Angst vor den Aktionären

Le Temps’ schwierige Suche nach einem unabhängigen Nachfolger für David de Pury

Le Temps’ schwierige Suche nach einem unabhängigen Nachfolger für David de PuryVon Christophe BüchiDer plötzliche Tod von David de Pury bringt die Tageszeitung Le Temps in Nöte. Sie muss sich einen neuen Verwaltungsratspräsidenten suchen, der unabhängig ist von den Aktionärsgruppen.
Der frühere Wirtschaftsdiplomat, «Weissbuch»-Exponent und ABB-Vize David de Pury, der seit einiger Zeit als Privatbankier wirkte, besass noch ein weiteres Mandat. Es war zwar wenig einträglich, lag ihm aber besonders am Herzen: das Verwaltungsratspräsidium bei Le Temps.
Das bekam er nicht von ungefähr, denn de Pury war einer der Hauptakteure beim Zusammenschluss von Nouveau Quotidien und Journal de Genève zu Le Temps, der bekanntlich nicht ohne Nebengeräusche über die Bühne gegangen war (siehe auch Im Gespräch, Seite 45 und 46).
Laut Le-Temps-Chefredaktor Eric Hoesli wäre die Fusion ohne de Pury kaum zu bewerkstelligen gewesen: «Diese Zeitung ist deshalb auch die seine.» Für seinen Verlegerjob war de Pury sogar bereit, auf sein kokettes Mandat im Überwachungskomitee der Fondation Sandoz zu verzichten. Diese Stiftung, die von den Erben der Pharmafamilie Sandoz eingesetzt wurde, stellt eine der grössten Kapitalkonzentrationen der Romandie dar. Sie besitzt ein riesiges Aktienportefeuille, zudem Hotels, Uhrenfirmen und Finanzgesellschaften, und sie ist auch eine der grossen Kultursponsoren der Westschweiz.
Wettbewerbskommission will Unabhängigkeit von Aktionären
Zudem ist die Fondation Sandoz seit mehreren Jahren eine der grossen Aktionäre des Verlags Journal de Genève, der heute zusammen mit Edipresse die Fusionszeitung Le Temps herausgibt (beide Gruppen halten je 47 Prozent des Aktienkapitals, der Rest gehört den Journalisten). Da aber die Eidgenössische Wettbewerbskommission ihre Einwilligung zur Fusion nur unter der Bedingung gegeben hatte, dass der Verwaltungsratspräsident von beiden Aktionärsgruppen unabhängig sei, musste de Pury zwischen dem Präsidium von Le Temps und seinem Mandat bei der Sandoz-Stiftung wählen. Dass er sich für Ersteres entschied, zeigt, wie viel ihm an seinem Verlegerjob lag.
De Pury hat sich um Le Temps verdient gemacht. Ihm ist es gelungen, die immer wieder angefeindete Zeitung gegen alle Anfechtungen abzuschirmen. Gleichzeitig erwies er sich, so Hoesli gegenüber der WerbeWoche, als ein äusserst liberaler Präsident, der sich hütete, in die Belange der Redaktion einzugreifen.
Dies ist alles andere als selbstverständlich. Denn nicht zuletzt die Genfer Kreise, die dem alten Journal de Genève nahe standen, üben permanent Kritik an der Nachfolgezeitung. Und auch gewisse Privatbankiers, die die aufwändige Zeitung bezahlen müssen, möchten sie vermehrt auf einen wirtschaftsliberalen Kurs zwingen.
Nach de Purys Hinschied muss Le Temps nun einen neuen Präsidenten suchen, der weder mit Edipresse noch mit dem Verlag Journal de Genève verbandelt sein darf. Gesucht wird also ein Mann (oder eine Frau) mit moralischer Autorität, verbürgter Liberalität, diplomatischem und politischem Fingerspitzengefühl und mit einem Minimum an verlegerischem Sachverstand.
Diese Person zu finden, wird vielleicht gar nicht so einfach sein. Für Le Temps geht es aber um eine lebenswichtige Frage. Denn die Zeitung ist nach der Lancierung mehrerer Beilagen noch immer in den roten Zahlen – schwarze werden von Hoesli frühestens im nächsten Jahr erwartet. Von der Person des Präsidenten hängt es wesentlich ab, ob die Zeitung im Stande sein wird, ihre Aktionäre bei der Stange zu halten.

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