstieg in den B2B-Bereich, Beteiligungen am E-Commerce, aber auch neue Pay-Modelle für die Privatnutzer. Dies gilt für Services und für den Contentbereich. In Letzterem hatten bisher vor allem Finanz- und Pornoplattformen Erfolg mit kostenpflichtigen Angeboten. Vor kurzem haben nun aber auch T-Online, Yahoo, die Online-Enzyklopädie Britannica.com und das Onlinemagazin Salon.com kostenpflichtigen Content angekündigt.
Bei den neuen Pay-Strategien ist allerdings Vorsicht geboten: Schliesslich ist sogar schon die New York Times auf die Nase gefallen, als sie ihr Onlineangebot kostenpflichtig machen wollte. Aus diesem Grund sollen nun kostenpflichtige Premium-Services und -Inhalte auf das Grundangebot aufgesetzt werden, das weiterhin gratis bleiben soll. Schliesslich darf man die mühsam gewonnenen Kunden ja nicht gleich scharenweise wieder verjagen, nur schon der Werbekunden wegen. Ein weiteres Problem ist auch die Bezahlung von einzelnen Angeboten im Wert von einem oder zwei Franken. Massentaugliche Zahlungsmodelle haben sich auf breiter Basis bisher noch nicht durchgesetzt.
T-Online.ch setzt bald auf
Pay-Angebote
In der Schweiz möchte T-Online bereits im Herbst kostenpflichtige Inhalte anbieten, die sowohl im Anbonnement als auch in Form von so genannten Micropayments per Kreditkarte bezahlt werden sollen. «Die Finanzierung eines horizontalen Portals nur durch Werbung und E-Commerce-Beteiligungen geht nicht auf», erklärt Günther Nierlich, CEO von T-Online Schweiz. Viele Kunden seien bereit, für besondere Qualität und Convenience zu bezahlen. Als mögliche Gebiete sieht Nierlich zum Beispiel Finanzen oder Unterhaltung. Yellowworld zum Beispiel hat mit Ymail secure, mit dem man Mails verschlüsseln kann, bereits einen kostenpflichtigen Premium-Service lanciert.
Auch bei anderen Portalbetreibern macht man sich derzeit Gedanken über kostenpflichtigen Content. Vor allem im Breitbandbereich sehen Strategen eine neue Chance. Laut Melanie Schneider, Media Relations Bluewin, könne man sich im Breitbandbereich mittel- bis längerfristig kostenpflichtigen Content vorstellen. «Mittelfristig muss bezahlter Content eine Basis für uns werden», betont auch Eric W. Zeller von SwissOnline.
Grosse Schweizer Medienunternehmen sind kostenpflichtigen Inhalten gegenüber noch zurückhaltend. Das liegt daran, dass ihre Internetauftritte – wohl wegen der traditionell guten Beziehungen zur Werbewirtschaft – verglichen mit ähnlich stark frequentierten Websites relativ viel Werbeeinnahmen verzeichnen. Zudem nutzen Verlage das Medium auch zur Printkundenbindung.
Die Basler Mediengruppe etwa plant laut Urs Frei, Projektleiter Neue Medien, Prime-Value-Contents oder -Dienste, wie einen Beratungsdienst auf beobachter.ch oder spezielle Dossiers, die nur Abonnenten zugänglich sein sollen. Die Archivnutzung soll bei den meisten Onlinezeitungen kostenpflichtig oder an Printabos gebunden werden. Laut Marcel Sennhauser, Leiter Interaktive Medien von Tamedia, werde im Bereich der neuen Technologien wie WAP oder GPRS keine Free-Content-Strategie verfolgt, solange keine direkten Einnahmequellen für Content Provider ersichtlich seien.
Um online Geld zu verdienen,
braucht es klare USP
Kurt Isler, Manager von MSN Switzerland, baut zwar auf bezahlte Premium-Services auf dem Serviceportal MSN. Hinsichtlich bezahltem Content zeigt sich Isler eher skeptisch: In der Schweiz seien derzeit noch zu wenig Angebote mit USP und relevanter Eigenleistung vorhanden, für die man auch Geld verlangen könne. «Das aktuelle Onlinenewsangebot in der Schweiz ist noch ein ziemlicher Einheitsbrei.» Auch im Breitbandbereich sieht Isler wegen der gegenwärtigen Übertragungsqualität noch keine grossen Möglichkeiten, Geld zu verlangen.
Mehr Potenzial mit
zielgenauer Onlinewerbung
Dafür sieht er im gegenwärtig enttäuschenden Onlinewerbebereich grosses Potenzial, «nicht unbedingt in der klassischen Bannerwerbung, sondern mit echten Onlinemarketingkampagnen, die in enger Zusammenarbeit mit den Werbepartnern erarbeitet werden.»
Auch für Reto Hartinger, Marketingleiter bei Search.ch, sind die Möglichkeiten der Onlinewerbung noch lange nicht ausgeschöpft: «Man muss es nur endlich richtig machen. Es suchen vor allem die Leute nach neuen Werbeformen im Internet, welche die alten schon nicht begriffen haben. Banner ohne Aussage erzielen keine Wirkung. Mit Bannern muss zielgenauer kommuniziert werden, dann funktionieren sie hervorragend.»
Vor allem im Bereich des Targetings – über E-Mail, Banner oder andere Werbeformen – könnten sich die Internetunternehmen den Werbekunden noch mehr empfehlen als bisher. Auch die Einführung neuer und grösserer Werbeformate mag zumindest kurzfristig der Onlinewerbung wieder mehr Aufmerksamkeit verleihen. Jim Sterne, Onlinemarketer der ersten Stunde, glaubt, dass Onlinewerbung einfach noch Zeit brauche, bis sie den richtigen Stellenwert im Marketingmix gefunden habe. «Das Licht ist nicht verglüht, sondern wird künftig weiter scheinen.»

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