Kanadas Raucher trotzen Horror

Die Zigarettenindustrie muss im nordamerikanischen Land Schockbilder auf ihre Packungen druckenVon Werner CatrinaKanada macht Ernst mit seinem Umweg übers Mittelalter zu einer zigarettenfreien Gesellschaft. Ab Juni blick

Die Zigarettenindustrie muss im nordamerikanischen Land Schockbilder auf ihre Packungen druckenVon Werner CatrinaKanada macht Ernst mit seinem Umweg übers Mittelalter zu einer zigarettenfreien Gesellschaft. Ab Juni blickDie Zigarettenindustrie muss im nordamerikanischen Land Schockbilder auf ihre Packungen druckenVon Werner Catrina
Kanada macht Ernst mit seinem Umweg übers Mittelalter zu einer zigarettenfreien Gesellschaft. Ab Juni blicken den Rauchern beim Kauf von Zigarettenschachteln
16 verschiedene medizinische Horrorbilder entgegen. Schon jetzt regt sich Protest, und auch überzeugte Nichtraucher halten die behördlichen Massnahmen nicht unbedingt für tauglich.
«Am meisten stösst das Bild mit dem Mundkrebs ab», sagt Tom Lee, «das Sujet mit der schwangeren Frau ist weniger drastisch.» Tom Lee ist Kioskinhaber in einem Mini Mart in Missisauga, einer Vorstadt von Toronto. Seit einigen Wochen bekommt er von den Lieferanten Zigarettenpackungen mit grässlichen Fotos aufgedruckt. Bereits im Jahre 1994 musste auf allen Packungen in grosser Schrift zweisprachig stehen «Cigarettes cause cancer/La cigarette cause le cancer.» Denn auch in der französischsprachigen Provinz Quebec sollte die Botschaft verstanden werden.
16 Horrorsujets «zieren»
die Zigarettenschachteln
Im vergangenen Jahr beschloss die kanadische Regierung, dass alle im Lande verkauften Zigarettenpackungen in Zukunft mit abschreckenden Bildern versehen sein müssen. Insgesamt 16 Sujets, vom hustenden Mann über Blutgerinsel im Hirn bis zu schwarzen Lungen, stehen zur Auswahl. Dazu kommt jeweils ein erklärender Text. Zum Beispiel: «Warnung: Zigaretten verursachen Hirnschläge. Das Rauchen von Tabak kann ihre Arterien ins Gehirn verstopfen, den Blutstrom blockieren und einen Hirnschlag verursachen, was zu Invalidität und Tod führen kann.»
Sozusagen als Weihnachtsgeschenk an die kanadischen Raucher trat das Gesetz am
23. Dezember 2000 in Kraft und hat seither eine grosse Flut von Kommentaren und Leserbriefen provoziert. Noch herrscht eine Schonfrist bis zum Juni 2001. Dann muss jede in Kanada verkaufte Zigarettenpackung die ultimative Warnung tragen. Importe von Packungen ohne die abschreckenden Bilder sind dann untersagt, was das Zigarettenangebot im nordamerikanischen Land drastisch schmälern dürfte.
Vergeblicher Kampf der
Zigarettenindustrie
Die kanadische Zigarettenindustrie tat alles, um die neue Eskalation der Regierung im Kampf gegen das Rauchen abzuschmettern. Sie kämpfte mit den besten Rechtsanwälten gegen die drohenden Fotos und verdammte das Gesetz als verfassungswidrig. Vergeblich. Darauf versuchten die drei grössten kanadischen Zigarettenhersteller, Imperial Tobacco, JTI-Macdonald Corp. und Rothmans, Benson and Hedges Inc., wenigstens einen Aufschub der Frist zu erlangen, mit dem Argument, sie brauchten mehr Zeit, um das Layout zu gestalten und die Farben der Packungen auf die Fotos abzustimmen. Auch diese Bemühungen waren erfolglos, denn die Regierung in Ottawa ist wild entschlossen, die Zigarettenindustrie in die Knie zu zwingen.
Bilder sind noch immer viel stärker als warnende Worte
Gemäss einem Bericht im Journal des kanadischen Krebsinstitutes hat eine zweijährige Untersuchung der kanadischen Cancer Society ergeben, dass Bilder einen viel nachhaltigeren Eindruck hinterlassen als Worte. Danach beurteilten 88 Prozent der unter 18-Jährigen Fotos in der Wirkung als bedeutend massiver als Worte. Die Umfrage ergab zudem, dass die jungen Raucherinnen und Raucher mehrheitlich nicht wollten, dass jemand sie mit den abschreckend bebilderten Packungen sehen würde, was die Motivation zum Aufhören erhöhe.
Marie-José Lapointe, Sprecher der kanadischen Zigaretten- und Zigarrenproduzenten, erklärt dagegen in einem Interview in der Zeitung The Globe and Mail: «Rebellion ist das Motiv vieler junger Raucher; Warnungen dieser Art könnten deshalb den gegenteiligen Effekt haben.» Und der Präsident der Vereinigung, Rob Parker, haut noch einen drauf: «Manche Junge werden sagen: ‹Oh, toll! Ich kaufe das ganze Set mit allen 16 Sujets.›»
«Medizinische Pornografie», nennt sogar der Rat der kanadischen Nichtraucher (Canadian Council for Non-Smoking) die neuen Packungen und fordert «positivere» Formen von Warnungen. Der Canadian Council for Non-Smoking setzt sich aus ehemaligen Rauchern zusammen, die dem Laster abgeschworen haben. Er verkauft jetzt neutrale Plastikboxen für Zigarettenschachteln, um mit diesen «Kondomen» die Schockbilder abzudecken.
Sprüche wie «Hören Sie mit Rauchen auf, das wird ihr Leben auf jeden Fall verlängern» oder «Sei ein Held! Lerne aufzuhören!» genügten vollauf, um das Publikum zu warnen, finden die Ex-Raucher.
Man zwinge ja die Pommes-frites- und Hamburger-Hersteller auch nicht dazu, dicke Leute in ihrer Werbung zur Schau zu stellen, sagt Frank Dwyer, Präsident der Vereinigung. «Wieso denkt die Regierung, sie könne die Leute durch Angst von ihrer Sucht befreien? Das ist doch lächerlich.»
Tom Lee, der täglich wohl Hunderte von Zigarettenpackungen verkauft, sieht das ähnlich: «Die Leute sehen weg und rauchen weiter. Sie sind doch alle süchtig.»
Werden die Kanadier zu einem weltweiten Vorbild?
«Raucher, die aufhören wollen, sagen uns, dass starke Warnungen mit Bildern und Farben nötig seien», erklärt dagegen Garfield Mahood, der Direktor der Non-Smokers’ Rights Association (Vereinigung für die Rechte der Nichtraucher) in einem Interview in der Zeitung Toronto Star, «das neue Warnsystem ist sehr gut abgeklärt worden und wird durch die Mediziner unterstützt.» Mahood ist davon überzeugt, dass die Kanadier als Vorbild für viele ähnliche Gesetze rund um den Globus dienen werden.
Kanada kämpft seit Jahrzehnten gegen das Rauchen – mit gemischtem Erfolg. Teenager rauchen in Kanada genau so häufig wie früher. Eine neue Untersuchung aus den USA – dort werden die Bilder wohl früher oder später auch zum Zigarettenalltag gehören – hat Ernüchtendes ergeben. Eine Untersuchung mit 8500 Studenten im US-Staat Washington kam zum Schluss, dass ein 15-jähriges, rigoroses Antirauchprogramm wohl nicht viel mehr war als Zeit- und Geldverschleuderung.
Kosten in der Höhe
von 30 Millionen Dollar
Die Gestaltung der neuen Zigarettenpackungen und deren Einführung kosten die kanadische Tabakindustrie rund 30 Millionen kanadische Dollar, umgerechnet etwas mehr als 30 Millionen Franken.
Zwei Milliarden Packungen Zigaretten werden jedes Jahr in Kanada für den einheimischen Markt produziert. Ob es wegen der Schreckbilder im Jahr 2001 weniger sein werden, ist zu bezweifeln. Denn Importe von Packungen ohne Warnbilder sind ab Mitte Jahr verboten, was die einheimische Produktion ankurbeln dürfte. Zigarettenplakate sind praktisch aus dem Strassenbild Kanadas verschwunden, von Halifax über Montreal bis Vancouver, denn auch die grossflächige Werbung muss mit den schwarzen Lungen und den Bildern von Hirnschlägen garniert werden.
Wein, Bier, Whiskey und andere Schnäpse hingegen darf man auf Riesenplakaten oder mit Faltbildern in Zeitschriften ohne jegliche Warnung an die jugendlichen Konsumenten bewerben. Da herrscht Lebensfreude, Natur, Frische und auch immer wieder knackiger Humor; kein Wort von Leberzirrhose, keine Silbe von Autounfällen, verursacht durch betrunkene Fahrer, kein Sterbenswörtchen von den ungezählten zerbrochenen Familien, die auf den Abusus von Alkohol zurückzuführen sind.
Aus den Auspuffrohren von Millionen von Autos qualmen ungestraft toxische Abgase. Anders beim Zigarettenrauch: Wo immer man durch eine Drehtüre geht, springt einen das Schild «No smoking!» an. Wer es trotzdem tut, muss mit Bussen von Tausenden von Dollar rechnen.
«Leute, die rauchen, wissen doch, dass es schlecht für sie ist», sagt Mary, Verkäuferin in einem Kiosk in Toronto, «die Regierung will uns manipulieren und uns vorschreiben, was wir zu tun haben; das passt uns nicht!»
Ein Leserbriefschreiber im Globe and Mail fragt besorgt: «Was werden Touristen sagen, wenn sie diese Schockbilder sehen? Die Sujets wirken wie eine Drohung aus dem Mittelalter.»

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