Weihrauch und Myrrhe fürs Web

An der Dreikönigstagung wurden Erfolgsmodelle und Trends im Onlinegeschäft vorgestellt

An der Dreikönigstagung wurden Erfolgsmodelle und Trends im Onlinegeschäft vorgestelltVon Andreas PanzeriKonzepte und Erfahrungen zum Thema Geld im Netz standen an der Dreikönigstagung im Zürcher World Trade Center im Vordergrund. Zahlen und Hintergründe präsentierten Verantwortliche der Onlineprojekte von The Wall Street Journal, 20 Minuten oder «Big Brother» auf TV 3. Beruhigendes gab es rund um Börsenkurse von Medienunternehmen zu berichten.
Passend zum Thema versprach Karl Lüönd in seiner Begrüssung: «In diesem Jahr werden wir Ihnen zum letzten Mal eine gedruckte Dokumentation aushändigen. Das nächste Mal bekommen Sie alle Unterlagen online.» Der Geschäftsführer des Medieninstituts durfte für die heuer bereits zum dritten Mal durchgeführte Dreikönigstagung des Verbandes Schweizer Presse wiederum die PubliGroupe als Hauptsponsorin verdanken.
Unter den zehn prominenten Rednern sind vor allem Rich Jaroslovsky von The Wall Street Journal (WSJ) mit seinem bereits rentablen Onlineprojekt sowie Birger Magnus mit den diesbezüglichen Plänen von Schibsteds 20 Minuten auf grosses Interesse gestossen. Handfest, trotz eines weitschweifenden Blicks in die Zukunft, referierte Hans-Peter Rohner vom Publicitas Promotion Network über die aktuellen Trends in internationalen Märkten.
Der Wirtschafts- und Anlageberater Hans Kaufmann glaubt, dass der unlimitierte Zugang zum Internet zu Tiefstpreisen der Vergangenheit angehört. Diese Entwicklung werde die Ertragssituation vieler börsenkotierter IT-
Unternehmen verbessern. Kaufmann verriet auch, wieso die Tamedia-Aktie im Gegensatz zu vielen anderen Titeln aus der Medienwelt zurzeit unterbewertet sei.
Peter Schütz von der Fachhochschule Hildesheim prophezeite, dass es im IT-Business noch viel zu tun gibt – aber damit verbunden auch erfreulich viele neue Berufe im neuen Bereich Wissensmanagement, Internetscout oder Issuesmanager. Einen dieser neuen Jobs scheint Peter de Mönnink auszuüben, der als Director Internet of Elsevier Business Information Europa allerdings mit der Schilderung seiner vernetzenden Tätigkeiten «Content Providing and Selling» an ziemlich viel futuristisch orientierte Fantasie appellierte.
Konkreter sprach Jürg Wildberger von TV 3 über neue Beobachtungen zum Paarungsverhalten der verschiedensten Medien in seinem Container und präsentierte erstmals auch die gemäss seinen Erwartungen «sehr erfolgreichen» Zahlen zum Abschluss des ersten «Big Brother»-Experiments. Mit dem Fazit: «In keinem anderen Land ist die Post so abgegangen wie in der Schweiz» erntete Wildberger an der Tagung der drei Könige aus dem Morgenland sowohl Anerkennung von den Mediaspezialisten als auch ein paar Lacher für diese offenherzige Formulierung.
Ergänzend zu solchen neumodischen Online-Entwicklungen versuchte die Tagung schliesslich noch etwas Neues aus der Welt des Prints vorzustellen: Carlo Imboden von der Novo Business Consultants AG Bern erklärte zusammen mit Markus Zölch von Interpublicum Bern ihr neues Monitoringinstrument für Tageszeitungen und Zeitschriften.
Gleiche Identität von Print- und Onlineredaktion aufbauen
Angesponnen wurde das Netz der Referenten traditionsgemäss von Hans Heinrich Coninx. Der Präsident des einladenden Klubs bekam von Karl Lüönd den Referatstitel «Papierveredler oder Treuhänder des Inhalts» vorgesetzt. Der Tamedia-Verwaltungsratsvorsitzende zeigte auf, dass er und seine Manager heute im Netz täglich schneller entscheiden müssen als noch vor einigen Jahren, zum Beispiel bei der Lancierung von Facts.
«Die Risiken sind aber höher», plauderte Coninx aus der Schule der Verleger. Als interessantes Detail deckte er auf, dass beim Tagi anders als bei vergleichbaren ausländischen Titeln die Onlineredaktion in die Printredaktion integriert sei. «Man soll die gleiche Identität finden und kein Einzelleben entfalten», begründete Coninx das Konzept.
Wieso es bei der Finanzseite WSJ.com gerade andersherum funktioniert, erklärte Rich Jaroslovsky von The Wall Street Journal. Das Online-Angebot dieser Zeitung spielt als erste Verlegerplattform der Welt bereits viel Geld ein (Details dazu auf Seite 27).
20 Minuten will meist gelesene Zeitung der Schweiz werden
«Das wäre eine sehr kurze Rede, wenn ich hier zum Thema ‹Geld verdienen im Netz› sprechen müsste», fasste Birger Magnus seine ersten Erfahrungen mit der Onlineplattform von 20 Minuten zusammen. Der CEO von Schibsted Print Media AS, Oslo, überzeugte aber mit sehr interessanten Zukunftsplänen. Die gedruckte Zeitung und das elektronische Portal als gegenseitiger Zubringerdienst sind sein Konzept.
Diese Idee bildet einen Schwerpunkt in der Geschäftspolitik von 20 Minuten. Das Rezept sieht ein «printed portal» für die Pendler am Morgen sowie spätere «news updates» im Internet und schliesslich eine vom Printmedium getragene, vielseitige Website zum Spielen, Einkaufen, Vertiefen und Chatten am späteren Abend vor.
Entsprechende Erfahrungen mit dem Netz sammelt Schibsted schon seit 1996. Die Websites der von Schibsted gegründeten Scandinavia Online verzeichnen heute 5,2 Millionen Besucher monatlich. Die Onlineausgabe des schwedischen aftonbladet.se wäre mit täglich 1,32 Millionen «Lesern» in den USA bereits die viertgrösste Onlinezeitung nach usatoday.com, nytimes.com und washingtonpost.com.
«In einem bis zwei Jahren wollen wir die meistgelesene Zeitung in der Schweiz sein» waren die Schlussworte, mit denen sich Birger Magnus von seiner Schweizer Konkurrenz – allerdings nur im Rahmen dieser Tagung – verabschiedet hat, nicht ohne zu erwähnen: «Das Publikum muss zum Gefühl kommen, unsere Website sei die beste in der Schweiz!»
Der als Trendforscher vorgestellte Hans-Peter Rohner, CEO Europa/Asia/Latin America Publicitas Promotion Network, freute sich zuerst einmal über Karl Lüönds korrektes Buchstabieren dieses langen Titels. Kürzer und prägnanter machte er es dann mit seinen Visionen.
Das Internet wurde zu Beginn als etwas «potenziell Gefährliches und eine Bedrohung für die Verleger» thematisiert, meinte Rohner. Aufgrund des ausgeprägten West-Ost-Gefälles in der Internetentwicklung hätten viele europäische Verlage inzwischen von den amerikanischen Erfahrungen gelernt. «Sie haben sich rechtzeitig als eigenständige Contentanbieter zu positionieren versucht und das Internet auch als offensive, unternehmerische Herausforderung angenommen», ist Rohner überzeugt.
Inserat als Auslöser von
E-Commerce-Transaktionen
Er sieht das Netz dabei in drei wertvollen Teilbereichen. Internet als Distributionskanal für Inhalte und Werbung (der Blick kann zum Beispiel auch im fernen Ausland online gelesen werden). Internet als Geschäftsplattform für Printmedien (Internetleser abonnieren später auch die gedruckte Zeitung). Internet als neue Möglichkeit, Arbeitsabläufe und Prozesse zu vereinfachen und Kosten zu sparen (zum Beispiel digitale Anzeigenübertragung).
Als wichtigste Trends zeichnete Rohner eine Entwicklung für Zeitungen und Zeitschriften hin zu globalen Marken (Lizenzausgaben, Splitausgaben, Internetausgaben). Als Beispiele führte er an, wie Le Monde im Verlauf der amerikanischen Präsidentenwahlen bereits originale Seiten der New York Times übernommen hat.
Eine wachsende Chance sieht Rohner auch für «neue» Gratiszeitungen im Bereich der jüngeren Leserschichten. «Weg vom klassischen Abo» heisst ein Zukunftskonzept, bei dem die interessierten Leser nicht mehr «alles für zwei Franken», sondern mehr und vertiefte Information zu einem Spezialthema über das Netz «auch gegen eine Verrechnung von 20 Franken» abrufen wollen.
Bald werden Anzeigen
mit Barcodes versehen
Bezüglich Inserate glaubt Rohner, dass sich verschiedene Verlage zu neuen Allianzen zusammenschliessen wollen, zum Teil auch im Verbund mit starken Industriepartnern wie zum Beispiel Automarken oder Banken. «Classified Datenbanken, die lediglich eine Angebotsübersicht ermöglichen, ohne auch die direkte, spätere Transaktion anzubieten, sind kaum wettbewerbsfähig.»
Das Inserat als Ausgangspunkt für E-Commerce-Transaktionen könnte in Zukunft mit abgedruckten Barcodes in der Zeitung funktionieren. Die Zeitung als wichtigste Frequenzbeschafferin für den lokalen und regionalen Detailhandel könnte bald einmal online noch viel zielgerichteter potenzielle Kunden erreichen.
«Billige Swatch oder exklusive JWC – und in der Mitte läuft nichts?» Das war die Frage, die Karl Lüönd im Verlaufe der Tagung auch verschiedentlich in die Welt der Internetzeitungen zu übertragen suchte. Oder mit anderen Worten: WSJ.com und die Onlineaktivitäten von 20 Minuten können Geld bringen. Wie steht es aber um die vielen Schweizer Printmedien in der bisher noch ohne Netz und damit mit doppeltem Boden funktionierenden Mitte? – Die nächste Dreikönigstagung findet am 8. Januar 2002 statt.

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